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E-Book-Erotik: Die bizarren Marktlücken der Kindle-Plattform

E-Book-Schmuddelecken Tyrannosaurus Sex

Mehr als die Hälfte aller verkauften E-Books erscheint im Selbstverlag. Manche Neuautoren bedienen erfolgreich populäre Trends. Andere schaffen es mit Methoden, die an Trickbetrug grenzen. Am besten klappt beides natürlich mit Sex. Gern auch mit Werwölfen, Drachen oder - Dinosauriern.

Alara Branwen und Christie Sims sind aufstrebende Jungautorinnen, wenn man so will. Die angeblich 25-jährigen texanischen Studentinnen schreiben Sexgeschichten der bizarrsten Art und veröffentlichen diese auf Amazons Kindle-Plattform. "KDP" nennt man solche E-Books im Selbstverlag dort, kurz für "Kindle Direct Publishing". Im Jahr 2012 waren 52 der 100 meistverkauften E-Books in Deutschland KDP-Bücher.

In nicht wenigen davon geht es vor allem um Sex, und nicht unbedingt um die Blümchen-Variante - da entstehen sogar ganz neue Genres. Am 4. Mai 2013 veröffentlichten Branwen und Sims mit "Ravaged by the Raptor" eine erste Kurzgeschichte, in der es um Sex zwischen Raubsauriern und Frauen geht.

Das Muster solcher Geschichten: Frau trifft auf Saurier, wird gefangen oder verletzt und steht irgendwann vor der Wahl, sich dem Tier auf die eine oder andere Art auszuliefern. So viel sei verraten: Fressen lässt sie sich nicht.

Klingt total bescheuert, was den Erfolg aber offenbar nicht verhindert. Dem Versuchsballon ließen Branwen und Sims im Oktober eine wahre Flut weiterer "Bücher" folgen. Nichts verkauft sich besser als Krimis, Vampire - und Sex.

Nackte Tatsachen über den E-Book-Markt

Wenn man Selena Kitt glauben kann, ist Sex sogar die Antwort auf die Frage nach dem Erfolgsgeheimnis des Kindle-E-Book-Readers. Sie muss es wissen, sie hat dort als selbstverlegte Autorin weit über eine Million höchst eindeutige E-Books verkauft. Kitt ist damit ein Star unter den Selfmade-Bestsellerautoren.

Deren erfolgreichste ist natürlich E. L. James, die ihre Karriere mit selbstverlegten E-Books begann. Von ihrer "Fifty Shades"-Trilogie wurden in den USA angeblich rund dreimal mehr elektronische als gedruckte Bücher verkauft. Das beförderte auch den Absatz der Hardware. Seit der Veröffentlichung der Shades-Trilogie verkauft Amazon in den USA mehr E-Books als Druckwerke. Man ist geneigt, Frau Kitt zuzustimmen: Der Erfolg der Reader mag auch etwas mit Sex zu tun haben.

Klar, ein E-Book-Reader wirkt unabhängig vom Inhalt immer seriös und respektabel, niemand sieht, was man da gerade liest. Erotik-Autoren gehörten zu den ersten, die erkannten, was der Selbstverlag ihnen da für Chancen bot.

In Selena Kitts Portfolio finden sich zurzeit 129 Titel, und das sind noch nicht einmal alle. Denn immer wieder einmal greift Amazon zensierend ins eigene E-Book-Angebot ein. Prinzipiell kann und darf da jeder veröffentlichen, was er will, solange er grundlegende Regeln beachtet. Im Erotik-Segment ist zu Frau Kitts Leidwesen beispielsweise Inzest ein Tabu, so wie auch Sex mit Tieren - zumindest mit realen, heute lebenden.

Jungautorinnen? Eine Schreibfabrik? Bücher aus der Dose?

Mythische Wesen sind dagegen okay, und tatsächlich scheinen sich viele Leser für Erotik mit Werwölfen, Zentauren, diversen Aliens und sogar Drachen zu interessieren. Von da ist es dann nicht mehr weit bis zum neuesten Erfolgstrend: Den Dinosaurier-Sexgeschichten von Alara Branwen und Christie Sims. 

