Chrome im Test Googles Blitz-Browser begeistert mit radikaler Schlichtheit
Was für eine Dramaturgie. Um 21.02 Uhr deutscher Zeit veröffentlichte Google in der vergangenen Nacht ein Programm, von dem erst Stunden zuvor bekanntgeworden war, dass es überhaupt existiert: Google Chrome - ein Internet-Browser.
Fach- wie Publikumsmedien warteten aufgeregt auf die Veröffentlichung, Google organisierte Pressekonferenzen und informelle Vorführungen - bis endlich der Downloadlink im Web erschien. Wer dann die Installer-Datei (486 kB) herunterlud und den Browser initialisierte, wurde schon schnelle zwei Minuten später überrascht: Das Programm startete fix und ganz ohne Murren.
Schon das ist bezeichnend. Schnell und einfach sind Attribute, die man in nächster Zeit wohl mit Google Chrome verbinden wird.
Google hat nicht nur einen Browser versprochen, der fixer sein sollte als alle Konkurrenzprodukte. Google hat das Versprechen auch gehalten. Man mag fragen: Ist das relevant? Wen stört es schon, dass eine Web-Seite manchmal ein paar Sekunden braucht, um sich aufzubauen? Erst mal niemanden - bis man es anders kennenlernt. Das war schon immer so, es hat Hunderttausende Nutzer dazu gebracht, von Modems auf ISDN auf DSL umzusteigen - und bald auf VDSL. Schnelligkeit ist ein Wert an sich im Web, denn anders als die Werbung verspricht, ist Internet-Surfen keine Spaßveranstaltung. Sondern mitunter ein mühseliges, langweiliges Suchen und Stochern und Warten.
YouTube-Gucken fühlt sich an wie Fernsehen
Je zügiger man am Ziel ist, desto besser. Und Chrome tritt mit dem Anspruch an, eine Art Turbo-Finde-Browser zu sein.
Geradezu verblüffend schnell läuft der Seitenaufbau; hier kommt tatsächlich kein Rivale mit. Vor allem Googles eigene Dienste haben ein erstaunliches Tempo. YouTube fühlt sich mit Chrome an, als säße man vor einem Fernseher - es gibt kaum noch eine Wartezeit nach dem Klick auf ein Video. Der Wechsel vom einen zum anderen fühlt sich an wie Umschalten. Auf anderen Videoseiten ist das zwar anders, bei Veoh und Megavideo gibt es Vorpufferzeiten, doch auch die fallen knapp aus. DivX-Videos laden mit bisher ungekannter Geschwindigkeit.
Noch eine angenehme Überraschung: In knapp zwei Stunden Test ist es nicht gelungen, irgendeine Internet-Anwendung zu finden, für die man ein Plugin hätten herunterladen müssen. Wahrscheinlich leiht sich Chrome da so einiges, was schon anderenorts auf dem Rechner installiert ist. Dafür spricht, dass scheinbar manche Funktionen von Chrome nicht nutzbar sind, wenn nebenher auch noch Firefox geöffnet ist. Weil beide Programme auf geteilte Ressourcen zurückgreifen?
So einfach - und doch so viele Funktionen
Und die Bedienung? Chrome wirkt auf den ersten Blick äußerst schmucklos, geradezu minimalistisch. Das ist genau das, was man von Google erwartet. Interessant ist, wie es die Entwickler geschafft haben, trotzdem eine Vielzahl von Features in den Browser zu integrieren - ohne dass man auf Menüs oder Buttons zurückgreifen muss oder auf Mausgesten und andere Spielarten, an die man sich durch Firefox und Co. gewöhnt hat.
Chrome durchbricht damit einen Trend. Fast jedes Feature, das in den vergangenen Jahren für irgendeinen Browser erfunden wurde, versuchten die Entwickler in jeden anderen Browser zu integrieren. Dadurch blähten sie die Software immer weiter auf.
Chrome ist schlanker. Der Browser folgt einem ziemlich eigenständigen Konzept zum Navigieren durch das Internet. Es funktioniert über die Adress-Eingabezeile.
Diese dient bei Chrome nämlich nicht nur zum Tippen einer Web-Adresse, sondern fungiert zugleich als Live-Suchabfrage, die nonstop und fleißig mit Google kommuniziert. Schon bei der Eingabe weniger Buchstaben fängt die Zeile an, dem Nutzer über ein Ausklapp-Menü Vorschläge zu machen, welche Seite er womöglich ansteuern will.
Das klingt nerviger, als es ist. Eine solche Vorschlagliste bringt tatsächlich etwas - und wird immer besser, je länger man den Browser nutzt. Denn der lernt ständig dazu und merkt sich absolut alles: Welche Seiten hat man angesehen? Was hat man als Lesezeichen abgelegt? Wo hat man mal eine Suchmaske benutzt?
Schnell mischen sich so unter die Adressvorschläge aus Googles Datenbank solche aus dem anwachsenden Gedächtnis des eigenen Browsers.
Schnelle Suche, spielerischer Umgang mit Tabs - und ein revolutionärer Ansatz für Web-Anwendungen
Dem Nutzer wird in dem Ausklappmenü ein Mix aus Bookmarks, zuvor besuchten Seiten, Suchmöglichkeiten und Google-Ergebnissen angeboten. Irgendwann sollen dann auch die angebotenen Google-Ergebnisse abgestimmt sein auf die Surfgewohnheiten des Nutzers - wenn der nicht vorher seine privaten Daten löscht, denn derart detailliert beobachten lässt sich nicht jeder gern. Zum Glück ist auch das mit einem Mausklick erledigt. Und wer will, kann auch anonymisiert surfen.
