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Zehn Jahre »Die Mensch-Maschine« Warum mich Sascha Lobo manchmal sehr traurig macht

Liebe Leserin, lieber Leser,
auf den Tag genau zehn Jahre ist es her, dass Sascha Lobo die erste Ausgabe seiner Kolumne »Die Mensch-Maschine« auf – damals noch – SPIEGEL ONLINE veröffentlicht hat (und zwar diese hier). Und seit fast neun Jahren gehört es zu meinem Job, seine Texte zu lesen. Deshalb möchte ich diesen Newsletter nutzen für eine kleine Lob(o)hudelei mit zehn Lesetipps aus zehn Jahren.
Eine Dekade gilt in der Welt der Technologie als Ewigkeit, deshalb wundert es kaum, dass manche Kolumnentexte in diesem Zeitraum nicht gut gealtert sind; sie sind schlicht nicht mehr aktuell. Viel schlimmer finde ich hingegen: Erschreckend viele Texte von Sascha Lobo sind gut gealtert. Das liegt einerseits an Saschas Hellsichtigkeit und daran, dass er den Einfluss der Digitalisierung auf die Gesellschaft gut verstanden hat und gut erklären kann.
Leider hilft das andererseits offenbar wenig: Netzpolitik und netzpolitische Debatten sind bis heute häufig von einer Ahnungslosigkeit geprägt, gegen die auch ein Sascha Lobo offenbar nicht anschreiben kann. Wie klar und präzise er auch ein netzpolitisches Debakel in Deutschland benennen mag (wie hier etwa im Jahr 2013 geschehen), so bleibt es gut möglich, dass sich auch mehrere Jahre später netzpolitisch nichts zum Besseren gewendet hat (wie eine Kolumne aus dem Jahr 2017 zeigt).
Gefährliche Trias: Ahnungslosigkeit, Topflappigkeit und Knalldackeligkeit
Saschas Texte führen mir immer wieder vor Augen, dass sich Digitalisierungsdebatten oft jahrelang kaum vom Fleck bewegen. Dass Computer zwar mehr genutzt, aber nicht mehr verstanden werden. Dass ein selbstverständlicher Umgang mit dem Internet nicht zu mehr Verständnis des Internets führt. Auch nicht bei Politikern. Und das macht mich dann manchmal sehr traurig.

Sascha Lobo auf der re:publica in Berlin (Archivbild): Kritiker der Knalldackel
Foto: Britta Pedersen/ dpaUmso dankbarer bin ich für Saschas unaufhörliches Anschreiben gegen die gefährliche Trias Ahnungslosigkeit, Topflappigkeit und Knalldackeligkeit – und das auch noch mit schönen Worten. Das heitert mich dann wieder auf.
Nach den Enthüllungen der Überwachungspraktiken amerikanischer Geheimdienste durch Edward Snowden etwa hat Sascha in seinen Texten mehr als ein Jahr lang den Schwerpunkt auf Überwachung gelegt und sich trotz aller Zähigkeit des Themas und trotz aller netzpolitischer Widrigkeiten seine Müdigkeit nicht anmerken lassen. »Auf in den aussichtslosen Kampf«, schrieb er noch 2014 voller Elan. »Der Kampf gegen Totalüberwachung und für die Gesundung des Internets ist so aussichtslos wie notwendig. Er muss geführt werden, technisch, politisch, gesellschaftlich.« Ich hoffe, dass sich unser Netzkolumnist diesen Kämpfergeist noch lange bewahrt.
Hier nun zehn persönliche Lesetipps aus zehn Jahren:
2011
Nie zuvor war so viel Ich: Seine eigenen digitalen Hinterlassenschaften quälen Sascha Lobo. Wie peinlich das oft war, was man da so geschrieben hat! Immerhin: Vielleicht sorgt das Internet am Ende dafür, dass wir den früheren Versionen unseres Ichs mit mehr Toleranz begegnen.