Gemeinsam schreiben die beiden Short Storys, mit denen Amazon die Eintrittsschwelle in den E-Book-Markt gesenkt hat. Die Firma macht Einzel-Kurzgeschichten publizierbar. Sie müssen mindestens 2500 Wörter umfassen, was im Englischen zwischen 15 und 20 E-Book-Seiten entspricht. Das Gros der erotischen Shorts hat exakt diese Länge.

Allein im Oktober 2013 veröffentlichten Sims und Branwen stolze 100 Kurzgeschichten dieser Art - so fleißig war wohl selten ein Autor. Als Bestseller darf wohl "Taken by the T-Rex" ("Vom T-Rex genommen") gelten, mit dem die Autorinnen laut Amazon-Tracking im Oktober rund 2000 Dollar Gewinn einfuhren. Bei insgesamt 169 Titeln im Angebot der Autorinnen - von denen sich die meisten allerdings deutlich schlechter verkaufen - mag da einiges an Profit zusammenkommen: Sie kassieren satte 70 Prozent vom E-Book-Preis.

Kann das wahr sein?

Das riecht nach einer Selfmade-Erfolgsgeschichte. Junge texanische Studentinnen mit lausigen Nebenjobs befreien sich von ihrem Joch, indem sie sich als fleißige Autorinnen bizarr-erotischer Literatur über Dino-Sex profilieren.

Anfang Oktober wurden die zwei Jungautorinnen von diversen amerikanischen und britischen Medien entsprechend gefeiert. Dem "New York Magazine" erzählten Sims und Branwen, dass ihre Dinosaurier-Erotika aus einem Gag heraus entstanden seien. Gegenüber der "Huffington Post" gaben sie zu, dass sie natürlich Pseudonyme verwenden: "Glauben Sie wirklich, wir wären so verrückt, unsere Sachen unter unseren eigenen Namen zu veröffentlichen?"

Man könnte allerdings noch ganz andere Fragen stellen: Wie schreibt man 169 Kurzgeschichten in einem Jahr, veröffentlicht 100 in einem Monat? Laut Branwen und Sims schreiben die beiden zurzeit von früh bis spät. Mit Blick auf die Handlung ist das vor allem eine quantitative Aufgabe - möglich, dass es stimmt.

Und das sagt Amazon zum Thema

Es gibt allerdings auch Kindle-Autoren, die sich sogenannter Private Label Rights (PLRs: Buch-Rohlinge, die man unter eigenem Namen weiterverkaufen darf) bedienen, Klassiker plagiieren oder einfach Inhalte aus dem Web abfischen. Amazon versucht, solche Dinge mit Filtern und Sicherheitsmechanismen zu verhindern und entfernt entsprechende Angebote, die auffallen oder gemeldet werden. Bei der Breite des Angebots und der hohen Publikationsgeschwindigkeit könne aber immer wieder einmal etwas durchkommen, sagt eine Unternehmenssprecherin: Hundertprozentige Sicherheit sei natürlich nicht zu erreichen.

Veröffentlichungswelle von Dinosaurier-Erotik

Fragen von SPIEGEL ONLINE zu ihren Schreibmethoden wollten die Dino-Sex-Autorinnen Branwen und Sims nicht beantworten. Aber wo die Ansprüche niedrig gehängt werden, sind kreative Eruptionen ja auch ohne unerlaubte Hilfsmittel denkbar. Die Szene reagiert rasend schnell, wenn sie eine vermeintlich lohnende Masche erkennt.

Nur sechs Tage nach der Veröffentlichung des ersten Branwen/Sims-Interviews im "New York Magazine" kam es zu einer wahren Veröffentlichungswelle von Dinosaurier-Erotik. Inzwischen veröffentlichen mindestens 29 Autorinnen unter dieser Genre-Bezeichnung, zwei weitere haben sich schon auf die Nische des "Gay Dinosaur Beast Sex" spezialisiert. Jetzt konkurrieren Autorinnen wie "Roxy Fosilz" oder "Tyrexina Saurusovich" mit den texanischen Jungautorinnen.

Wenn es sie denn wirklich gibt und sie überhaupt Frauen sind, versteht sich. Denn weiblich und Mitte Zwanzig sind angeblich die meisten Bizarr-Erotik-Autorinnen. Das mag sogar wahr sein. Mit Blick aufs Marketing ist es aber auf jeden Fall günstig.

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