Digital-Pioniere Acht Menschen, die an der Zukunft arbeiten
1. Kate Crawford, Internetforscherin

Kate Crawford auf der re:publica in Berlin
Foto: CC BY-SA 2.0 re:publica/Gregor FischerKate Crawford telefoniert noch mit Amerika. Als sie auflegt, strahlt sie: Das Weiße Haus ist an Bord. Sie wird für die US-Regierung eine Workshop-Reihe organisieren, zu den sozialen Folgen von künstlicher Intelligenz (KI).
Dann kann unser Gespräch losgehen. Wir treffen uns Anfang Mai in Berlin, Crawford ist in der Stadt für einen Vortrag auf der Netzkonferenz re:publica. Sonst forscht und schreibt sie, etwa am MIT oder für Microsofts Think Tank in New York, über KI, Big-Data-Prognosen und die moralischen und gesellschaftlichen Probleme, die daraus entstehen - Fragen, die mit dem Vormarsch von KI in unseren Alltag drängender werden.
Wir unterhalten uns vor allem über Manipulationen bei Suchmaschinen und in sozialen Netzwerken - und ihre Auswirkungen auf die bevorstehende US-Wahl. Facebook könne eine Wahl drehen, meint Crawford. Schon an jenem Abend sagt sie, sie "erwarte eine heftige Diskussion darüber, wie Wahlen mithilfe von Daten beeinflusst werden können". So kommt es Ende des Jahres nach dem Wahlsieg Donald Trumps dann auch.
Crawford glaubt, dass sich die Tech-Firmen selbst Ethikregeln geben müssen: was sie mit den Daten der Nutzer machen und mit wem sie sie teilen; unter welchen Voraussetzungen sie ihre Mitglieder als Versuchskaninchen in Experimenten einsetzen. Und sie gibt sich überzeugt, dass die Tech-Konzerne allein zu einer guten Lösung finden werden. Zum Abschied empfiehlt sie mir aber ihre aktuelle Lieblingsserie "Mr. Robot" - ein Hacker-Drama, das auch die böse Seite einer sehr mächtigen Firma zeigt.
(Fabian Reinbold)
2. Paola Antonelli, leitende Kuratorin für Architektur und Design am Museum of Modern Art (MoMA) in New York

Paola Antonelli
Foto: Robin HollandPaola Antonelli ist die Frau, die Spiele wie "Pac-Man" oder das @-Zeichen ins Museum gebracht hat. Als leitende Kuratorin für Architektur und Design am New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) findet Antonelli in jedem noch so alltäglichen Gegenstand das Außergewöhnliche. Ihre Entscheidung, sogar Q-Tips zum Ohrenausputzen einen Platz im MoMA zu verschaffen, ist für mich so ein Beispiel.
Im Interview sprach ich mit ihr über ganzheitliches Design und das Smartphone als Krücke der modernen Technik, die wieder verschwinden wird. Mich beeindruckt Antonelli, weil sie unseren Alltag der Zukunft klarer vor Augen hat, als die meisten das je könnten. Und weil sie Technik und Software nicht aus ihrer Arbeit ausschließt, sondern explizit miteinbezieht - in der Kunstwelt keine Selbstverständlichkeit.

Technik und Design: Die Digital-Ära kommt ins Museum
Antonelli war auch Zeugin meines peinlichsten Interviewerlebnisses 2016. Wegen der Zeitdifferenz zur US-Ostküste kontaktierte ich Antonelli vom Küchentisch aus, den Laptop mit geöffneter Videosoftware vor mir. Nicht bedacht hatte ich, dass meine Katze wie jeden Feierabend Aufmerksamkeit einfordern würde: Während des Videochats sprang Romy auf meinen Schoss.
Unauffällig drückte ich sie eine Zeit lang mit meinem Arm unter den Bildschirmrand. Das gefiel ihr nicht, sie sprang auf meine Tastatur, Hintern in Richtung Laptop-Kamera. Von der anderen Seite kam ein schallendes Lachen. So habe ich erfahren, dass Antonelli eine große Katzenliebhaberin ist. Romy durfte dem Rest des Gesprächs auf meinem Schoß beiwohnen, ab und zu wischte ihr Schwanz durchs Bild.
(Angela Gruber)
3. Edgars Rozentals, Firmengründer und Geschäftsführer von Airdog

