E-Demokratie Eine kleine Geschichte der Online-Petition

Es war Wahlkampf, und es sah schlecht aus für die SPD. Was, wenn man ein neues Instrument entwickeln würde, um junge Leute und neue Wählerschichten zu erreichen? So wurde die Online-Petition als Werbemaßnahme geboren. Inzwischen sorgt sie für reichlich Unruhe im politischen Betrieb.

Die Freischaltung des Petitionsservers am 1. September gehörte zu den cleveren Werbeideen im Wahlkampf 2005. Sie symbolisierte Technik-Affinität, Volksnähe, Transparenz und den Willen, den Wähler stärker in den politischen Prozess einzubinden.

Protest gegen Familienministerin Ursula von der Leyen: Per Online-Petition wuchs der Widerstand gegen ihre Netzsperren zu einer Protestbewegung

Protest gegen Familienministerin Ursula von der Leyen: Per Online-Petition wuchs der Widerstand gegen ihre Netzsperren zu einer Protestbewegung

Foto: DDP

Die Wirkung blieb zunächst aus. Gerhard Schröder wurde abgewählt. Der Petitionsserver aber blieb. Und entwickelt derzeit geradezu ein Eigenleben.

Kaum eine Woche vergeht, in der nicht eine neue Online-Petition eingereicht wird: Protest gegen die Musikgebühren-Einzugszentrale Gema, gegen biometrische Kinderausweise, gegen das Verbot des Spiels "Paintball". Vor allem aber eine Petition teilt im Wahlkampf 2009 die Lager: Der Antrag gegen das "Zugangserschwerungsgesetz" von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU).

"Damit meldet sich eine neue Generation zu Wort, die bislang als apolitisch galt", sagt der Politologe Michael Vester aus Hannover. "Viele jüngere Leute standen seit der Schule unter großem Leistungsdruck, auch im Beruf, und verbringen viel Freizeit im Internet. Wenn auch dieser Freiraum noch beschnitten wird, dann wehren sie sich, aber eben auf ihre Weise: pragmatisch und nüchtern."

Petitionen - direkter Draht ins Parlament

Petitionen sind der Inbegriff dieses Pragmatismus: leicht zu verlinken, schnell zu unterschreiben - wenn der Server nicht wieder streikt. Die bislang erfolgreichste Petition wandte sich gegen die Internetkinderpornosperren von "Zensursula" - mit über 130.000 Unterzeichnern.

"Petitionen sind eine hervorragende Art der Meinungs- und Willensbildung", sagt Juli Zeh, eine Vertreterin des neuen Netzbürgertums, das sich zu formieren beginnt, nüchtern und pragmatisch auch sie. Zeh gehört nicht ins klassische Protest- oder Hackermilieu, sondern hat Jura studiert und sich bislang als Romanautorin einen Namen gemacht (zuletzt erschienen: "Corpus Delicti"). Doch nun legt sie erstmals ein bitterböses Pamphlet gegen die Einschränkung der Bürgerrechte vor, das am 17. September erscheint unter dem Titel "Angriff auf die Freiheit - Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte."

"Es ist wichtig zu merken, dass man nicht allein ist, und Petitionen können dabei helfen", sagt Zeh. "Aber gleichzeitig sind Petitionen dazu geeignet, aus dieser subversiven Protestnische herauszukommen und stattdessen lieber aktiv den Staat mitzugestalten."

Unerwartet wirksam

Ausgerechnet die gute alte Petition, die betuliche Wortmeldung, offen für jeden, aber bindend für niemand, wird nun als politisches Werkzeug wiederentdeckt. Im alten Rom nannte man die Bitten an die Herrscher "Supplikation", was sich vom Verb "supplicare" ableitet: vor jemandem auf die Knie fallen und flehentlich bitten.

Zunächst erschien auch die Petition gegen das "Zensursula"-Gesetz eher hilf- und erfolglos. Doch nun entfaltet sie ihre Langzeitwirkung, eine Art politischer Long Tail. Die 130.000 Unterzeichner und ihr Anliegen spalten die etablierten Parteien, insbesondere Grüne und SPD. Bei letzterer legte ein wichtiger Teil des Online-Beirates seine Arbeit nieder mit dem Hinweis: "Die SPD ist dabei, sich für die Digitale Generation unwählbar zu machen." Und der Bundesvorstand der Grünen watscht sich öffentlich gegenseitig ab mit einem Abgeordneten aus Bremen, der gegen Gamer, Bürgerrechtler und die Online-Petition gestänkert hatte: "Wer sich in ihre Scheinwelt einmischen will, wird mit Massenpetitionen per Mausklick weggebissen."

