»Ungesunde Werte« Chinas Führung will Starkult im Internet abschaffen

Die Regierung in Peking hat Online-Ranglisten, das Sammeln von Spenden und vieles andere verboten, womit Fans ihren Stars im Netz Aufmerksamkeit verschafften. Die großen Fangemeinden sind der Führung suspekt.
Chinesische Internetnutzerinnen (Archivbild): »Der chinesischen Jugend fehlen andere Idole«

Chinesische Internetnutzerinnen (Archivbild): »Der chinesischen Jugend fehlen andere Idole«

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© Kim Kyung Hoon / Reuters/ REUTERS

Ende einer wahren Fanliebe: Tag für Tag verbrachte die Gymnasiastin Chen Zhichu eine halbe Stunde im Internet, um ihr Schauspieler-Idol zu unterstützen. Jetzt ist Schluss damit, die chinesische Regierung hat die Praxis verboten – um die Jugend vor »ungesunden Werten« zu bewahren.

Die 16 Jahre alte Chen ist eine von Millionen meist weiblichen Bewunderern des Serienstars Xiao Zhan. Wie viele andere Fans setzte sie sich dafür ein, ihn noch berühmter und erfolgreicher zu machen. »Ich habe Beiträge in seinem Fanforum hochgestuft und Produkte gekauft, für die er geworben hat«, erzählt Chen in einem Einkaufsviertel in Peking. »Es war ziemlich anstrengend, ihn jeden Tag auf Platz eins zu halten.« Allein im sozialen Netzwerk Weibo hat der Schauspieler inzwischen über 29 Millionen Anhänger.

Vergangenen Monat aber schob Peking dem »irrationalen« Starkult einen Riegel vor und verbot Online-Ranglisten, das Sammeln von Spenden und vieles andere, womit Fans ihren Stars in den sozialen Medien mehr Aufmerksamkeit verschafften.

Angst der Regierung: Stars können Millionen Fans mobilisieren

Die Fans sind die treibende Kraft des lukrativen Geschäfts mit den Stars in China. Laut früheren Prognosen staatlicher Medien soll es bis 2022 ein Volumen von 140 Milliarden Yuan (18,7 Milliarden Euro) erreichen. In einem Land, in dem junge Menschen nur wenige andere Möglichkeiten haben, das öffentliche Leben zu beeinflussen, können sie einen Unbekannten zum Star aufsteigen lassen. Kritiker sehen darin eine Ausbeutung Minderjähriger. Viele jedoch genießen die Gemeinschaft mit den anderen Fans und freuen sich, zum Erfolg ihres Idols beizutragen.

Der kommunistischen Führung sind die Internet-Stars mit ihren Heerscharen von Unterstützern noch aus einem anderen Grund suspekt: Sie können ihre zig Millionen Fans im Handumdrehen mobilisieren und so oft tagelang die sozialen Medien beherrschen. »Das ist der Beginn einer Massenbewegung, und das ist es, was die Regierung nicht will«, sagt ein Professor für Sozialwissenschaften an einer chinesischen Universität, der nicht namentlich genannt werden will.

In den vergangenen Monaten gab es zahlreiche Razzien in den Bereichen Technologie, Bildung und Showbusiness. Die Behörden nehmen verstärkt die Reichen und Mächtigen ins Visier, mit dem angeblichen Ziel, für größere sozioökonomische Gleichheit zu sorgen. Aber es geht auch darum, jungen Menschen aus staatlicher Sicht »gesunde« gesellschaftliche Werte zu vermitteln und zu verhindern, dass sie sich von unberechenbaren Promis beeinflussen lassen.

»Der chinesischen Jugend fehlen andere Idole«, sagt Fang Kecheng, Kommunikationsprofessor an der Chinese University of Hongkong. »Es ist sehr schwer für sie, andere Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligung, zu Aktivismus, zu finden.«

Die chinesische Regulierungsbehörde für Radio und Fernsehen wies Sender kürzlich an, Künstlerinnen und Künstlern mit »verkommener Moral« und »unkorrekten politischen Ansichten« aus ihren Programmen auszuschließen. Und auch sogenannte »Sissy Men« – androgyne Stars nach dem Vorbild koreanischer Boybands – dürfen nicht mehr auftreten . Aus Angst vor einer »verweichlichten« Gesellschaft geht die Staatsführung zudem rigoros gegen Videospielehersteller vor und verpflichtet sie zur Entfernung »unmännlicher« Inhalte.

Chinesische Künstler, die im Mainstream erfolgreich sein wollen, haben kaum eine andere Wahl, als sich mit dem Staat zu arrangieren. Tänzerin Li Chengxi etwa akzeptiert die neuen Vorgaben, sie sieht sie als Chance für einen Neustart der Branche. Die 26-Jährige ist seit ihrer Kindheit eine begeisterte Tänzerin und Schauspielerin. Nach ihrem Abschluss an der Eliteuniversität Peking versuchte sie sich als Entertainerin, spielte in mehreren Filmen mit und nahm an Talentshows teil – ein nun verbotenes Genre. Gerade probt sie in Nantong im Osten des Landes für einen TV-Tanzwettbewerb. Li hat keine Angst, dass die jüngsten Restriktionen ihrer Karriere schaden. »Wenn große Wellen an Land brechen«, sagt sie, »wird das Gold, das zurückbleibt, noch heller leuchten.«

pbe/AFP
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