Matthias Kremp (hinten) beim Treffen mit Rozentals
Foto: SPIEGEL ONLINEAls ich Edgars Rozentals im Januar 2015 zum ersten Mal traf, führte er den ersten Prototyp der Airdog-Drohne an einer Leine vor. Zum Namen der Drohne passte das: Hund, Leine, Gassi gehen.
Aber Rozentals hatte anderes vor. Er wollte zeigen, wie der Quadrocopter seinem Besitzer bei Action-Sportarten folgen kann. Für den Adrenalin-Junkie, der sich beim Kitesurfen erst ab Windgeschwindigkeiten von über 50 Stundenkilometern wohlfühlt, eine unerfreuliche Situation. Doch den Veranstaltern der CES in Las Vegas ging Sicherheit vor: Nur mit Sicherungsleine waren Flugvorführungen erlaubt.

"Airdog": Ausritt mit Drohne
Ein Jahr später, im Januar 2016, ging Rozentals deshalb auf Nummer sicher. Statt mir die fertige Drohne wieder an der Leine vorzuführen, erwartete er mich bei frostigen Temperaturen mit ein paar Mountainbikes in der Wüste Nevadas. Selten hatte ich bei einer Produktvorführung so viel Spaß.
Dass inzwischen etliche Hersteller ähnliche Funktionen wie Airdog in ihre Fluggeräte einbauen, dürfte dem lettischen Unternehmer wenig Sorge bereiten. Die meisten Drohnen nämlich schaffen die Verfolgung nur bei geringen Geschwindigkeiten. Die Airdog hingegen beschleunigt bis auf 65 km/h und kann damit auch einen Skifahrer bei der Schussfahrt filmen, wobei viele andere Drohnen versagen würden. Ich bin schon gespannt, was Airdog auf der CES 2017 zu präsentieren hat.
(Matthias Kremp)

James Jensen auf der VR Now Con in Potsdam
Foto: Grzegorz Karkoszka4. James Jensen, Mitgründer von The Void
Das Thema Virtual Reality (VR) hat mich das ganze Jahr begleitet: Ich habe alle wichtigen neuen Brillen beurteilt, in einem Mixed-Reality-Video mitgespielt, einen Philosophen zu VR-Sex-Apps interviewt und mich mit in den USA mit VR-Storytelling-Pionieren wie Nonny de la Peña getroffen. Nur eine Sache hätte ich gern noch ausprobiert: The Void, ein Erlebniskonzept, dass "Hyper-Reality-Erfahrungen" verspricht (und dessen Grundzüge man bei Madame Tussauds in New York schon testen kann ).
Auf der Potsdamer Konferenz VR Now Con konnte ich im November James Jensen treffen, den Chief Visionary Officer der US-Firma. 2017 will The Void in Utah eine Art VR-Erlebniscenter aufmachen, samt eigener Brillen und Ausrüstung sowie exklusiven Erlebnissen für mehrere Spieler gleichzeitig. Eine weitere Besonderheit: Gegenstände, die man in der virtuellen Welt sieht, sollen physisch vorhanden sein. Wer also in der VR-Welt eine Bank erblickt, kann sich auch auf sie setzen. Sie sieht in echt wohl nur nicht so spektakulär aus wie in VR.

