Netzwerker-Staat Island Die Facebook-Insel

Wer hier nicht auf Facebook ist, der verpasst wirklich was: Vier von fünf Isländern sind bei dem sozialen Netzwerk Mitglied - ein weltweit rekordverdächtiger Wert. Wie konnte das passieren und wie lebt es sich als Verweigerer des Milliarden-Netzwerks? Vier Isländer berichten.
Von Clemens Bomsdorf
Politikerin Birgitta Jonsdottir vor dem isländischen Parlament: Ein Land auf Facebook

Politikerin Birgitta Jonsdottir vor dem isländischen Parlament: Ein Land auf Facebook

Foto: HALLDOR KOLBEINS/ AFP

Wenn ein Land das Milliarden-Netzwerk Facebook nicht braucht, dann ist es Island. Denn der Inselstaat hat so wenige Einwohner, dass man selbst in der Hauptstadt kaum durchs Zentrum gehen kann, ohne täglich mindestens einem Dutzend Freunden oder Bekannten zu begegnen. Neuigkeiten können da wie früher auf dem Dorf einfach beim Tratsch im Geschäft oder auf dem Bürgersteig ausgetauscht werden. Gleiches gilt natürlich für Einladungen zu Partys oder Abendessen. Und doch gehört Island laut einschlägigen Statistiken zu den Ländern, in denen der Anteil der Facebook-Nutzer an der Bevölkerung besonders groß ist.

Laut Socialbakers.com  sind in Deutschland rund 30 Prozent der Bevölkerung auf Facebook angemeldet - in Island sind es mehr als 70 Prozent. "Wir sind sehr technikaffin, fast jeder hat einen Internetanschluss, und da ist es klar, dass Island auch bei Facebook weit vorne liegt", sagt Valgeir Magnusson, Geschäftsführer der Werbeagentur Pipar-TBWA in Reykjavík. Er geht sogar davon aus, dass fast 80 Prozent der Bevölkerung bei Facebook registriert sind.

Kontakt halten und Demokratie erneuern

Offizielle Statistiken würden häufig die über 65-Jährigen nicht mitzählen, doch in Island seien auch diese zum großen Teil dabei. "Hier schreiben sich Großeltern und Enkel gegenseitig auf die Pinnwand. Als ich jung war, hätte ich nicht gewollt, dass meine Familie immer weiß, was ich mache, und alle meine Partybilder sieht, aber das ist bei den jungen Leuten heute wohl anders", so Magnusson. Er meint, dass die hohe Quote von Facebook-Nutzern nicht allein damit zu erklären ist, dass die Isländer technikverliebt sind und deshalb bei vielem Europa um ein Jahr voraus seien.

"Dass hier so viele bei Facebook sind, kommt sicher auch daher, dass so viele Isländer zeitweilig im Ausland leben oder studieren. Dann ist es ein gutes Tool, um Kontakt zu halten", sagt Magnusson. In seinem Büro arbeiten sechs der 32 Angestellten im Social-Media-Segment. "Das ist ein höherer Anteil als bei den meisten unserer Partnerbüros im Verbund von TBWA", so Magnusson, der mit seinen Mitarbeitern unter anderem die isländischen Facebook-Auftritte für Volkswagen und Kentucky Fried Chicken entwickelt hat.

Das soziale Netzwerk aus den USA hat sogar die Politik beeinflusst. Ähnlich wie es in Deutschland die Piraten parteiintern machen, diskutieren die Isländer politische Vorschläge parteiübergreifend. Nachdem die Isländer mit dem 830 gegründeten Althingi das älteste Parlament der Welt haben, werden sie nun womöglich - Facebook und anderen Werkzeugen sei Dank - in Sachen Internetdemokratie Geschichte schreiben.

Wie verändert Facebook den Alltag? Vier Isländer erzählen:

Sigurður Páll Ásgeirsson, 16 Jahre, Schüler, Facebook-Freunde privat

"Als ich vor vier Jahren Mitglied bei Facebook wurde, war ich einer der ersten in meinem Freundeskreis. Heute fällt mir niemand in Island ein, der nicht dabei ist. Doch, mein Onkel, aber der ist schon 60 und mein kleiner, vierjähriger Bruder hat auch keinen Account. Noch nicht. Auch wenn ich meine Freunde jeden Tag in der Schule sehe, kommuniziere ich gerne danach noch per Chat oder Nachrichten auf der Pinnwand mit ihnen. So weiß ich immer, was Sache ist und was wer gerade macht. Viele Einladungen und so würde ich ohne Facebook womöglich gar nicht bekommen. Aber weil in meinem Freundeskreis alle dabei sind, ist jeder immer informiert.

