Datenschützer gegen Stasi-Opfer Die Rache des Weihnachtsmanns

Beim Berliner Datenschutzbeauftragten gehen seltsame Dinge vor sich: Im Stasi-Stil werden Maßnahmen gegen Domain-Inhaber erarbeitet; ausgerechnet ein ehemaliger SED-Ökonom definiert die Grenzen der Informationsfreiheit. Jetzt gerät die Behörde unter Druck.
Von Henryk M. Broder

Wer die Homepage des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit anwählt, findet da ("Wir über uns") eine launige Selbstdarstellung über einen Ort "im Herzen der Stadt", an dem "eine Gruppe Widerspenstiger unter der Leitung von Hansjürgen Garstka" nicht müde wird, "dem Datenmissbrauch entgegenzuwirken".

Wenn es sein muss, mit fragwürdigen Mitteln am Rande der Legalität.

"Die Behörde geht ohne erkennbare juristische Prüfung vor und handelt rechtswidrig", sagt der Berliner Rechtsanwalt Helmut Nikolaus, ein Experte für Verwaltungsrecht. Er vertritt den Münchener Mario Falcke, einen ehemaligen DDR-Häftling, der von der Bundesrepublik nach 883 Tagen Haft freigekauft wurde und die Website stasiopfer.de betreibt  (SPIEGEL 20/2002 ).

Falcke bekam Anfang April dieses Jahres vom Berliner Datenschutzbeauftragten, dessen Hoheitsbereich an der Berliner Stadtgrenze endet, einen Brief, in dem er bei Vermeidung einer "Freiheitsstrafe oder Geldbuße bis zu 250.000 Euro" ultimativ aufgefordert wurde, ein Link abzuschalten, über das man auf eine US-Website kommt, auf der die Daten von fast 100.000 ehemaligen Stasi-Mitarbeitern gespeichert sind. Die so genannte Fipro-Liste ("Finanzprojekt") wurde schon zu DDR-Zeiten bekannt und ist seitdem an vielen Stellen abrufbar.

Zugleich mit Falcke wurden noch zwei weitere Website-Betreiber angeschrieben und abgemahnt. Katja Ebert in Mochau bei Wittenberg in Sachsen-Anhalt, die mit ihrem Mann Martin die Suchmaschine ddr-suche.de betreibt, und der Berliner Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Martin Gutzeit, ein ehemaliger Bürgerrechtler.

Ist Datenschutz Täterschutz?

Sie sollten doch bitte umgehend, so der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit in unmissverständlicher Sprache, ihre Links zu stasiopfer.de beziehungsweise ddr-suche.de abschalten, denn über diese Sites käme man auch an die Fipro-Liste ran. Es handle sich um "datenschutzwürdige Inhalte", wobei "Gründe zu der Annahme bestehen, dass Betroffene ein schutzwürdiges Interesse am Ausschluss der Übermittlung haben", also ehemalige Stasi-Angehörige nicht geoutet werden möchten, auch wenn das in der Vergangenheit bereits geschehen ist.

Sowohl Falcke wie die Eberts verweigerten sich dem Ansinnen, nur Gutzeit meldete umgehend Vollzug. Der Berliner Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR bedankte sich bei seinem Kollegen, dem Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, "für den Hinweis" und knipste den Link zu www.ddr-suche.de "sofort" ab.

Damit war aber nicht nur die Verbindung zu Falckes Stasiopfer-Site gekappt: www.ddr-suche.de ist ein Katalog mit über 500 Sites, die sich mit der Geschichte der DDR beschäftigen. "Es ist so, als würde man eine Buchhandlung zumachen, weil sie ein Buch anbietet, in dem angeblich jemand beleidigt wird", sagt Martin Ebert und findet den Eifer der Berliner Datenschützer, die sich schützend vor ehemalige Stasi-Mitarbeiter stellen, "mehr als seltsam".

Seltsame Töne

In der Tat stehen in den hausinternen Papieren der Datenschutzbehörde Wendungen und "Einschätzungen", die aufhorchen lassen. In einem "Vermerk" vom 26. April ist die Rede von "Maßnahmen, die ergriffen werden könnten", um Falcke in die Knie zu zwingen. Unter anderem sollte die Gauck-Behörde "den Domainnamen 'stasiopfer' für sich" beanspruchen, "dies würde zwar eine langwidrige (sic!) gerichtliche Entscheidung erzwingen, jedoch den Domaininhaber in Trapp (sic!) und Erklärungsnotstand halten".

Ideen, wie sie früher bei Mielkes in der Normannenstraße ausgebrütet wurden.

"So was nannte man bei der Stasi Maßnahmepläne zur Zersetzung des feindlichen Objekts", sagt Mario Falcke, während man bei der Gauck-Behörde nur die Augen verdreht und jeden Kommentar zum Treiben der Kollegen Datenschützer verweigert.

In einem anderen "Vermerk" vom selben Tag heißt es: "Die Schutzwürdigkeit der Daten im Gesamtbestand wird auch nicht dadurch beseitigt, dass es sich um Daten von Personen handelt, die in einer Institution gearbeitet haben, die sich menschenrechts- und rechtsstaatswidriger Verhaltensweisen schuldig gemacht hat. Dies kann für einzelne Mitarbeiter zutreffen, rechtfertigt aber nicht die Verbreitung von Daten aller Mitarbeiter, die zum Teil ohne jede Verstrickung in Unrechtstaten im MfS gearbeitet haben."

