
Breitbandausbau Deutschland, dein Lobbyproblem


Kabeltrommel mit Leitungen für Breitbandkabel
Foto: Carsten Rehder/ dpa"Im Moment haben wir ja das Problem, dass die Telekommunikationsunternehmen auch ihre 100 oder 200 Mbit/s-Anschlüsse nicht loswerden", erklärte die Internetexpertin der CSU, Dorothee Bär zu den Digitalplänen der kommenden Bundesregierung. Bär ist ohne Zweifel sehr sachkundig. Das aber macht ihre Aussage zugleich erstaunlich, skandalös und unerstaunlich.
- Erstaunlich ist, dass Bär den angeblich mangelnden Verkaufserfolg als eigentliches Problem hinstellt. Denn bisher kann nur eine Minderheit der deutschen Haushalte das angeblich ungewünschte Produkt überhaupt kaufen, und das fast nur in größeren Städten. In der wichtigsten Breitbandstatistik des zuständigen Ministeriums ist ernsthaft "größer 50 Mbit/s" die schnellste Internetkategorie. Ironie der Realität: An drei zufällig ausgewählten Standorten von Bärs Geburtsstadt Bamberg (Moosstr. 10, Vogtstr. 2, im Gewerbegebiet Am Börstig 25) beträgt die von der Telekom angebotene Maximalgeschwindigkeit 16 Mbit/s (Stand 13. Februar 2018). Tja, warum nur kaufen so wenig Leute 100 Mbit/s?
- Skandalös an Bärs Aussage ist, dass sie exakt die Perspektive der Konzerne übernimmt, die neben der Politik eine große Mitschuld an der Breitbandmisere tragen. Ihre Formulierung verschiebt nämlich die Verantwortung für die schlechte Breitbandversorgung auf die Kunden. So blendet sie aus, dass neben der erwähnten Verfügbarkeit auch Preis, Upload-Geschwindigkeit, Drosselung und Vertragsbedingungen eine erhebliche Rolle beim Verkauf spielen.
- Unerstaunlich an Bärs Aussage ist schließlich ihre Existenz, denn die regierende Politik kommuniziert im Digitalbereich auffällig konzernnah. Die Politiker tun das oft auch, wenn es den Bevölkerungsinteressen erkennbar entgegensteht. Die Telekom erklärte 2017 , dass 100 Mbit/s derzeit ausreichen, was zufällig auch der für sie flächig erreichbaren Maximalgeschwindigkeit entsprach. Dorothee Bär gibt dieser Argumentation politische Rückendeckung, als sei sie Interessenvertreterin der Telekom.
Exakt das ist eines der größten deutschen Digitalprobleme: der Unwille, digitalgesellschaftlich sinnvolle Positionen auch dann zu vertreten, wenn sie mächtigen (deutschen) Altunternehmen entgegenstehen. Das deutsche Lobbyismus-Problem lässt sich sehr gut rund um die Digitalisierung erkennen.
In diesem Kontext ist interessant, dass die Große Koalition auf Druck der CSU soeben ein Lobbyregister verhindert hat. Damit will ich explizit nicht unterstellen, dass Dorothee Bär oder die CSU bestechlich seien. Aber die Transparenz, die das Register hätte bringen können, wollte die CSU trotzdem nicht herstellen.
Ungenauigkeit, Unwahrheit, Lügen
Dass die Zivilgesellschaft - Verbände, Aktivisten und auch Unternehmen - Einfluss auf die Politik nehmen kann, ist zunächst sinnvoll und gehört zu einer liberalen Demokratie. (Ich betrachte mich selbst auch als eine Art "Zivillobbyist".) Katastrophal wird Lobbyismus, wo der Anschein der Käuflichkeit entsteht. So wie beim ehemaligen SPD-Kanzler Schröder.
Doch die Schwierigkeiten fangen natürlich schon früher an: Wo gewählte Volksvertreter Unternehmensinteressen gegen öffentliche Interessen verfolgen. Wo verborgene Absprachen stattfinden und wo - oft ein Hinweis auf Lobbyeinfluss - abseits der Realität argumentiert wird.
Faktische Ungenauigkeit, politische Unwahrheit oder dreiste Lügen sollen dann helfen, lobbymotivierte Entscheidungen zu vernebeln. Und in der deutschen Digitalpolitik sind realitätsaverse Argumentationen bisher eher die Regel als die Ausnahme. Das zeigt sich schon bei der digitalen Infrastruktur:
- Das deutsche Breitbanddebakel entstand aus der Unwilligkeit, Telekommunikationskonzerne sinnvoll zu regulieren.
