Haftbefehl aus Chemnitz im Netz "Das Risiko ist enorm groß, sich eine Menge Ärger einzuhandeln"

Tausendfach wird der Haftbefehl aus Chemnitz bei Facebook und Twitter geteilt - obwohl es illegal ist. Im Interview erklärt IT-Anwalt Joerg Heidrich, warum man die Beiträge lieber schnell wieder löschen sollte.
Passanten stehen am Tatort der Messerstecherei in Chemnitz

Passanten stehen am Tatort der Messerstecherei in Chemnitz

Foto: Ralf Hirschberger/ dpa

Die rechtsradikale Organisation "Pro Chemnitz" hatte im Netz den Haftbefehl gegen einen irakischen Tatverdächtigen veröffentlicht, der in Chemnitz einen Mann niedergestochen haben soll. Seither haben zahlreiche Nutzer das Foto bei Twitter und Facebook hochgeladen, die Beiträge wurden tausendfach geteilt und retweetet.

Neben rechten Politikern wie dem Bremer Abgeordneten Jan Timke, gegen den die Staatsanwaltschaft nun ermittelt, haben auch linke Politiker und Promis das Bild im Netz verbreitet, unter anderem mit der Frage, wie das Foto in die Öffentlichkeit gelangen konnte.

Laut Joerg Heidrich ist das ganz schön riskant. Im Interview erklärt der IT-Anwalt aus Hannover, warum auch das bloße Weiterverbreiten von geheimen Gerichtsakten illegal sein kann.

SPIEGEL ONLINE: Was ist strafbar daran, einen Haftbefehl im Netz zu veröffentlichen?

Heidrich: Es ist nach Paragraf 353d im Strafgesetzbuch verboten, amtliche Dokumente eines Strafverfahrens zu veröffentlichen, bevor bestimmte Stufen des Verfahrens erreicht sind - nämlich konkret, bevor sie in der öffentlichen Gerichtsverhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist. Das gilt dann, wenn die Dokumente im Wortlaut öffentlich mitgeteilt werden, was auch das Veröffentlichen des Haftbefehls auf Internetplattformen wie Twitter und Facebook umfasst.

SPIEGEL ONLINE: Welche Strafe droht, wenn man gegen dieses Gesetz verstößt?

Heidrich: Wer sich nicht daran hält, dem droht eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder, hier wahrscheinlicher, eine Geldstrafe. Zusätzlicher Ärger könnte von Seiten des Datenschutzes drohen, wenn persönliche Daten von Tatverdächtigen und Zeugen unbefugt veröffentlicht werden. Strafbar gemacht haben dürfte sich auch die Person, die die Dokumente ursprünglich aus dem Strafverfahren weitergegeben und so die Veröffentlichung erst ermöglicht hat.

SPIEGEL ONLINE: Und wenn Namen und Adresse auf dem Dokument geschwärzt werden?

Heidrich: Da wäre man wohl aus der Datenschutzproblematik raus, aber nicht unbedingt aus dem Bereich des Strafrechts. Denn der Paragraf 353d im StGB soll unter anderem dafür sorgen, dass Richter und Schöffen sich nicht von öffentlichen Diskussionen beeinflussen lassen und möglichst unbefangen entscheiden. Hier handelt es sich um einen sensiblen und hochprominenten Fall, der auch mit Schwärzungen noch leicht einem bestimmten Verfahren zuzuordnen ist. Ich würde daher jedem davon abraten, solche sensiblen Dokumente wie einen Haftbefehl zu veröffentlichen, auch wenn sie geschwärzt sind.

SPIEGEL ONLINE: Darf man Fotos von solchen Haftbefehlen teilen und retweeten?

Heidrich: Strafbar ist das öffentliche Mitteilen solcher Dokumente. Es dürfte also für die strafrechtliche Beurteilung nicht darauf ankommen, ob man Haftbefehle unbefugt als Erster veröffentlicht oder diese im Nachhinein teilt und so für eine Weiterverbreitung in der Öffentlichkeit sorgt. Auch das dürfte strafbar sein, wobei es in diesem Bereich allerdings recht wenige Urteile gibt.

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SPIEGEL ONLINE: Was empfehlen Sie den Nutzern, die den Haftbefehl im Netz geteilt haben?

Heidrich: Am besten ganz schnell wieder offline nehmen, also das Posting oder den Tweet löschen. Das sind vertrauliche Akten, die nichts in der Öffentlichkeit und im Netz zu suchen haben. Das Risiko ist enorm groß, sich hier eine Menge Ärger einzuhandeln. Natürlich schützt das nachträgliche Löschen nicht vor der Strafbarkeit, aber zumindest gerät man so nicht noch später ins Visier der Strafverfolger.

SPIEGEL ONLINE: Inwiefern müssen Onlinekonzerne wie Twitter und Facebook einschreiten?

Heidrich: Dieser Fall ist nicht durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz abgedeckt, das strafbare Hetze im Netz eindämmen soll. Das NetzDG enthält eine Liste von Strafvorschriften, der Paragraf 353d StGB gehört nicht dazu. Das bedeutet allerdings nicht, dass Facebook und Co. nicht handeln müssen. Denn die Konzerne sind selbstverständlich dazu verpflichtet, strafbare Inhalte unverzüglich nach Kenntnis zu entfernen. Ohnehin verstößt die Veröffentlichung solcher Dokumente auch gegen die Nutzungsbedingungen der Social-Media-Anbieter, sodass sie auch unter diesem Gesichtspunkt die Inhalte entfernen können.

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