Das Beispiel "Far Cry" Spiele - Entwicklungsland Deutschland
Mitten im beschaulichen Coburg hat sich das mittelständische Spiel-Developer-Studio Crytek angesiedelt. 55 Mann legten dort in den letzten Wochen letzte Hand an den Egoshooter "Far Cry". Hinter ihnen liegen vier Jahre Arbeit am ersten Game aus deutscher Produktion, das nicht nur von Flensburg bis Passau die Charts stürmen könnte, sondern auch von Tokio bis Los Angeles. Was machen die drei Brüder und Firmengründer Avni, Faruk und Cevat Yerlin anders, und was machen sie richtig?
SPIEGEL ONLINE: Die deutsche Fachpresse bejubelt momentan ihren Egoshooter "Far Cry", nennt ihn sogar in einem Atemzug mit großen US-Produktionen wie "Half-Life 2". Freut sich auch der Rest der Welt?
Avni Yerli: Sieht so aus. Für "Far Cry" liegen etwa 800.000 Vorbestellungen aus dem Handel vor. Davon 400.000 aus der EU, der Rest aus USA und Fernost. Dass wir weltweit vom Fleck weg so einen großen Erfolg haben, das ist schon riesig.
SPIEGEL ONLINE: Der deutsche Topseller "Anno 1602" hat in Deutschland 1.7 Millionen Käufer gefunden, im Rest der Welt nur 800.000. Warum setzen sich Produktionen made in Germany im Ausland nicht durch?
Faruk Yerli: Das Hauptproblem für deutsche Hersteller ist, dass sie im näheren Umkreis keinen international bedeutenden Vertrieb finden. Es gibt keinen. Unternehmen aus USA, England und Frankreich bestimmen, was in den Handel kommt und was nicht. Also muss man mit Leuten in Los Angeles, London oder Paris verhandeln. Das liegt halt nicht jedem. Dazu kommt eine gewisse Arroganz deutscher Produzenten. Viele glauben, sie müssten der Welt ihre Spiel-Ideen aufdrängen. Dabei gibt es längst weltweit akzeptierte Standards zum Beispiel für die Steuerung von Videospiel-Helden.
Cevat Yerli: Ich glaube, ohne eine Portion Frechheit geht's nicht. Wir sind im Mai 2000 auf die Fachmesse E3 nach Los Angeles gestiefelt, ohne Termin, und haben unser erstes Demo-Filmchen vorgeführt. So kam der Kontakt zum US-Grafik-Unternehmen Nvidia und unserem französischen Vertriebs-Partner Ubi Soft zustande.
SPIEGEL ONLINE: Was haben sie Tolles vorgeführt?
Cevat Yerli: Wir hatten ein Demo-Programm namens "X-Isle" dabei, das einfach hübscher aussah als andere. Man konnte auf einem gewöhnlichen PC durch eine Lagune laufen, die Grasbüschel anfassen, den Wellen zuschauen. Das hat Nvidia und Ubi Soft begeistert. Wir haben einen technischen Vorsprung. Den wollen wir halten. Darum verhandeln wir mit dem Grafiksysteme-Hersteller ATI, um als erste Zugriff auf die Technik der kommenden Videospiel-Generation zu bekommen.
SPIEGEL ONLINE: Woher holen sie sich das Knowhow?
Faruk Yerli: Wir pflegen seit 1997 über unsere Firmenhomepage den Gedankentausch mit Leuten, die sich für Hightech-Gaming interessieren. Da sind Fans und Entwickler dabei, Professoren, alle möglichen Leute. Viele dieser Leute arbeiten heute fest bei uns. Dazu kommen erfahrene Jungs aus Seattle, Vancouver und Los Angeles. Die waren vorher bei Microsoft oder Activision. Wir beschäftigen 35 Leute aus dem Ausland und 20 aus dem deutschsprachigen Raum.
SPIEGEL ONLINE: Wie motivieren sie jemand, aus Los Angeles nach Coburg zu ziehen?
Avni Yerli: Das ist leichter, als viele meinen. Uns bringt schon die Begeisterung für die Arbeit an "Far Cry" zusammen. Und fragen sie mal Jack Manias, unseren Mann aus Los Angeles, dem gefällt es hier sehr gut! Es ist ruhig, sauber, sicher. Wir besorgen unseren Bewerbern Wohnungen und bieten ihnen Freizeitaktivitäten. So klappt das.
SPIEGEL ONLINE: Wo sehen sie Unterschiede beim Ausbildungs-Stand der Leute?
Faruk Yerli: Die erfahrenen Leute müssen wir aus dem Ausland holen. Denn in den USA oder England gibt es eine potente Industrie und eine funktionierende Ausbildung. Die staatlichen Hochschulen lehren Game-Design ganz unverkrampft. In Deutschland sind wir längst nicht soweit. An staatlichen Unis gibt's nur ein paar engagierte Leute wie Professor Wolfgang Strasser von der TU Tübingen, die das Thema Gaming gelegentlich anschneiden. Ansonsten fallen mir nur ein paar private Initiativen ein, zum Beispiel die Games Academy in Berlin. Da dauert ein Studium zwei bis drei Jahre, pro Monat werden um die 900 Euro fällig.
SPIEGEL ONLINE: Warum haben Sie sich für den Standort Deutschland entschieden?
Avni Yerli: Coburg ist unsere Heimat. Wir fühlen uns wohl, und es gibt kaum Standort-Nachteile, zumindest keine finanziellen. Im Vergleich zu anderen Projekten haushalten wir effektiv. Der US-Produktion "Half-Life 2" wird ein Budget von 25 Millionen Dollar nachgesagt. Wir operieren mit vielleicht einem Viertel davon. Einer der Gründe sind niedrige Fixkosten. Wir zahlen zum Beispiel für 1000 Quadratmeter Nutzfläche nur etwa 6000 Euro Miete. Trotzdem bleibt genug Platz für eigene Sound- und Motion Capturing-Studios und eine eigene Qualitäts-Sicherung.
SPIEGEL ONLINE: Apropos Zahlen: Wie konnten sie sechs Millionen Euro Budget auftreiben, wenn sie doch nur ein Grafik-Demo vorzuzeigen hatten?
Cevat Yerli: Jedenfalls nicht mit Hilfe von Banken. Bei Verhandlungen mit Vorständen spürt man, wie wenig sie von Videospielen halten. Banken wollen Sicherheiten, was Handfestes. Das kriegst du aus deutschen Köpfen nicht raus. Software, Filme oder Musik, das sind für Banker abstrakte Werte, nicht greifbar. Sie verstehen nicht, dass wir eine Vision anbieten. Das hat Ubi Soft gleich kapiert und bezahlt uns jetzt. Natürlich nur, wenn sie alle paar Wochen Fortschritte sehen.
SPIEGEL ONLINE: Haben sie sich um staatliche Fördermittel bemüht?
Avni Yerli: Klar. Der bayerische Staat subventioniert neue Technologien mit der "Software-Offensive Bayern". Wir haben uns um 500.000 Euro beworben, die Gespräche liefen gut. Aber nach einem Jahr kam die Absage der Bayerischen Staatskanzlei. Die haben uns am Telefon erzählt, wir seien bekannt als Hersteller des gewaltverherrlichenden Ballerspiel "Far Cry". Damit könne sich Bayern nicht identifizieren, eine Förderung wäre daher ausgeschlossen. Das war's dann.
Die Fragen stellte Richard Löwenstein