Zukunftstechnik: Was ist Virtual Reality?
Noch lässt sich schwer einschätzen, ob The Void so gut ist, wie Jensen verspricht. Er vermittelt aber überzeugend, dass High-End-VR-Erfahrungen an festen Orten funktionieren könnten: weil man dort genug Platz hat, weil die Technik dort viel besser sein könnte. Wie man heute zum Lasertag oder Bowlen geht, könnte man dank The Void bald in VR-Abenteuer aufbrechen.
Als Preise peilt Jensen rund 25 bis 40 Dollar pro Person ein - und Brillen wie die Oculus Rift sieht er gar nicht so recht als Konkurrenz. "Man kann zu Hause ein wirklich gutes Heimkinosystem haben", sagte mir Jensen. "Wenn der neue 'Star Wars' kommt, will man dafür aber vielleicht doch gern ins IMAX-Kino."
(Markus Böhm)
5. Jürgen Schmidhuber, Pionier der Forschung an künstlichen neuronalen Netzwerken und künstlicher Intelligenz (KI), heute einer der Leiter des Schweizer KI-Forschungsinstituts IDSIA

Jürgen Schmidhuber
Foto: Hubert Burda MediaJürgen Schmidhuber sagt in Interviews gern, dass er schon seit seiner Kindheit eine lernende künstliche Intelligenz erschaffen wollte, die klüger sei als er - damit er selbst dann nicht mehr arbeiten müsse.
Mein Interviewtermin mit ihm, am Rande der DLD-Konferenz in München, sollte eigentlich nur etwa 20 Minuten dauern. Am Ende sprachen wir aber eineinhalb Stunden miteinander. Es ging nicht nur um künstliche Intelligenz und die Rolle, die neuronale Netzwerke, Schmidhubers Forschungsthema, bei ihrer Entwicklung spielen, sondern auch um ganz andere Dinge.
So redeten wir etwa über die Science-Fiction-Bücher, die wir im Laufe unseres Lebens gelesen hatten. Ich würde mich als lebenslanger Fan dieses Genres bezeichnen, aber Schmidhuber kannte und empfahl diverse Romane und Autoren, von denen ich noch nie gehört hatte.

Bruder Android: Die Obsession mit dem künstlichen Menschen
Der KI-Forscher ist ein Mann, der mit leiser Stimme schnell spricht und sich in Sekundenschnelle von einem Gedanken zum anderen weiterhangeln kann, einer, dem zu jedem Thema noch ein angrenzender Aspekt einfällt.
Künstliche Intelligenz interessiert ihn nicht nur als Forschungsprojekt: Schmidhuber spricht über die KIs, die er sich für die Zukunft vorstellt, wie über eine faszinierende, fremde Spezies, die sich für die Menschheit interessieren wird wie heute menschliche Wissenschaftler Insektenstaaten erforschen. Angst macht ihm das nicht. Er meint, es gebe weiter viel mehr Grund, sich vor anderen Menschen zu fürchten.
(Christian Stöcker)
6. Peter Gray und Bjorn Laurin vom "Sansar"-Team von Linden Lab, dem Unternehmen hinter "Second Life"

Werbebild zu "Sansar"
Foto: Linden LabMein wohl unspektakulärster Termin auf der E3 zählte für mich als einer der spannendsten: Auf der Spielemesse in Los Angeles traf ich mich Peter Gray und Bjorn Laurin von Linden Lab . Weil es auf der Messe hektisch zuging, setzen wir uns mit Stühlen mitten in einen weniger frequentierten Gang des Konferenzcenters. Ein denkbar trister Ort, der im Rückblick aber gut zu einem Projekt passt, das erst mit VR-Brille aufregend wird.
Mehr als einige Screenshots bekam ich auch nicht zu sehen. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass "Sansar" Schlagzeilen machen wird. Es handelt es sich um eine Virtual-Reality-Plattform, die wie einst "Second Life" Menschen dazu bringen soll, ihre Freizeit, ihre Kreativität (und vor allem ihr Geld) in eine Digitalwelt zu investieren. Ein ambitioniertes Ziel, war "Second Life" doch zeitweise extrem erfolgreich. Anderseits: Wem würde man ein VR-"Second Life" eher zutrauen als den "Second Life"-Machern selbst?
Vom Treffen am meisten in Erinnerung geblieben ist mir der Schlusssatz von Gray und Laurin. Nach einer halben Stunde Gespräch, in der "Sansar" oft noch sehr theoretisch wirkte, hieß es: "Du hast 'Ready Player One' gelesen? Das ist, was wir bauen."
Eine größenwahnsinnige, aber spannende Ansage: Denn ein Metaversum wie im Science-Fiction-Roman von Ernest Cline würde ich liebend gern bereisen. "Ready Player One" wird derzeit von Steven Spielberg für 2018 fürs Kino verfilmt , "Sansar" soll bereits 2017 auf den Markt kommen.
(Markus Böhm)
7. Cindy Gallop, Gründerin von "Make Love not Porn"

