China mauert sich zu Lizenz zum Surfen
Mal ist Google da, mal ist es weg. Die BBC verbreitet ihre Nachrichten nur dann, wenn es nicht um China geht. Und dass Chinas Surfer die Schmuddelecken des Webs genauso wenig zu sehen bekommen, wie die zahlreichen oppositionellen Seiten von Auslandschinesen oder Angebote aus Taiwan, ist kaum noch erwähnenswert. Das Internet, Hoffnungsträger für eine engere Anbindung an die Wirtschaft der Welt, stellt aus der Perspektive der Machthaber in Peking eben auch ein ganz gehöriges Bedrohungspotenzial dar.
Wie gut, dass es hinreichend Möglichkeiten gibt, den freien Fluss der Information zu kanalisieren, zu stauen oder zu blockieren. Bis China eigene technische Lösungen entwickelt hat - ein erklärtes Ziel - stützt sich das Riesenland dabei vornehmlich auf in den USA und Israel entwickelte Technologien.
Und auf ganz herkömmliche Mittel.
Seit im Sommer der Brand in einem illegal betriebenen Internet-Café 25 Menschen das Leben kostete, arbeitet China daran, diese frei gewachsene, lizenzlose und weitgehend unkontrollierte Szene auszumerzen. Übrig bleiben sollen nur staatlich lizenzierte Cafés, die ihren Weg über das Web alle über die zwei ebenfalls staatlichen Provider suchen müssen.
Rein kommt da seit dieser Woche nur derjenige, der einen Sonderausweis vorweisen kann: Die Lizenz zum Surfen. Das Konzept wird seit Montag in Chinas Zentralprovinz Jiangxi erprobt, der Rest des Landes soll folgen.
Damit sind die Karten neu gemischt: Seit Jahren behaupten Experten, China sei das Land mit dem größten Potenzial an Surfern. Bald schon werde Mandarin im Web das Englisch überholen, Chinas geschätzte 45 Millionen Surfer als Early Adopters in einem Hunderte Millionen zählenden Meer von Web-Bewegten verschwinden: Genossen auf dem Weg zur Sonne, zur Freiheit.
"Voice of America", nächste Generation
Das allerdings gelingt nur denen, die über das nötige Kleingeld und ein eigenes Telefon verfügen: Das Gros der chinesischen User ist jedoch, wie in den meisten Ländern mit schwacher IT- und Telekommunikationsinfrastruktur, auf Internet-Cafes angewiesen - und Chinas potenzielle Surferschaft folglich gerade merklich geschrumpft.
Die Propheten der "freien Welt" jedoch wollen alle Surfer erreichen, und genau darum brachte der republikanische Abgeordnete Christopher Cox Anfang Oktober einen Gesetzesentwurf in den Kongress ein, mit einem 100-Millionen-Dollar-Investment binnen zwei Jahren ein "Office of Global Internet Freedom" zu schaffen.
- Voice of America:Andere, freie Informationen - Propaganda machen immer "die anderen"
- Hacker-Homepage:Hacktivismo
- TriangleBoy:Proxy-Service für zensierte Netzwerke
Klingt gut und irgendwie karitativ - ist aber so nicht gemeint: Aufgabe des angedachten Amts wäre es keineswegs, das Internet zum Beispiel in Amerika vor der rapide wachsenden Überwachung zu schützen, sondern einzig und allein, die Zensurbemühungen von Staaten zu unterlaufen, die mit den USA nicht in allen ideologischen oder religiösen Fragen überein stimmen. Neben China hat Cox da auch Nord-Korea und Vietnam im Visier.
Was Cox vorschwebt, erinnert an das Wirken von "Voice of America" (VoA) zu Zeiten des kalten Krieges: Der noch heute bestehende Radiosender wurde mit Geheimdienstgeldern finanziert und versorgte die Länder hinter dem "Eisernen Vorhang" mit einer anderen Wirklichkeit. Aktiv ist er heute noch, auch ohne das Amt, das Cox gern gründen möchte: 100.000 Dollar zahlte die Voice of America, die heute vornehmlich im Internet wirkt, in diesem Jahr an SafeWeb, ein Unternehmen, das mit "TriangleBoy" eine Software vertreibt, mit der sich Zensur "untertunneln" lässt. Ziel der Zahlung: Die von China gesperrte VoA-Website wieder erreichbar zu machen.
SafeWeb konnte sich schon zuvor über kräftige Geldspritzen freuen: Mit 250.000 Dollar Venture-Kapital half die CIA dem Unternehmen in seiner Gründungsphase auf die Sprünge. Den Gegnern des Cox-Vorstoßes scheint diese historisch bewährte, subversive Form der Finanzierung lieber zu sein, als die Regelung von gegen spezifische Staaten gezielte zensurbrechende Maßnahmen über ein staatliches Amt.
Unter Bürgerbewegten fand der Vorstoß dagegen durchaus Beifall. Dynaweb, ein von Exilchinesen betriebenes Unternehmen, würde sich über Finanzspritzen aus einem solchen Amt durchaus freuen. Das Unternehmen versorgt China mit zensierten Nachrichten über ein Webportal, das seine numerische Adresse so häufig wechselt, dass die staatliche Zensur oft nicht mitkommt.
Kreativer ist da der Ansatz von Paul Baranowski, der aus der Hacktivismo-Szene rund um die White-Hat-Hacker von Cult of the Dead Cow kommend seit etwa einem Jahr das Entwicklerteam von PeekABooty offiziell repräsentiert.
Auch diese, auf P2P-Prinzipien fußende Software, zielt ganz spezifisch auf das Unterlaufen staatlicher Zensur. Baranowski, der für die Entwicklung von PeekABooty seinen Job aufgab, ist Idealist - und damit vielen unheimlich: PeekABooty hätte das Potenzial, nicht nur chinesische Überwachung und Zensur, sondern auch amerikanische zu unterlaufen. Folgerichtig interessieren sich FBI und CIA brennend für die Software: Baranowski wird aber nicht gefördert, sondern wohl eher überwacht. Die Kriminalisierung von Hackern in den USA schreitet fort, in China ist sie flächendeckend und straffrei nur dann, wenn die Hacker im Staatsauftrag arbeiten - ganz wie im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Andere Länder, ähnliche Sitten.
Frank Patalong