Trotzdem: Die Sache hat ihren Wert. Künftig lässt sich direkt in Warenbeständen oder Archiven suchen. Man muss dem Browser nur mitteilen, wo man suchen will, und er geht gezielt vor. Wenn man sich einmal in der SPIEGEL-WISSEN-Datenbank umgetan hat, reicht schon die Eingabe von "Spiegel - Tabulatortaste - Merkel" in der Adresszeile, um das Archiv von SPIEGEL ONLINE nach Artikeln über die Kanzlerin zu durchsuchen.
"Amazon - Tabulatortaste - David Mitchell" sucht direkt nach Büchern des Autors. Das hat was.
Tabs werden einfach zu Fenstern - oder umgekehrt
Effizient ist auch der Umgang von Chrome mit mehreren Fenstern und Reitern innerhalb eines Fensters (Tabs). Neue Tabs werden immer direkt rechts neben jenem Tab eingereiht, aus dem heraus sie aufgerufen wurden. So behält man besser die Übersicht. Wer will, kann einen Tab per Mausklick von den anderen lösen und als eigenes Fenster auf den Desktop ziehen. Oder umgekehrt. Auch das eröffnet neue Möglichkeiten der Ordnung.
Mit wenigen Klicks kann jeder Nutzer außerdem Internet-Fenster als Verknüpfungen auf den Desktop, ins Startmenü oder in die Anwendungsleiste legen. Wer seine Webmail-Site auf diese Weise auf seinen Schreibtisch packt, kann sie letztlich kaum noch von herkömmlicher, fest installierter E-Mail-Software unterscheiden. Die Grenze zwischen Netzanwendung und klassischen Programmen verwischt so weiter - was in Googles Interesse ist, bietet der Konzern doch Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Mail- und Präsentationssoftware auf Internet-Basis an. Chrome hat außerdem Googles Gear-Plattform integriert, die den Betrieb von Internet-Anwendungen auch dann erlaubt, wenn der Nutzer gerade nicht im Netz ist.
Eine Schwäche ist dagegen die Lesezeichen-Verwaltung. Der Nutzer merkt sich eine Seite per Klick auf ein Sternchen neben der Adresszeile. Um sie wiederzufinden, muss er sie in der Lesezeichenleiste sinnvoll plazieren oder in der Adresszeile ein passendes Stichwort eingeben, dann wird sie in dem Ausklappmenü angezeigt. Das Öffnen aller Seiten eines Lesezeichen-Ordners und andere praktische Funktionen, wie man sie aus anderen Browsern kennt, sind dagegen arg versteckt. Die Verwaltung der Lesezeichen ist kaum präsent - weil man sie wohl nicht wirklich für nötig hält. Google wirft schon immer gern alles in einen großen Bottich, indexiert das Ganze und findet das Gewünschte dann auf Stichwort-Zuruf. So läuft das auch bei Chrome. Es funktioniert, es ist schnell - es ist aber auch ungewohnt.
Kleinere Bugs und einige Traditionsbrüche
Nicht nur hier bricht Google mit inzwischen tradierten Gewohnheiten der Surfer. Ob die es beispielsweise wirklich so toll finden, nach dem Start oder beim Öffnen eines neuen Tabs immer Miniaturen der von ihnen am häufigsten angesurften Seiten angezeigt zu bekommen, bleibt abzuwarten. Es ist toll, statt einer einfachen Startseite eine ganze Auswahl zum schnellen Klick angeboten zu bekommen. Es ist aber doof, wenn man im Büro gern mal private Mails checkt - und ein kurzer Blick auf den Desktop dann dem Kollegen oder Chef die Surfgewohnheiten des Chrome-Nutzers offenbart.
Chrome ist noch nicht frei von Fehlern. In der ersten Version konnte man auf mehreren Testcomputern nicht mit dem Mausrad aufwärts scrollen; offenbar liegt dies an einer Einstellungsinkompatibilität. Solche Pannen sind typisch für Betaversionen. Auch der Import von Lesezeichen aus Firefox fällt darunter, hier gab es auf mehreren Rechnern Probleme.
Unter dem Strich jedoch bietet Chrome - wie US-Marketingfachleute gern tönen - ein außergewöhnliches Surferlebnis. Es ist rasend schnell, intuitiv zu bedienen und bietet wirklich neue Services und Ideen. Interessant wird zu beobachten sein, was die Veröffentlichung nun auf dem Browser-Markt bewirkt.
Für Microsoft kommt sie jedenfalls zur Unzeit. Das Unternehmen bereitet gerade den Internet Explorer 8 zur Veröffentlichung vor. Vergleicht man dessen zweite Betaversion mit der ersten von Google Chrome, sieht es für Microsoft nicht gut aus. Es ist wie Familienkutsche gegen Sportwagen - und zugleich wie Benzinschleuder gegen Drei-Liter-Auto. Nicht zu vergessen: Erstmals tritt hier ein Konkurrent gegen Microsoft an, der auf den Desktops der Welt mindestens ebenso präsent ist. Google kennt jeder Internet-Nutzer.
Es wird gefährlich.