Dagegen haben es sich die Betreiber der inkriminierten Websites "offensichtlich zur Aufgabe gemacht, die Aufklärung der Stasivergangenheit zu fördern", wobei ihr Bemühen "von Hass geprägt ist".

Selbst Mitarbeiter der Datenschutzbehörde empfinden den Fall inzwischen als Peinlichkeit, hätten den Skandal gern vermieden. Zu spät: "Jetzt ist die Scheiße in der Welt", schimpft einer. Die Anwälte der Betroffenen haben Strafanzeige gestellt. Weiter

Auch wenn es gilt, unschuldige Stasi-Leute, die ohne jede Verstrickung in Unrechtstaten dem MfS gedient haben, vor dem späten Hass der Aufklärer zu schützen, geben die Berliner Datenschützer zu, dass sie sich in ihrem Eifer ein wenig verhoben haben. In einem weiteren "Vermerk" vom 7. Juni steht der leicht resignative Satz: "Die Rechtswidrigkeit der Verarbeitung ist von den zuständigen Datenschutzbehörden festzustellen, eine Einstellung der Datenverarbeitung durch Löschen der Daten bzw. Links kann nach der derzeitigen Rechtslage allerdings nur empfohlen, aber nicht verlangt werden."

Inzwischen haben die Berliner Datenschützer eingesehen, dass sie "unzuständig" sind, und die Sache "zur weiteren Bearbeitung" weitergereicht: die Akte Falcke an das bayerische und die Akte Ebert an das Innenministerium von Sachsen-Anhalt.

"Wir müssen konsequent bleiben", sagt Behördenchef Garstka, der nur "Fehler im Procedere" zugibt, "wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass wir inhaltlich im Recht sind und die Verbreitung der Listen unzulässig ist". Allerdings werde die Sache "für die Organisation der Behörde" Folgen haben: "Man lernt aus solchen Fällen."

"Das Ganze ist vollkommen absurd, man müsste Garstka und seinen Leuten das Handwerk legen", sagt Rechtsanwalt Helmut Nikolaus. Die Behörde könne nicht um sich schlagen, Bescheide verschicken, mit Strafen drohen und sich danach auf "Formfehler" herausreden. Auch einige der "Widerspenstigen" im Hause Garstka meinen inzwischen, dass die Situation außer Kontrolle geraten ist. "Wir hätten uns viel ersparen können, jetzt ist die Scheiße in der Welt", sagt ein Mitarbeiter.

Denn jetzt bekommt die Behörde massiven Gegenwind. Rechtsanwalt Nikolaus, der auch das Bürgerbüro berät, hat am Dienstag im Namen von Mario Falcke Klage beim Verwaltungsgericht gegen den Berliner Beauftragten eingereicht, am Mittwoch wird es das Gleiche für die Eberts tun. "Wir haben das Heft des Handelns in die Hand genommen", sagt Nikolaus, "es wird eng für die Behörde, ich bin entschlossen, wirksam zu handeln."

Sein Kollege, Rechtsanwalt Hanns-Ekkehard Plöger, als Fachmann für schwierige Fälle bekannt, hat schon am Montag bei den Staatsanwaltschaften in Berlin und München Strafanzeige gegen Behördenchef Garstka und seinen Mitarbeiter Rainer Metschke gestellt, wegen Beleidigung und übler Nachrede. Zugleich bat er um Prüfung, "ob möglicherweise auch Nötigung und Amtsmissbrauch vorliegen".

Falco Werkentin, selbst DDR-Flüchtling und Stellvertreter von Martin Gutzeit im Amt des Berliner Beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, findet die Lage "peinlich für uns". Er will sich dafür einsetzen, "dass der Link auf www.ddr-suche.de wieder aufgenommen wird". Man habe sich "ins Bockshorn jagen lassen, vom Übereifer eines einzelnen Mitarbeiters".

Datenschutz zu Lasten der Informationsfreiheit

Gemeint ist Metschke, der die Fälle Falcke, Ebert und Gutzeit bearbeitet und angeblich auch mit "Petenten", die sich verletzt fühlten, korrespondiert hat. Metschke, Jahrgang 1955, hat an der "Hochschule für Ökonomie 'Bruno Leuschner'" in Karlshorst studiert und sein Studium 1982 mit einer Doktorarbeit abgeschlossen: "Die Substitution lebendiger Arbeit durch Grundfonds bei der Intensivierung und ihre Entwicklung in Betrieben der Elektroindustrie und des Maschinenbaus".

Im "Literaturverzeichnis", das dreieinhalb Seiten kurz ist, stehen unter anderem vier Werke von Karl Marx, eine Arbeit von Friedrich Engels, das Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und ein "Schlusswort" von Günter Mittag beim Erfahrungsaustausch des ZK der SED. "Die Arbeit in ihrer Gesamtheit", schreibt er in den Vorbemerkungen, "dient der weiteren theoretischen Fundierung von Entscheidungen zur Durchsetzung der Wirtschaftsstrategie der SED."

Heute, 20 Jahre später, arbeitet Rainer Metschke an der Durchsetzung des Datenschutzes zu Lasten der Informationsfreiheit. Obwohl kein Jurist, verfasst er rechtliche Schriftsätze, die, so Anwalt Nikolaus, "sehr dünn und in sich nicht kohärent" sind. Und auf der Website des "Berliner Beauftragten" tritt er als Weihnachtsmann verkleidet auf.

"Das ist die Rache des Weihnachtsmanns", spottet Mario Falcke, "was für ein Glück, dass er nur einmal im Jahr kommt."

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