Umstrittener Gesetzentwurf in Österreich Nutzer von Plattformen wie Facebook sollen private Adressen angeben
Mit einem neuen Gesetz will die österreichische Regierung gegen Hassrede und Beleidigungen im Internet vorgehen. Der Plan: Wer Kommentare im Netz veröffentlicht, soll sich bei Onlineplattformen wie Facebookund Twitter zunächst mit seinem Namen sowie Adressdaten registrieren müssen. Mit dem sogenannten digitalen Vermummungsverbot soll sichergestellt werden, dass die Nutzer schnell gefunden und rechtlich belangt werden können, wenn ihnen jemand Beleidigungen oder üble Nachrede vorwirft.
Der Ministerrat hat den Entwurf am Mittwoch bestätigt. Mit dem Gesetz soll laut Medienminister Gernot Blümel (ÖVP) verhindert werden, dass sich Menschen bei Straftaten "in der Anonymität des Internets verstecken zu können". Was in der analogen Welt geahndet werde, müsse auch Folgen in der digitalen Welt haben, heißt es in dem Vortrag des Ministers (hier als PDF ). Um die Umsetzung der Regeln kümmern sollen sich die Onlineanbieter.
Laut Entwurf des Bundesgesetzes soll sich jeder Österreicher künftig nicht nur mit Vor- und Nachnamen, sondern auch mit seiner Anschrift bei Onlineplattformen registrieren. Der Klarname muss nicht zwingend öffentlich für andere sichtbar sein, heißt es, die Nutzer sollen weiter Pseudonyme verwenden dürfen. Der Plattformbetreiber müsse aber wissen, welche Person hinter welchem Online-Namen steckt und wo sie wohnt.
Strafen von bis zu einer Million Euro
Die Pläne zielen auf auf Österreich ausgerichtete Seiten mit mehr als 100.000 Nutzern, Seiten mit einer Presseförderung von mehr als 50.000 Euro in einem Kalenderjahr sowie Seiten mit einem in Österreich erzielten Umsatz von mehr als 500.000 Euro pro Jahr. Neben Nachrichtenwebsites wie "Der Standard" und "Die Presse" wären fast alle großen US-Plattformen wie Facebook, Twitter und YouTube betroffen - Seiten, auf denen die Nutzer bisher meist nur Namen und E-Mail-Adressen hinterlegt haben.
Sollte dem Gesetz zugestimmt werden, müssten die Tech-Konzerne künftig die Adressen der österreichischen Nutzer sammeln und per Ausweis-Check oder mit einem ähnlichen Verfahren überprüfen. Wer sich als Websitebetreiber nicht daran hält, soll mit Bußgeldern von bis zu einer Million Euro bestraft werden. Ausgenommen von der Sammelpflicht werden etwa Onlineplattformen, auf denen Waren verkauft oder getauscht werden.
Wie betroffene Unternehmen ihre Dienste im Detail umgestalten würden, damit sie dem Gesetz entsprechen, ist unklar. Facebook, Google und Twitter haben das Thema auf eine SPIEGEL-Anfrage hin nicht kommentiert.
"Der Staat verlagert die Aufgabe der Gerichte"
Der österreichische IT-Anwalt Walter Korschelt sagte, er begrüße zwar, dass etwas gegen Hasskommentatoren im Netz unternommen werde. Doch die Hürde, sich samt Adresse bei Onlineportalen anzumelden, gelte eben nicht nur für beleidigende Nutzer, sondern für alle Österreicher. Der Rechtsexperte hält die Identifizierungspflicht für fragwürdig: "Wenn ich im echten Leben meine Meinung äußere, muss ich vorher auch nicht meinen Ausweis vorlegen", sagt er.
Korschelt kritisiert, dass mit dem Gesetz zu viel Verantwortung an Facebook und Co. übertragen werde. Denn laut dem Entwurf sollen nicht nur Behörden bei Bedarf Adressen anfordern können, sondern auch Privatpersonen. Die Bedingung: Der Antragsteller muss nachweisen können, dass er einen Nutzer aufgrund eines Kommentars anzeigen möchte.
Bürgerrechtler beklagen "Frontalangriff auf das Mitmach-Internet"
"Der Staat verlagert die Aufgabe der Gerichte, herauszufinden, ob etwas strafbar ist, auf private Dienstleister aus", sagt Korschelt. Das könne dazu führen, "dass auch private Daten herausgegeben werden, die strafrechtlich nicht relevant sind". Man müsse abwarten, ob das mit der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) vereinbar sei. Denn darin stehe, so betont Korschelt, dass grundsätzlich so wenige Daten wie nötig gesammelt werden sollen.
Bürgerrechtler des österreichischen Vereins Epicenter Works gehen noch einen Schritt weiter. Sie sehen in dem Gesetz einen "Frontalangriff auf das Mitmach-Internet". In einer Mitteilung der Aktivisten heißt es: "Dieses Gesetz verfehlt sein eigentliches Ziel und bringt einen enormen Kollateralschaden für unseren demokratischen Diskurs." Whistleblower und Minderheiten würden dadurch bedroht, dass ihr Name und ihre Anschrift für Privatanklagedelikte an Dritte herausgegeben werden müsste.
Der umstrittene Entwurf ist nun sechs Wochen lang zur Begutachtung freigegeben. In dieser Zeit sind Stellungnahmen möglich. Anschließend werden mögliche Änderungen eingearbeitet, bevor der Nationalrat über das Gesetz abstimmt, in dem die Regierung die Mehrheit hat. Schließlich entscheidet der Bundesrat über den Entwurf, was aber als Formsache gilt.