Corona-Videos auf YouTube Hinter der Verschwörung

Beim Thema Corona haben Verschwörungstheorien in den sozialen Netzwerken Hochkonjunktur. Woran liegt das? Wie wichtig sind die Plattformen? Und wie viele Menschen glauben wirklich daran? Die wichtigsten Antworten.
Protest-Nachricht auf einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen am 16.05.2020 in Köln.

Protest-Nachricht auf einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen am 16.05.2020 in Köln.

Foto: Christoph Hardt/ imago images/Future Image

Als Attila Hildmann Bill Gates in seinem Telegram-Kanal kürzlich als "dreckigen Lügner und Psychopathen" bezeichnete, sahen das 73.000 Menschen. Zusammen mit Sänger Xavier Naidoo und Ex-Radiomoderator Ken Jebsen steht der vegane Koch in der ersten Reihe der Verschwörungstheoretiker. Spätestens seit Hildmann verkündete, für seinen Kampf gegen die Regierung "im Untergrund" leben zu wollen, ist ihm die Aufmerksamkeit der Medien sicher.

Um ihre Theorien zu verbreiten, nutzen Hildmann, Jebsen und Co. gezielt die sozialen Medien. Wer auf YouTube nach den meistgesehenen Corona-Videos sucht, der findet in unmittelbarer Nachbarschaft etwa des NDR-Podcasts mit dem Virologen Christian Drosten eben auch Inhalte von Ken Jebsen, der vor einem Millionenpublikum behauptet, die Bill & Melinda Gates Foundation beherrsche die Weltgesundheitsorganisation. 

Warum Verschwörungstheorien gerade solche Aufmerksamkeit erfahren, wie wichtig die verschiedenen Plattformen für ihre Verbreitung sind und wie viele Menschen wirklich dran glauben: Antworten auf die wichtigsten Fragen.

1. Was sind die häufigsten Theorien?

Sucht man gezielt nach YouTube-Videos mit verschwörungstheoretischen Inhalten und analysiert diese (Details zur Methodik finden Sie im Kasten am Ende des Artikels), so zeigen sich durchaus wiederkehrende Muster. In 40 besonders reichweitenstarken Videos, die für diesen Artikel näher untersucht wurden, spielen insbesondere die Themenkomplexe Zwangsimpfung und Bill Gates eine große Rolle.

Hinter der Pandemie wird in diesen Videos ein Plan zur Zwangsimpfung der Menschheit vermutet und Bill Gates oder dessen Stiftung werden finstere wirtschaftliche oder machtpolitische Ambitionen im Zusammenhang mit Corona-Impfungen unterstellt. Häufig werden beide Themenkomplexe zusammengefügt und auch durch Versatzstücke weiterer Verschwörungstheorien ergänzt. In immerhin 15 Prozent der Videos taucht auch die besonders drastische QAnon-Theorie auf, in der unter anderem behauptet wird, Prominente und Politiker würden Kinder unterirdisch gefangen halten. 

Gelegentlich gibt es dabei auch Bezüge zu den eingangs genannten prominenten Befürwortern oder Verbreitern von Verschwörungstheorien. Bedeutender jedoch sind Bezüge zu einem kleinen Kreis von Medizinern, Wissenschaftlern und Journalisten, die auf YouTube aufmerksamkeitswirksam als vehemente Kritiker des Umgangs mit der Corona-Pandemie in Erscheinung getreten sind.

Sie behaupten mindestens, die Gefährlichkeit von Coronaviren sei nicht hinlänglich bewiesen und die getroffenen Gegenmaßnahmen seien völlig unverhältnismäßig. Häufig werden auch verharmlosende Vergleiche mit Grippe-Erkrankungen herangezogen und Zweifel an der Arbeit des Robert Koch-Instituts (RKI) und der Zählweise der Todesfälle geäußert.

Zu den Protagonisten dieser Gruppe zählt Sucharit Bhakdi, emeritierter Professor für Mikrobiologie und Hygiene, der in zahlreichen reichweitenstarken Videos auftaucht und entgegen dem allgemeinen wissenschaftlichen Konsens behauptet, die Gefährlichkeit des Coronavirus sei nicht hinlänglich bewiesen. 