- Die löchrigen Konzepte zur Netzneutralität müssen als lobbygetrieben verstanden werden.
- 2015 zahlte man in Deutschland für mobile Daten bis zu fünfzig Mal mehr als in Finnland .
- Die Abschaffung absurd hoher EU-Roaminggebühren fürs Surfen und Telefonieren im Ausland wurde jahrelang verschleppt.
- Die politische Förderung des "Vectoring" verzögerte nicht nur Glasfaseranschlüsse, sondern stellt noch heute einen riesigen Kontrollvorteil für die Telekom dar.
Hier wirkten eisenharte Lobbybemühungen im Hintergrund. Und jedes Mal wurden angebliche Verbraucherinteressen vorgeschoben, als hätten sich die Leute damals dringend gewünscht, im EU-Ausland im Schnitt 2,60 Euro je Megabyte zu bezahlen, wenn sie dort mobil surfen wollten.
Die Brüder von Klaeden
Ein anderes Beispiel zeigt die schädliche Wirkung des Lobbyings im Digitalbereich noch deutlicher: das von der schwarz-gelben Regierung eingeführte Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Dieses Gesetz existiert nur, weil Teile der deutschen Presseverlegerschaft Werbegelder von ihren Druckerzeugnissen in Richtung Google abfließen sahen. Also konstruierte man die Erzählung, dass der Erfolg von Suchmaschinen eigentlich auf den Leistungen der Presseverleger beruhe, um Geld von Google zu bekommen.
Die Bundesregierung übernahm diese absurde Argumentation, die vor allem vom Axel-Springer-Verlag geprägt wurde. Besonders interessant wird diese Form des Digitallobbyings, wenn man weiß, dass zu dieser Zeit Eckart von Klaeden Staatsminister im Kanzleramt war. Sein Bruder Dietrich von Klaeden war gleichzeitig beim Axel-Springer-Verlag als "Leiter Regierungsbeziehungen" im Lobbyteam, das für die Einführung des Leistungsschutzrechts zuständig war.
Unzulässige Einflussnahme wurde stets bestritten. Die parlamentarische Kleine Anfrage, ob und wie Eckart von Klaeden mit dem Leistungsschutzrecht "befasst" gewesen sei, wurde so beantwortet : Er sei "mit keinen Aufgaben betraut" gewesen. Streng gelesen passt zwischen "befasst" und "mit Aufgaben betraut" jede Menge Einflussnahme. Gerade in solchen Amtspapieren - wo harte Lügen sogar Straftaten sein könnten - muss man streng lesen.
Null Euro für die Presseverleger
Das Lobbygeschmäckle vervollkommnet sich, wenn man sich erinnert, dass Eckart von Klaeden inzwischen Lobbyist für Daimler ist und die Staatsanwaltschaft bei seinem Wechsel vom Kanzleramt wegen des "Anfangsverdachts der Vorteilsnahme" ermittelte (das Verfahren wurde eingestellt).
Auch in den neuen schwarz-roten Koalitionsvertrag hat das Leistungsschutzrecht Eingang gefunden. Es soll sogar auf EU-Ebene verankert werden. Eigentlich sollte das Gesetz "evaluiert" werden, geschehen ist das nicht.
Funktioniert hat das Gesetz aber nie. Google hat in dieser Sache seit 2013 insgesamt null Euro an die Presseverleger überwiesen. Weil es Konkurrenz erschwert, stärkt das Gesetz den Konzern sogar eher noch.
Sind die doofen Kunden schuld?
Das Beispiel Leistungsschutzrecht zeigt deutlich, weshalb diese Form des Lobbyings im Digitalbereich so schädlich wirkt. Der digitale Wandel erfordert Rahmenbedingungen, die jungen Unternehmen die Möglichkeit geben, neue Geschäftsmodelle aufzubauen. Lobbyismus in Deutschland besteht - entgegen aller politischen Beteuerungen - aber vor allem aus politischem Bestandsschutz für veraltete Geschäftsmodelle gegen jede wirtschaftliche Vernunft, betrieben quer durch die Parteien von SPD über Union bis FDP.
Dieses Prinzip wirkt beim noch immer subventionierten Diesel, beim beschriebenen Leistungsschutzrecht, beim Urheberrecht. Es offenbart sich ein tiefes Misstrauen gegenüber dem digitalen Wandel, aufrechterhalten zwischen kurzsichtig lobbyierenden Konzernen und einer allzu beeinflussbaren Politik. Und in dieser verschobenen Welt, ja, da ist das Problem wirklich, dass die doofen Kunden das schnelle Internet einfach nicht wollen.