
Digitaldemokratie Drei Hilflosigkeiten und ein Hoffnungsfall


Menschenmasse
Foto: Markus Schreiber/ APPolitik bedeutet, das Gemeinwesen nicht gegen die Wand zu fahren oder wenigstens nicht mit Vollgas. Naheliegenderweise muss man dazu informiert über die Zukunft nachdenken, um heute schon dorthin zu steuern, wo man morgen landen möchte.
Aber diese Zukunft ist digital vernetzt, und hier sehe ich Anzeichen, dass die Demokratien der Welt von zwei Regungen getrieben sind:
Der digitaldemokratischen Hilflosigkeit einerseits und den verkrampften Versuchen, diese Hilflosigkeit zu verbergen andererseits.
Hilflosigkeit scheint das bestimmende Gefühl der Demokratie im Umgang mit der digitalen Gesellschaft. Drei Aspekte habe ich herausgegriffen, um diesen Eindruck zu illustrieren. Dazu kommt ein Silberstreif am Ende des Tunnels - ich versuche ja derzeit verzweifelt, Optimist zu bleiben.
- Trumps öffentliche Erpressung
Die Trump-Präsidentschaft produziert welterschütternde Nachrichten in beachtlichem Takt: Wenn an einem Dienstag Außerirdische landen würden, wären sie Mittwochnachmittag aus den Schlagzeilen verschwunden.
Trumps Attacke auf die Russland-Ermittlungen hat etwas ebenso Monströses verdrängt: die öffentliche Erpressung des Ex-FBI-Chefs Comey via Twitter. Der mächtigste Mann der Welt schüchtert den wichtigsten Zeugen der Untersuchung gegen seine Administration ein, indem er andeutet, es gäbe Aufnahmen ihrer Treffen im Weißen Haus. Trump hat eine Historie der heimlichen Aufzeichnung , aber darum geht es nicht.
Es geht in der Essenz um Max Webers Definition aus seinem Vortrag "Politik als Beruf" von 1919, nämlich Politik als legitime Gewaltsamkeit, und "heutige Politik wird nun einmal in hervorragendem Maße in der Öffentlichkeit mit den Mitteln des gesprochenen oder geschriebenen Wortes geführt."
Trump wurde oft vorgeworfen, er schaffe via Twitter und mit der Unterstützung reaktionärer bis rechtsradikaler Medien eine Parallelrealität der alternativen Fakten. Mit rund 30 Millionen Followern, der Gewissheit, dass jeder Trump-Tweet als "Breaking News" weiterverbreitet wird, sowie der Tatsache, dass unglaublich viele Menschen eher Trump glauben als der "Lügenpresse" , entsteht in der digitalen Gesellschaft eine neue Qualität.
Direkte Kommunikation der Politik lässt die Exekutiv-Gewalt verschmelzen mit der "vierten Gewalt", den Medien mit ihrer demokratischen Kontrollfunktion. Die öffentliche Erpressung von Trump bricht ungefähr alle ungeschriebenen Gesetze, aber vermutlich keine geschriebenen.
Trumps Tweet ist eindeutig keine legitime Gewaltsamkeit des geschriebenen Wortes, aber nicht verboten oder auch nur sanktioniert. Gegen diesen demokratiegefährdenden Missbrauch der persönlichen Publizität ist bisher kein sinnvolles Gegenmittel erkennbar. Digitaldemokratische Hilflosigkeit.
- "WannaCry", das angekündigte NSA-Debakel
Der digitale Schädling "WannaCry" befiel kürzlich weltweit Computer, um die Zahlung per Bitcoin zu erpressen. Von Anzeigetafeln der Deutschen Bahn bis zu englischen Krankenhaus-Rechnern waren Unmengen von Geräten gesellschaftsrelevanter Digitalinfrastruktur betroffen.
Die Gerüchte, Nordkorea könne dahinter stecken, sind weniger interessant als die Ermöglichungsgeschichte. Denn solche Digitalschädlinge funktionieren nur dann, wenn sie verbreitete Fehler in der Software ausnutzen, etwa im Betriebssystem.
Die digitalen Aktivitäten der NSA aber beruhen in größtem Maße darauf, solche Fehler nicht den Herstellern zur Beseitigung zu melden - weil man sie ausnutzen will. Leider wurde die NSA selbst gehackt, und so wurde ein Teil ihrer Instrumente zum Nutzen dieser Fehler veröffentlicht.
Das ist exakt das digitale Bedrohungsszenario, vor dem seit Jahren im NSA-Kontext gewarnt wird. Wie viele andere davor und danach schrieb ich deshalb im Juli 2014, dass "die radikalste Überwachungsmaschinerie jemals zugleich die radikalste Unsicherheitsmaschinerie jemals ist".