2. Wo fangen Verschwörungstheorien an? 

Personen wie Bhakdi sind nicht per se als Verschwörungstheoretiker einzustufen, folgt man den Erklärungen der Sozialpsychologin Pia Lamberty. Aber: Indem sich die Wissenschaftler mit den Verschwörungstheoretikern gemein machen, etwa indem Bhakdi sich von Jebsen interviewen lässt, verleihen sie ihnen die Legitimation der Wissenschaft.  

"Die Gefahr einer Corona-Erkrankung herunterzuspielen, ist nicht direkt eine Verschwörungserzählung", so die Sozialpsychologin, die gemeinsam mit der Netzaktivistin Katharina Nocun gerade ein Buch über Verschwörungstheorien veröffentlicht hat. "Eine Pandemie ist sehr bedrohlich", sagt Lamberty. Sie berge eine große Unsicherheit für jeden Menschen. Das Verharmlosen der Gefahr sei ein Selbstschutzmechanismus. "Für eine Verschwörungserzählung braucht es noch den bösen Plan", so Lamberty. 

Die Äußerung, Corona sei nicht viel schlimmer als eine Grippe, ist folglich noch keine Verschwörungstheorie. Dass Bill Gates die Bevölkerung zwangsimpfen will, um so die Weltherrschaft zu erlangen, hingegen schon. 

In Zeiten großer Unsicherheit boomen Verschwörungstheorien, denn sie strukturieren die Welt - es gibt einen klaren Feind, den es zu bekämpfen gilt. "Gegen ein Virus kann man nicht auf die Straße gehen", sagt Lamberty.  

3. Welche Rolle spielen die verschiedenen Plattformen?

Verschwörungstheorien findet in besonderem Maß Verbreitung in den sozialen Medien. Zwar versuchen die großen Plattformen wie Facebook und Instagram Falschmeldungen zu unterbinden oder in ihrer Sichtbarkeit einzuschränken - allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. 

YouTube wurde in der Vergangenheit vorgeworfen, der in Richtung maximale Verweildauer getrimmte Empfehlungs-Algorithmus unterstütze durch das Vorschlagen radikaler Inhalte indirekt die Verbreitung von Verschwörungstheorien. YouTube hat daraufhin allerdings seine Algorithmen mehrfach überarbeitet und ist scheinbar auch besser darin geworden , die Verbreitung von Verschwörungstheorien einzudämmen. 

Zum Katz-und-Maus-Spiel zwischen Plattformbetreibern und den Verbreitern von Desinformation gehört es mittlerweile auch, dass manche Inhalte nicht gleich gesperrt, aber als nicht vertrauenswürdig eingestuft werden. Sie sind dann noch verfügbar, sind aber über die Suchfunktion schwieriger aufzufinden und sie werden weniger oder gar nicht mehr als Empfehlung ausgespielt. 

Zur Verbreitung ihrer Videos nutzen Verschwörer auch deshalb immer häufiger Telegram. In der russischen Chat-App lassen sich Nachrichten nicht nur wie auf WhatsApp im Familien- und Bekanntenkreis teilen, sondern es sind auch Gruppen mit bis zu 200.000 Teilnehmern möglich. Inhalte werden kaum überprüft oder eingeschränkt. Deshalb gilt das Netzwerk schon länger als ein beliebtes Kommunikationsmittel der Neuen Rechten und anderer extremistischer Gruppen. 

Der Politikwissenschaftler Josef Holnburger sammelt seit Mitte März gezielt Daten zu Telegram-Kanälen, auf denen Verschwörungstheorien geteilt werden. Holnburger beobachtet rund 400 Kanäle, darunter prominente Verschwörungstheoretiker aus dem deutschsprachigen Raum und Kanäle der Neuen Rechten. Im Zuge der Einschränkungen des öffentlichen Lebens im Kampf gegen die Pandemie erhielten diese Gruppen großen Zulauf. 

