Computerspiele Tokyo Techno Tourism
Die Baracke am Spreeufer gegenüber vom Bodemuseum in Berlin-Mitte wird sich wohl in den nächsten Wochen in eine Spielhalle verwandeln. Normalerweise organisiert hier der Verein "Kunst + Technik" Vorträge, Parties und andere Veranstaltungen. Aber seit Freitag kann man an dieser Stelle, die Berliner Nachtschwärmern als Ort der berühmt-berüchtigten "Mittwochsbar" bekannt ist, japanische Videospiele ausprobieren.
Das dient in diesem Fall allerdings nicht einfach dem Zeitvertreib. Die Games, die hier zu sehen sind, sind Teil einer kulturwissenschaftlich orientierten Ausstellung, die die spezifisch japanische Videospielkultur erforschen will. Doch ist es absehbar, daß zeitweilige Museum spätestens in einer Woche von Kids belagert wird, die sich hier umsonst mit den neuesten japanischen Spielen amüsieren können.
"Tokyo Techno Tourism", so der Titel der Ausstellung, die Kunst + Technik zusammen mit dem Berliner-Computerspiele-Museum in die Hauptstadt geholt hat, nähert sich seinem Sujet auf eine interessante Weise: Die Spiele sind verschiedenen Stadtteilen in Tokio zugeordnet, die Ausstellung stellt somit auch eine Art "Reiseführer" durch die japanische Hauptstadt dar, die den realen Stadtraum mit dem virtuellen Raum der Computerspiele verbindet.
Im Halbkreis stehen die Spielkonsolen im Raum, und blubbern leise vor sich hin, und in ihrer Mitte befindet sich Professor Masuyama, der die Ausstellung im Auftrag des TV-Game-Museums in Japan zusammengestellt hat. Er hat eine Kangol-Mütze verkehrt herum auf dem Kopf sitzen wie Samuel L. Jackson in Quentin Tarantinos "Jackie Brown" und freut sich sichtlich, wenn er den Damen und Herren von der Presse den kleinen Golfschläger mit dem Digitaldisplay vorführen kann, mit dem man auch in der kleinsten japanischen Einzimmerwohnung einen Golfplatz simulieren kann. Zwar ist er stolz darauf, daß er nicht mehr als fünf Games pro Jahr spielt, aber über die Spiele in seiner Ausstellung spricht er eloquent.
Es war seine Idee, die Ausstellung nach dem Vorbild der Stadt Tokio aufzubauen: "Es gibt viele Filme - wie zum Beispiel "Ein Herz und eine Krone" oder "Der Himmel über Berlin" - die eine bestimmte Stadt als zentrales Motiv behandeln. Bei den digitalen Medien könnte man jedoch sagen, daß das Medium an sich mit dem Bild der Stadt Tokio übereinstimmt. Als ich darüber nachdachte, daß wir immer mehr in einer fiktiven Medienwelt und in der realen Stadtwelt gleichzeitig leben, erkannte ich, daß Videospiele hervorragend als eine Art Reiseführer zu gebrauchen sind. Egal ob Sie mit Tokio vertraut sind oder nicht, entdecken Sie hier Ihr ganz eigenes Tokio."
Entsprechend wird der Besucher bereits am Eingang der Ausstellung mit einem Geräuschteppich empfangen, der "typisch Tokio" sein soll: Handys piepsen, Anrufbeantworter antworten, im Hintergrund sind Verkehrslärm und schnatternde Fernsehstimmen zu hören. Doch Tokio ist nicht nur eine durch und durch medialisierte Stadt, sondern auch eine, die sich in einem permanenten, atemberaubend schnellen Wandel befindet.
So wie bei einem Videospiel alles aus Bits und Bytes aufgebaut ist und jederzeit komplett umgebaut werden kann, so wird auch Tokio ununterbrochen "neu formatiert", wie zum Beispiel das Ballerspiel "Scramble Formation" in der Ausstellung zeigt. Während der Spieler mit einem roten Doppeldecker auf Ufos ballert, sieht man unter ihm das moderne Tokio vorbeiziehen: Außer wenigen historischen Gebäuden ist hier alles neu, kein Haus wurde vor 1960 gebaut, wie das Videospiel mit akribischer Detailtreue demonstriert.
Heute gibt es kein anderes Land, in dem die digitale Freizeitgestaltung einen so großen Stellenwert einnimmt wie in Japan, wie der Erfolg der Tamagochis gezeigt hat. Computerspiele sind im Alltag wesentlich akzeptierter als in Deutschland; die Otakus, fantastische Gamer, haben aus ihnen sogar eine Art Ersatzreligion gemacht. Experten schätzten, daß japanische Spiele wie die "Super Mario Brothers" oder "Virtua Fighter" 60 Prozent des internationalen Videospiel-Marktes beherrschen. Wenn Sony, neben Nintendo und Sega der führende Spielehersteller Japans, eine neue Spielkonsole auf den Markt bringt, berichten die Tageszeitungen auf der Titelseite über die Neuigkeit.
Um auf dem internationalen Markt bestehen zu können, sind die meisten Games auf ein globales Publikum abgestimmt. Einige der ausgestellten Spiele sind freilich sehr japanisch und sehr eigenartig. Ihre Mischung aus "prämodernen Vorstellungen und postmoderner Technologie" (Masuyama) dürften bei Gamern aus Deutschland eher Irritation auslösen. So die "Uniform Wars", bei dem die Schuluniformen von einigen japanischen Schulmädchen magische Kräfte besitzen. "In Japan gelten Schuluniformen auch außerhalb der Schule als todschick", erfahren wir, in der Erwachsenenenwelt haben sie teilweise sogar Fetisch-Charakter.
Auch das Spiel "Bust-a-move" dürfte es bei deutschen Gamern schwer haben: Bei dem "Action-Tanzspiel" müssen sich die Protagonisten zur Abwechslung mal nicht zu Brei schlagen, sondern beim Tanzen übertreffen! Weniger gewöhnungsbedürftig ist dagegen "Wagan Trail", bei dem man auf einem Expresshighway durch Tokio rasen kann. Auch hier ist die Autobahn minutiös nachgebildet, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Normalerweise kann man sich auf dieser Strecke wegen Überfüllung nur mit etwa 10 Stundenkilometern fortbewegen!
Ein kleiner Raum der Ausstellung ist japanischen Kindern gewidmet. Auf großen Kissen in Gelb und Pink (die schlichte, aber elegant-poppige Gestaltung der Ausstellung stammt von Jotaro Shibuya) sehen wir auf der einen Seite Fotos von Spielzeug und ihren Inhabern, auf der anderen Seite kurze Texte über das Leben von Kindern in Tokio. In Berlin können sich jetzt die deutschen Kids an die Spiele aus Nippon machen.
"Tokyo Techno Tourism", bis zum 27.12.1998 bei "Kunst + Technik", Monbijoustr. 2 - 3, Berlin-Mitte, geöffnet Di bis So von 14:00 bis 22:00 Uhr, Programminfo.
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