"Daily Photo"-Projekte Schau mal, wie die anderen altern

Seit Jahren machen sie jeden Tag das gleiche Bild: "Daily Photo"-Künstler wollen für den Rest ihres Lebens alle 24 Stunden ein Selbstporträt knipsen. Ihre Webseiten werden so zu Glanzstunden des Narzissmus – und einzigartigen Dokumenten des Alterns.
Von Christian Deker

Manchmal entstehen gute Ideen aus Langeweile. Als Markus Pfaff sich im Jahr 2003 eine Digitalkamera kaufte, wusste er damit zuerst nichts anzufangen. Um wenigstens irgendwelche Fotos zu machen, begann er, sich jeden Tag selbst zu fotografieren. Was am Anfang eher eine "blöde Idee" war, ist ihm inzwischen richtig ernst geworden. "Das gehört dazu wie das tägliche Zähneputzen", sagt der Sportstudent mit dem Dreitagebart.

Seit drei Jahren fotografiert er sich nun selbst, um zu dokumentieren, wie er langsam älter wird.  "Irgendwann, wenn ich alt bin, kann ich mir dann meinen Alterungsprozess anschauen", sagt der 27-Jährige. Am Ende eines Jahres schneidet er aus den 365 entstandenen Fotos einen Film zusammen. Damit die Bilder im Film flüssig laufen, nimmt er sich immer aus derselben Perspektive auf.

Markus Pfaff ist ein Perfektionist, wenn es um seine Fotos geht. An manchen Tagen braucht er 20 oder 30 Anläufe, damit Licht, Gesichtsausdruck und Perspektive stimmen. "Mittlerweile ist es so, dass ich kaum Ruhe habe, bevor ich mein Foto gemacht habe," sagt er. Manchmal nervt ihn das Fotografieren aber auch: "Es gab eine Zeit, in der es mir nicht gut ging und ich keine Lust hatte, jeden Tag in die dämliche Kamera zu grinsen." Dennoch war das Foto ein Grund für ihn, wenigstens einmal am Tag zu lächeln. "Wenn es auch noch so dumm lief in meinem Leben - das mit dem Lächeln klappte wirklich!", sagt Pfaff.

Gleiche Person, anderer Mensch

Der erste Fotograf, der seine "Daily Photos" im Internet veröffentlichte, ist der US-Amerikaner Jonathan Keller. Seit dem 1. Oktober 1998 findet man jeden Tag ein neues Porträt auf seiner Website . "Ursprünglich wollte ich den Schwerpunkt des Projekts auf die Unterschiede legen, die man von einem Tag auf den anderen bei sich selbst bemerkt: Gleiche Person, anderer Mensch", sagt Keller. Im Lauf der Jahre stellten sich aber auch langfristige Veränderungen ein, auf die er inzwischen mehr achtet: "Wenn mein Projekt 30 Jahre und länger läuft, werden diese Veränderungen immer mehr sichtbar."

Markus Pfaff achtet dagegen ganz besonders auf den Hintergrund seiner Fotos. Niemals schießt er zwei Fotos vor der gleichen Kulisse. Um sich später zurückerinnern zu können, was er am entsprechenden Tag erlebt hat, versucht er außerdem charakteristische Dinge im Hintergrund aufzunehmen. Beim 1000. Bild waren das ein paar Freunde, bei einem Parisbesuch der Eifelturm.

So ähnlich wie die großen Fastfood-Ketten ruft Pfaff auch verschiedene Themenwochen aus. "Im Juli letztes Jahr habe ich mich nur vor Pflanzen fotografiert und im Dezember bin ich bei den Hintergründen die ganze Farbpalette von weiß über grün bis hin zu rot, blau und schwarz durchgegangen", erzählt er.

Ein etwas anderes Konzept verfolgen die Brüder Sven und Tobias Staude, die sich ebenfalls täglich ablichten  – sie sind Zwillinge. "Wir dachten, dass es bei uns besonders interessant wäre, über die Jahre die Entwicklung zu sehen, wie wir uns auseinanderentwickeln und vielleicht an Ähnlichkeit verlieren", sagt Tobias Staude.

Wegen ihrer unterschiedlichen Wohnorte stellt das Projekt für das Zwillingspärchen eine gewisse Bindung dar. "Wir sind virtuell sehr stark über unsere Website verbunden", sagte Staude. "Auch wenn ich meinen Bruder mal zwei, drei Wochen nicht sehe, sehe ich trotzdem die Fotos: Ist er hingefallen und hat eine Schramme am Kinn oder ist er braun geworden?"

Fanpost von Krankenschwestern

Durch das Fotoprojekt sind die beiden 29-Jährigen noch zu einer ganz anderen Erkenntnis gelangt. Sven und Tobias Staude gingen nämlich immer davon aus, zweieiige Zwillinge zu sein. "Wir haben über unsere Website allerdings viel Feedback bekommen. Mehrere Krankenschwestern aus den USA haben uns geschrieben, dass wir auf keinen Fall zweieiig seien, da wir uns viel zu ähnlich sähen", sagt Tobias Staude.

Mittlerweile sind die Beiden tatsächlich der Auffassung, dass sie eineiige Zwillinge sind. "Wir sind uns wohl doch ähnlicher, als wir bisher wahrgenommen haben", sagt Staude. Ein DNA-Test, der Gewissheit bringen würde, steht noch aus.

Die Daily-Fotografen erhalten überwiegend positive Rückmeldungen aus dem Netz.: "Nur manchmal gab es so Sachen wie: 'Zieh Dir mal ein frisches T-Shirt an!' oder 'Deine Haare sehen doof aus, Du musst mal wieder zum Frisör gehen!'", berichtet Staude.

Mit dem Fotoprojekt gebe er natürlich auch einen Teil seiner Privatheit auf, gesteht Staude. Denn man könnte zum Beispiel nachverfolgen, wann er im Urlaub war oder wann er mehrmals dieselben Hemden und Krawatten anhatte. Dessen sind sich die Zwillinge bewusst – es stört sie nicht.

In manchen Internet-Foren wurde Markus Pfaff der Vorwurf gemacht, er würde sich mit seinen Fotos zur Schau stellen. Er sieht das aber nicht so: "Ich bin der letzte, der in irgendeiner Weise exhibitionistisch veranlagt wäre. Ich habe mir gedacht, wenn ich die Bilder schon jeden Tag mache, kann ich sie ja auch online stellen. Vielleicht interessiert es ja jemanden."

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