Neben Neulingen wie Hildmann sind unter den Verschwörungstheoretikern auch viele zu finden, die sich auch schon früher gegen den Staat und die "Mainstream-Medien" gestellt haben. Oliver Janich etwa warb 2017 für die Wahl der AfD. Seine YouTube-Videos beinhalten teilweise rassistische Aussagen und bedienen antisemitische Verschwörungstheorien. Die Clips haben bis zu 150.000 Aufrufe und die Zahl der Abonnenten seines Telegram-Kanals stieg seit Mitte März von 50.000 auf fast 120.000. Zu den weiteren Profiteuren zählen neben Attila Hildmann Eva Herman, Xavier Naidoo und der Kanal Qlobal-Change.

Am häufigsten geteilt werden in den von Holnburger beobachteten Kanälen übrigens mit Abstand YouTube-Videos. Es folgen Tweets, vor Beiträgen rechtsalternativer Medien wie "Journalistenwatch" oder der "Epoch Times". Die geteilten Inhalte liegen also häufig weiter bei YouTube, während zur viralen Verbreitung und für ungestörte Diskussionen Telegram genutzt wird. 

4. Wie groß ist die Reichweite von Verschwörungstheorien? 

Dass Verschwörungstheorien und radikale Positionen vermehrt auf Telegram geteilt werden, ist eine relativ neue Entwicklung. Die alleinige Zahl der Kanal-Abonnenten sagt jedoch noch nichts über die Unterstützung aus und deckt sich nicht mit der politischen Stimmung insgesamt. 

Das Institut für Demoskopie Allensbach fragt regelmäßig, ob die Bürgerinnen und Bürger die Regierung als stark wahrnehmen. Ende April wurden hier die höchsten Werte seit Beginn der Befragung  im Jahr 1999 gemessen. Und auch bei der Zustimmung zu den derzeitigen politischen Maßnahmen der Corona-Epidemie messen Demoskopen sehr hohe Werte. 70 Prozent hielten bei einer Befragung im Auftrag des SPIEGEL zum 12./13. Mai die getroffenen Maßnahmen für angemessen und in einer weiteren Befragung äußern ebenfalls 70 Prozent der Bevölkerung kein Verständnis für die Proteste gegen Corona-Einschränkungen. 

Selbst auf YouTube zeigt sich ein deutlich differenzierteres Bild, wenn man nicht gezielt auf die Suche nach Verschwörungstheorien geht, sondern ganz allgemein nach Informationen zum Thema Corona sucht. Bei einer neutralen Schlagwortsuche finden sich unter den 100 meistaufgerufenen deutschsprachigen Videos nur drei Videos mit verschwörungstheoretischen Inhalten. Ob YouTube, ähnlich wie wohl bei den empfohlenen Inhalten, allerdings auch bei der Sortierung nach Anzahl der Aufrufe in die Resultate eingreift, ist unklar.

Auch die Zahl der Erwähnungen von Prominenten, die Verschwörungstheorien zu Corona verbreitet haben, erreicht nur niedrige einstellige Werte. Die Zahl der Videos, die über Verschwörungstheorien aufklären, liegt in dieser Auflistung höher.

Mit ihrem schrillen Ton und ihren extremen Theorien gelingt es Verschwörungstheoretikern also zuverlässig Schlagzeilen in den Medien zu produzieren - mit ihren Thesen dringen sie sie auf YouTube allerdings nur vereinzelt durch. 

Deutlich häufiger als klassische Verschwörungstheorien werden unter den 100 untersuchten Videos die Beiträge von sich kritisch äußernden Medizinern, Wissenschaftlern und Journalisten aufgerufen. Immerhin 13 Prozent der Videos stammen entweder direkt von einem der Protagonisten oder beziehen sich auf diese.  

Die ganz überwiegende Mehrheit der Videos hingegen hat keinerlei Bezug zu Verschwörungstheorien oder liefert keine Fundamentalkritik an den Corona-Maßnahmen. Es handelt sich vielmehr um ganz klassische journalistische Inhalte: Nachrichtensendungen, Erklärformate und Reportagen.

Methodik und Quellen

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