Bushs Einflüsterer Der Mann im Ohr kostet 1000 Euro
"Lachhaft" - so bezeichnete eine Wahlkampfmanagerin von Bush Spekulationen über einen möglicherweise ferngesteuerten US-Präsidenten. Die verdächtige Beule auf dem Rücken von Bushs Jackett beim TV-Duell mit Herausforderer John Kerry erklärte sie mit einer "Falte in der Jacke oder im Hemd darunter". Vom Tisch ist die Sache aber noch lange nicht.
Selbst Fernsehzuschauer der ersten Debatte der Präsidentschaftskandidaten beschlich während der Übertragung ein seltsames Gefühl: Bush antwortete verblüffend schnell und glänzte mit ungewöhnlich hoher Detailkenntnis.
Die verdächtige Beule am Rücken des Präsidenten wurde vor allem in amerikanischen Weblogs schnell zum Funkempfänger erklärt. Das etwa Handy-große Gerät empfange die Stimme des Einflüsterers und leite sie drahtlos an einen Miniaturhörer im Ohr weiter, lautete die These.
Was wie eine Phantasie aus einem James-Bond-Film klingt, ist technisch längst Realität. "Bei einer normalen Ohranatomie ist es möglich, In-Ohr-Empfänger zu bauen, die man von vorn und von der Seite nicht sieht", sagt Andreas Drießler vom Schweizer Hörgerätespezialisten Phonak. Er leitet das Deutschlandlabor, in dem In-Ohr-Geräte passend zur individuellen Ohrform hergestellt werden.
Ein reiner Funkempfänger fürs Ohr könne wegen der geringeren technischen Anforderungen sogar noch kleiner gebaut werden als herkömmliche Hörgeräte, erklärt Drießler gegenüber SPIEGEL ONLINE. "Er wäre dann noch tiefer im Gehörgang platzierbar."
Ein Phonak-Schwesterunternehmen hat derartige Miniatur-Funkempfänger im Programm . Etwa 1000 Euro kostet der Mann im Ohr. Genutzt werden sie unter anderem beim Soufflieren im Theater, doch auch Sicherheitsbehörden setzen die unsichtbaren Funkempfänger ein. Den Im-Ohr-Apparat gibt es als Standardmodell oder individuell an das Ohr angepasst.
Ein Empfangsgerät am Körper ist bei dem Phonak-Einflüsterer nicht notwendig, der Knopf im Ohr verarbeitet die Funksignale direkt und ohne Zusatzmodul. Die Beule auf Bushs Rücken - sofern sie denn von einem solchen Empfänger herrührt - wäre also gar nicht nötig gewesen. Allerdings hätte der Sender dann in unmittelbarer Nähe des Studios stehen müssen - die verwendeten Funkwellen aus dem Zwei-Meter-Band reichen in Räumen höchstens 80 bis 90 Meter weit.
Geräte anderer Hersteller, etwa das RC-216 der Firma Comtek, arbeiten hingegen mit einem separaten, Zigarettenschachtel-großen Receiver . Im Online-Shop für Agenten, Spyworld.com, wird ein ähnliches Komplettset verkauft, das zusätzlich über ein Mikrofon verfügt, um vollkommen unerkannt kommunizieren zu können.
Auf der eigens eingerichteten Website isbushwired.com (Ist Bush verkabelt?) blühen die Verschwörungstheorien - nicht nur zur verwendeten Funktechnik. Dass Bush bei öffentlichen Auftritten einen Einflüsterer hat - und zwar schon seit Jahren -, das ist für einige seiner Kritiker schon längst eine Tatsache.
Ein erster Hinweis auf einen Miniaturempfänger reicht ins Jahr 2001 zurück. Fred Burks, angeblich zeitweise als Übersetzer der US-Regierung tätig, berichtet von einem überraschenden Detailwissen des Präsidenten über indonesische Politik während eines Treffens mit der indonesischen Präsidentin Megawati Soekarnoputri im September 2001.
"Ich habe seitdem zwei Mal direkt mit Bush zusammen gearbeitet und mit vielen anderen Übersetzern gesprochen", schreibt Burks. "Ich bin mir sicher, dass er nicht so gut über Indonesien Bescheid wissen kann." Seine Schlussfolgerung: Bush müsse bei seiner Rede einen Empfänger im Ohr gehabt haben.
Jon Weidner, nach eigenen Angaben Dokumentarfilmer, äußerte in einem Weblog dieselbe Vermutung . Weidner waren Anfang 2003 bei einem Fernsehauftritt des Präsidenten merkwürdige Dinge aufgefallen. "Ich merkte, dass er offensichtlich nicht auf einen Teleprompter schaute." Auch andere Politiker greifen häufig zu diesem Trick, um längere Texte bei einer Fernsehaufzeichnung vorzutragen.
Bush habe auffällig lang Pausen zwischen den Sätzen gemacht, normalerweise hätten seine Augen erst nach links schauen und dann nach rechts wandern müssen. Bushs Augenbewegungen passten jedoch nicht dazu, so Weidner. Er habe seine Augen wie ein Roboter mechanisch nach links und nach rechts bewegt, um das Ablesen vom Teleprompter vorzutäuschen.
Weidner ahnt jedoch, woher Bush den vorzutragenden Text bekam. Als Filmer nutzt er gelegentlich selbst Miniatur-Ohrempfänger bei Interviews - vor allem, wenn das Licht extrem hell ist, so dass der Text auf dem Teleprompter nicht zu entziffern ist. Bush habe während der Rede ein falsch ausgesprochenes Wort schnell korrigiert, und zwar auf eine Weise, wie es Weidner von Aufnahmen mit Ohrempfängern kenne. "Das passiert, wenn der Mann vor der Kamera dem Sprecher im Ohr etwas voraus ist. Er macht den Fehler, hört dann das richtige Wort, korrigiert es und redet weiter, als sei nichts gewesen." Weidners Fazit: Bush sei zum ferngesteuerten Sprecher für die Zerstörung der USA geworden. "Ist das Showgeschäft nicht großartig?"
In Medienkreisen soll das Schummeln des Präsidenten schon lange kein Geheimnis mehr sein. "Sicher, Bush benutzt manchmal Ohrempfänger", wird ein leitender Reuters-Redakteur aus Washington auf isbushwired.com zitiert. Jeder wisse das. Warum Reuters dies nicht recherchiert habe, wird der Redakteur gefragt. Die Antwort: Ein Ohrempfänger unterscheide sich kaum von einem Teleprompter.
Einen echten Beweis dafür, dass Bush immer häufiger mit Souffleur auftritt, glauben Zuschauer auf CNN entdeckt zu haben. Bei der Übertragung eines Treffen mit Chirac hört man Bush sprechen und im Hintergrund eine zweite Stimme, die das Gleiche sagt, aber Bush etwas voraus ist. War der Souffleur durch eine technische Panne mit auf dem Sender zu hören?
Skeptiker glauben eher an eine andere Variante. Die zu hörende Stimme gehöre zu einem Sprecher, der alles, was Bush sagt, wiederholt, um es per Spracherkennung in Text umzuwandeln. Sein scheinbares Voraussein entstehe, weil Bushs Rede nicht live, sondern mit etwas Verzögerung ausgestrahlt werde.
Das mag glauben, wer will. Eins steht jedenfalls fest: Zu den nächsten Auftritten von Präsident Bush dürften vermehrt auch Funkamateure mit Breitbandscanner erscheinen. Denn trotz aller Indizien und Interpretationen: Bewiesen ist die Sache noch nicht.