Cindy Gallop
Foto: SPIEGEL ONLINECindy Gallop ist laut, witzig und schämt sich für nichts. Das sind gute Voraussetzungen, um als Gründerin in der Sextech-Branche Erfolg zu haben. Gallop ist für die Sextech-Branche, die Erotik und Elektronik verbinden will, in etwa das, was Elon Musk für die E-Mobilität ist.
Ich habe Gallop auf dem Berliner "Tech Open Air"-Festival getroffen, um über ihre Webseite "Make Love not Porn" zu sprechen, auf der Paare unbearbeitete Sexvideos hochladen können. Gallop sieht ihre Seite als Gegenentwurf zu Portalen wie YouPorn, wo in vielen Videos straffe Frauen mit Waschbrettbauch-Männern durch die Kulisse turnen, als gäbe es einen Preis in Sexgymnastik zu gewinnen.

Vernetzte Sex-Toys: Erotik durch Elektronik
Obwohl viele Investoren ein Schmuddel-Image fürchten und das Publikum vor ihr angesichts ihrer unverblümten Art und jede Menge Fluchens verschämt kichert, knallt Gallop allen Zweiflern Sätze wie diesen hin: "Cannabis, Bitcoin und Sextech sind die innovativsten Geschäftsfelder der Welt." Oder: "Jeder einzelne Sextech-Gründer revolutioniert einen anderen Bereich menschlicher Sexualität."
Den Berlinern legt sie während ihres Vortrags nah, doch einfach das Sextech-Zentrum der Zukunft zu werden. Warum? "Weil es noch keine andere Stadt ist."
(Angela Gruber)
8. Christopher Nichols, Spezialeffekte-Experte und Podcast-Macher

Christopher Nichols
Foto: Christopher NicholsWas unterscheidet Menschen von Roboter- und Kunstwesen? Kann man digitale Figuren noch von echten Schauspielern unterscheiden? Solche Fragen stellen sich nicht nur Fans von Serien und Filmen wie "Westworld" und "Star Wars - Rogue One ", sondern auch viele Wissenschaftler. Ein spannendes Gespräch zum Thema digitale Menschen führte ich auf der Digitalkonferenz FMX in Stuttgart mit Christopher Nichols.
Der Amerikaner ist Spezialeffekte-Experte und beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, was Menschen aus dem Computer glaubwürdig macht - und was uns dazu bringt, Figuren künstlich oder verstörend zu finden. "Wir kennen Gesichter seit dem Moment, in dem wir geboren wurden", sagte mir Nichols etwa zu animierten Gesichter, an denen den Betrachter irgendetwas stört. "Schon Babys starren Leuten in die Augen, sie studieren Gesichter."

Filme und Spiele: Virtueller Menschenbau ist nicht leicht
Nichols tritt nicht nur auf Konferenzen auf, er hat auch einen hörenswerten Podcast namens "CG Garage ", in dem es mal um gruselige Kinomonster und mal um 3D-Bilder in Ikea-Katalogen geht. Und wer will, kann auch mit Christopher Nichols zusammenarbeiten: Nichols hat sich das Ziel gesetzt, seine Forschung mit Profis aller Disziplinen voranzutreiben. 2015 hat er zu diesem Zweck das Wikihuman Project ins Leben gerufen, ein Onlineportal, auf dem sich die Scan-Daten einer Frau für eigene Projekte herunterladen lassen .
(Markus Böhm)