"WannaCry" ist die erste, nachweisbare Quittung der Geheimdienststrategie, bekannte Unsicherheiten für die ganze Welt aus vorgeblichen Sicherheitsgründen in Kauf zu nehmen. Mit dieser Strategie wünsche ich viel Spaß bei der Einführung selbstfahrender, softwaregesteuerter Autos.
CCC-Sprecher Frank Rieger sagte im "Heute Journal" : "Wie viel wollen wir eigentlich den Geheimdiensten angesichts dieser Risiken noch gestatten?" Bestürzenderweise muss man diese logische Frage als rhetorische Frage betrachten, denn die Politik gibt darauf seit 2013 keine Antwort: digitaldemokratische Hilflosigkeit.
- Maas' misslungene Maßnahme
In dieser Woche soll das Netzwerkdurchsetzungsgesetz durchs Parlament, trotz zahlreicher, heftiger Bedenken . Im Wahlkampf, wo das in dieser delikaten Angelegenheit gefragte, demokratische Präzisionsskalpell meist durch die politische Plakativ-Machete ersetzt wird.
Die Probleme Hassrede und Fake News könnten nicht nur, aber auch mithilfe von Gesetzen verbessert werden. Aber nicht so. Denn schon in der Vermischung der sehr unterschiedlichen Themen Hassrede und Fake News zeigt sich: Da hat jemand angesichts der gesellschaftlichen Debatten im Herbst versucht, vermeintliche Gewinnerthemen gesetzlich zu umpuscheln.
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist ein Wahlkampfgesetz. Es soll zeigen: Schaut her, Internetprobleme, aber wir machen was! Etwa so, wie zufällig Ursula von der Leyen 2009 ein paar Monate vor der Wahl entdeckte, dass man unbedingt Netzsperren einführen müsste. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist damit ein Ausweis der Hilflosigkeit: Hass, Fake News - da muss man doch irgendetwas tun!
Also tut man buchstäblich irgendetwas. Um die Ratlosigkeit über die digitale Zukunft zu verbergen. Vorwärts, mit Vollgas in die Richtung, wo vielleicht vorn ist! Eventuell. Oder? Obwohl dringend erforderlich, haben wir einfach noch nicht herausgefunden, wie man digitale Plattformen reguliert, ohne dass die schädlichen Nebeneffekte die gut gemeinten Absichten überlagern: digitaldemokratische Hilflosigkeit.
- Der Hoffnungsschimmer
Im Frühling 2017 war jedoch auch ein Hoffnungsschimmer zu erkennen: in Frankreich. Die vielen Anzeichen der digitaldemokratischen Hilflosigkeit und die Bemühungen, diese Hilflosigkeit zu verdecken - sie entstehen oft, weil die Demokratie mit neuen, digitalen Mitteln gehackt wird.
Trump hackt die Demokratie per Aufmerksamkeitsökonomie, die NSA hackt die Demokratie mit ihrem digitalen Überwachungsradikalismus samt Spätfolgen, Maas wehrt sich mit hilflosen Mitteln gegen das Hacken der Demokratie per Fake News und macht damit alles noch schlimmer.
Im Wahlkampf des neuen französischen Präsidenten Macron aber wendete dessen Team offenbar eine neue Digitalstrategie an. Weil sie wussten, dass sie gehackt werden würden und es mutmaßlich nicht verhindern würden können - bereiteten sie sich darauf in brillanter Weise vor, heißt es.
Macrons Team kannte die Leak-Politik aus dem US-Wahlkampf - und legte eine Vielzahl von echt scheinenden Fake-Accounts an. E-Mail-Adressen, die aussahen, als würden sie von Macron-Mitarbeitern betrieben. Mengen an scheinbar wichtigen, tatsächlich aber unsinnigen Digitaldokumenten. Immer wieder einzelne, offensichtliche Fake-Papiere unter echten Dateien. Die Mitarbeiter sollen sich dann absichtlich mit den Fake-Accounts eingeloggt haben, wenn Phishing-E-Mails der Hacker sie dazu aufforderten.
Wie genial. Geleaktes Material ist dann nicht nur schwieriger und langsamer zu sichten und zu bewerten - das Leak delegitimiert sich auch selbst, wenn ein angebliches Besprechungsprotokoll von Macron für jeden sichtbar zwischendurch ein Rezept für Zwiebelsuppe enthält. "Wie Macron Cyber-Security soeben für immer veränderte", titelte ein Hacker-Magazin .
Und nicht nur das: Macrons Strategie taugt auch als metaphorisches Vorbild für die derzeitigen Probleme der gehackten Demokratie: Wir brauchen intelligente Gegenhacks der Zivilgesellschaft, wider die demokratische Hilflosigkeit.