2012
Die größte digitale Lüge: Wir haben uns daran gewöhnt, mit einem Klick in AGB und andere Endlostexte einzuwilligen, die wir niemals lesen – weil es so bequem ist. Weil wir alles immer überall sofort wollen. Aus unserer selbst verschuldeten Unmündigkeit kann uns nur Nerdigkeit retten.
2013
Mein Weg zum Ekel: Auch Wochen nach den Enthüllungen über die Überwachung des Internets durch Geheimdienste verhält sich die Bundesregierung weitgehend passiv. Wut reicht da nicht mehr aus, um die Gefühle eines Netzbewohners zu beschreiben.
2014
Auf in den aussichtslosen Kampf: Der Spähskandal ist keine Überraschung? Außerdem kann man eh nichts dagegen unternehmen? Alles Ausreden. Der Kampf gegen die Totalüberwachung ist so aussichtslos wie notwendig. Und jedes Schrittchen zählt.
2015
Wehren Sie sich! Halt – klicken Sie nicht weg! Obwohl es um Überwachung geht. Denn heute hat die Bundesregierung die neue Version der Vorratsdatenspeicherung vorgestellt. Ich möchte Sie gern davon überzeugen, sich dagegen zu wehren.
2016
Was ist das für eine komische Geste beim Telefonieren? Auf der Straße ist etwas anders geworden: Menschen halten sich ihr Smartphone nicht mehr ans Ohr, sondern vor die Nase. Warum machen die das?
2017
Man hat uns fliegende Autos versprochen, verdammt! Im April 2017 hat der Wettlauf um das fliegende Auto begonnen. Das mag nach Freiheit klingen, könnte aber zum Gegenteil führen.
2018
Warum ist das Internet in Deutschland so langsam? Jahr für Jahr verspricht die Regierung schnelles Netz für alle. Doch selbst bis 2025 wird wohl nichts draus. Die Wahrheit über das Breitbandversagen: Die meisten Versprechen waren nicht ernst gemeint.
2019
Wie E-Scooter in Deutschland eingeführt werden: Alle meckern über die neuen Elektroroller. In Sachsen verspotten sie ihn sogar als »Merkelroller«, weil die Kanzlerin ihn als eine der wenigen gut findet. Alles Kulturpessimisten, wie der geheime Plan zur Einführung zeigt.
2020
QAnon: Verschwörungs-Ideologie zum Mitmachen: Eliten, die Kinder aufessen? Auf der Berliner Corona-Demo waren teils abstruse Erzählungen zu hören. Sie gehören zur derzeit erfolgreichsten Verschwörungsideologie im Netz: QAnon. Der Spott fällt leicht, ist aber falsch.
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Fremdlinks: drei Tipps aus anderen Medien
»Ein guter Zeitpunkt, WhatsApp Lebewohl zu sagen« : Es ist – auch von vielen Journalisten – wohl einiges missverstanden worden, was die neuen Nutzungsbedingungen von WhatsApp angeht. Dabei ändert sich für Nutzerinnen und Nutzer in Europa gar nicht so viel. Simon Hurtz erklärt auf Sueddeutsche.de , warum es trotzdem eine gute Idee ist, sich nach Alternativen umzusehen.
»›Your Cock Is Mine Now‹: Hacker Locks Internet-Connected Chastity Cage, Demands Ransom« : Im Oktober machte die Nachricht die Runde, dass Hacker einen per App steuerbaren Keuschheitsgürtel beziehungsweise »Peniskäfig« dauerhaft verschließen konnten (auch wir haben berichtet). »Vice« veröffentlicht nun weitere Details zu den Erpressungsversuchen der Hacker und zeigt damit eindrücklich, wie gefährlich smartes Sexspielzeug werden kann.
»Wetten, wir leben noch?« : Ein Optimist und ein Pessimist haben im Jahr 1995 um 1000 Dollar miteinander gewettet: Wird bis 2020 die Gesellschaft durch Computer und Technik zerstört werden? Wie die Wette ausgegangen ist, erfährt man ausführlich in englischer Sprache in der »Wired« oder gut zusammengefasst auf Deutsch bei den Kollegen von »Zeit Online« .
Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche, trotz allem.
Judith Horchert