Gefährlicher als die Piratenpartei sind derzeit für SPD und Grüne die Petenten. Das ist nicht ohne Ironie. Jahrzehntelang mussten Petitionen schriftlich eingereicht werden, erst Rot-Grün führte die Internet-Variante ein als Signal der Modernisierung an junge Wähler, am 1. September des Wahljahres 2005.

Guter Ansatz, schlechte Technik

Anfänglich liefen die deutschen Petitionen über einen Server rund tausend Kilometer entfernt in Schottland, weil man die dortige Petitionssoftware einfach übernommen hatte von der Napier University. "Wir reisten damals mit drei Mitgliedern des Petitionsausschusses nach Schottland, um uns ein Bild zu machen", sagt Klaus Hagemann, ein langjähriger Bundestagsabgeordneter der SPD. "Wir mussten die Online-Petition gemeinsam mit den Grünen gegen den Widerstand der CDU durchsetzen."

Seit Oktober 2008 hat Deutschland endlich ein eigenes Petitionssystem, entwickelt von der Firma araneaNET aus Potsdam. Doch das System ist chronisch überlastet und demonstriert vor allem, wie man es nicht machen sollte. Nutzer beschweren sich über ständige Fehlermeldungen, Wartungspausen, Zeitverzögerungen: "Mit dem Bundestag zurück ins Web 1.0".

Am Platz der Republik 1 in Berlin kennt man diese Probleme, hier sitzen die Mitarbeiter des Petitionsausschusses und nehmen Tag für Tag über 70 Anliegen entgegen, rund 20.000 pro Jahr - rund zehn Prozent davon bereits online. In Schottland laufen bereits 30 Prozent der Petitionen digital ein.

Politikmüde? Vielleicht nicht, wenn man mitmachen ermöglicht

"Wir hatten damit gerechnet, dass sich vielleicht 200.000 Nutzer anmelden auf unserem Server, aber heute sind es schon über 500.000", sagt ein Mitarbeiter des Petitionsbüros, der nicht genannt werden möchte. "Wir rüsten die Server ständig auf, aber das ist schwer bei laufendem Betrieb. Wir sind sozusagen Opfer des eigenen Erfolgs."

"Das Petitionssystem funktioniert nicht allzu gut", sagt der Politologe Stephan Broechler, der an einem Gutachten über das System mitgearbeitet hat, gemeinsam mit dem Büro für Technikfolgenabschätzung beim Bundestag. "Der Petitionsserver müsste deutlich verbessert werden, und das kostet Geld. Aber daran bemisst sich eben auch der Wille des Parlaments, Bürgerbeteiligung ernst zu nehmen." Fachleute gehen von einem Investitionsbedarf von unter 200.000 Euro aus. Das wären unter 50 Cent pro registriertem Nutzer.

"Wir wollten damit besonders jüngere Menschen in den politischen Prozess einbinden", sagt Klaus Hagemann vom Petitionsausschuss. "Wir konnten damals nicht ahnen, dass uns das irgendwann auf die Füße fallen würde."

Petitionen bald auch für Kinder?

Dabei steht Deutschland mit seinem System international gar nicht schlecht da, die Einführung war früh, die Beteiligung ist sensationell hoch. Immer wieder kommen neugierige Besucher an den Platz der Republik 1, um sich zu informieren über das Online-Petitionssystem, über das man so viel liest. Immer mehr Bundesländer führen elektronische Petitionen ein, als nächstes wohl Berlin und Bremen. So stolpert man am Platz der Republik 1 im Petitionsbüro weiter von Erfolg zu Erfolg. Genervte Nutzer haben bereits Petitionen eingereicht zur Neuausschreibung der Petitionssoftware. Sie wurde abgelehnt.

Beim Petitionsausschuss arbeitet man derzeit an einer anderen Innovation. Wenn schon die erwachsenen Jungwähler verprellt sind, dann will man es mit der nächsten Alterskohorte versuchen. Laut Artikel 17 im Grundgesetz hat "jedermann das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden". Jedermann, das bedeutet: auch in Deutschland wohnende Ausländer. Und Minderjährige, sagt Klaus Hagemann von der SPD: "Wir haben vor, die Online-Petition so zu gestalten, dass sie auch Kinder und Jugendliche anspricht."

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