Wenn ich einen Film auf dem Computer sehe, ist Facebook im Hintergrund immer offen, so dass ich über Neues informiert werde. Seit Sommer habe ich außerdem ein iPhone und bin auch damit meist eingeloggt. Trotzdem telefoniere ich aber auch noch mit meinen Freunden. Außerdem gehöre ich auch nicht zu denen, die sich gar nicht von Facebook lösen können. Wenn ich im Urlaub bin, dann interessiert mich das fast gar nicht.

Eigentlich ist Facebook bei mir nur tagsüber in der Schule abgeschaltet. Denn wir benutzen Computer eher selten im Unterricht. Aber dann sehe ich meine Freunde ja real."

Ásgeirssons Facebook-Profil ist nicht öffentlich.

Foto: Nils Wiberg

Nils Wiberg, 29, Designer, Facebook-Verweigerer

"Ich gehöre zu den wenigen auf Island, die Facebook nicht nutzen. Das ist eine bewusste Entscheidung, die ich gefällt habe, damit Technologie nicht mein Leben bestimmt. Aber natürlich hat das auch negative Folgen. Mir entgeht sicher einiges. Gleichzeitig ist das nicht unbedingt wirklich schlimm. Als Outsider muss ich wirklich mit Leuten sprechen und sie treffen, um auf dem Laufenden zu bleiben. Und die Leute treffen mich gerne, weil sie alles erzählen können, was sie auf einer Reise erlebt haben. Schließlich habe ich deren Status-Updates nicht gelesen.

Geschichten erzählt zu bekommen, das gefällt mir. Diejenigen, die ich nicht zufällig in der Stadt sehe, müssen mir eine E-Mail schicken oder mich anrufen, um mich zu Partys oder so einzuladen. Dadurch merke ich, wer meine wirklichen Freunde sind. Wann immer ich sage, dass ich Facebook nicht nutze, gibt es jemanden, der sagt 'Oh, das würde ich auch gerne'. Aber dann machen sie es doch nicht."

Birgitta Jonsdottir, 45, Politikerin und Aktivistin, 4978 Freunde auf Facebook

"Facebook ist sehr wichtig. Seit so viele Facebook nutzen, finden viel mehr Diskussionen statt - nicht nur über private Dinge, sondern auch über Politik. Selbst die, die sonst sozial mehr isoliert sind, sind ziemlich aktiv. Das Gleiche gilt für abgelegene Orte. Ich finde das wichtig, schließlich lebt die Demokratie von Gesprächen und vom Mitmachen.

Dass Island besonders weit vorne ist, was Bürgerbeteiligung via Internet angeht, hängt auch damit zusammen. Die Leute sind es gewohnt, Tools wie Facebook zu nutzen und darüber zu kommunizieren. Das macht es leichter, ähnliche Plattformen zu nutzen, auf denen politische Ideen und ganz konkrete Gesetzesvorschläge diskutiert werden. Bürger bekommen so viel mehr Möglichkeiten mitzuwirken.

Die Stadt Reykjavík nutzt eine solche Plattform, um Bürger einzubinden. Sie heißt Better Reykjavík. Die fünf Top-Ideen jedes Monats gehen in den Stadtrat. Ein einfaches Plugin ermöglicht es, sich über den Facebook-Account einzumischen."

Hier geht es zu Jonsdottirs Facebook-Profil .

Erla Björk Ólafsdóttir, 38, Molekularwissenschaftlerin, 191 Freunde auf Facebook

"Facebook wird von den meisten Leuten in meinem Bekanntenkreis viel genutzt. Bei täglichen Gesprächen zitieren die Leute oft Sachen, die auf Facebook geschrieben wurden - was jemand gesagt oder getan hat oder wie ein Eintrag kommentiert wurde. Wer Facebook nicht oder wie ich selten benutzt, kann wichtige Dinge verpassen. Ich habe sogar einmal den Geburtstag vom Sohn meines Bruders verpasst, weil ich nur über Facebook eingeladen wurde. Weil ich mich aber nicht oft einlogge, habe ich die Einladung nicht rechtzeitig gesehen. Jetzt bekomme ich immer eine telefonische Sondereinladung von meinem Bruder. Außerdem versuche ich seither, etwas öfter bei Facebook zu sein als früher, um keine Veranstaltungen oder Einladungen zu verpassen. Wenn ich dann eingeloggt bin, bleibe ich nur kurz, schaue schnell Nachrichten und Posts an, weil es mich nicht interessiert, lange drin zu sein."

Ólafsdóttirs Facebook-Profil ist nicht öffentlich.

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