E-Mail Fundgrube für Staatsanwälte
Sie ist schnell, unkompliziert und papiersparend. Als Kommunikationsmittel wird die E-Mail im Privat- und Geschäftsverkehr deshalb immer häufiger genutzt. Seit dem Auftakt des Microsoft-Prozesses hat die Beliebtheit der elektronischen Briefe jedoch einen Knick bekommen. Denn dort ist die E-Mail schon mehrfach zum Starzeugen gemacht worden. Auf der Suche nach möglichen Verstößen gegen das Kartellrecht haben die Ermittler brisante elektronische Briefe gefunden, die sie nun als Beweismaterial vor Gericht heranziehen.
Der Microsoft-Prozeß hat die amerikanische Unternehmenswelt aufgeschreckt. Denn vermeintlich gelöschte E-Mails, die oft noch jahrelang als Sicherungsdateien in Computern des Firmennetzes herumliegen, können künftig zur Fundgrube für ermittelnde Staatsanwälte werden.
Entsprechend hektisch haben einige amerikanische Firmen auf den Fall reagiert. So hat der Online-Buchriese Amazon.com, der einen Großteil seines Geschäftsverkehrs via E-Mail abwickelt, kürzlich seine Angestellten aufgefordert, nicht mehr benötigte und brisante elektronische Post regelmäßig von ihrer Festplatte zu löschen. "Wir wollen, daß die Mitarbeiter ihre Worte künftig vorsichtiger wählen, nach dem Motto: Schreibe nichts in einer E-Mail, was du nicht auch in einem Brief schreiben würdest', so Amazon-Pressesprecher Bill Curry gegenüber SPIEGEL ONLINE.
Auch die Löschtasten an den PC der Marketinggesellschaft Polk in Michigan werden in nächster Zeit oft gedrückt werden müssen. Manager haben kürzlich entdeckt, daß jeder zehnte Mitarbeiter zwischen 5000 und 10.000 E-Mails auf seiner Festplatte gespeichert hat.
In Deutschland, wo der Anteil der Internet-Nutzer mit knapp acht Millionen Menschen gerade einmal ein Zehntel des Nutzeraufkommens in den USA ausmacht, scheinen mit der elektronischen Kommunikation verbundene juristische Probleme noch kein Thema zu sein.
Die meisten deutschen Großunternehmen haben noch keine konkreten Pläne zur Kontrolle des E-Mail-Verkehrs. "Ich denke, da wird bald etwas passieren müssen, weil wir ein sehr großes Datenaufkommen haben, das von Zeit zu Zeit gelöscht werden muß", sagte der Pressereferent von Hoechst, Patrick Pohl.
Bei Daimler-Chrysler, wo mittlerweile 40 Prozent des Briefverkehrs per E-Mail abgewickelt wird, gibt es immerhin Erwägungen, eine zeitgesteuerte Löschung von E-Mails einzuführen.
Die Online-Firma Amazon arbeitet an einem Richtlinienkatalog zur Handhabung von E-Mails im Geschäftsverkehr, der dann auch für deutsche Unternehmenszweige gelten soll. Beim Hamburger Otto-Versand ist nach Worten von Unternehmenssprecher Stephan Prien zumindest ein Prozeß im Gange, "bei dem geprüft wird, wie man den Anforderungen der neuen Kommunikationsformen gerecht werden kann." Vertragliche Unterlagen würden jedoch bei Otto noch nicht über E-Mail abgewickelt. "Dazu ist die juristische Lage noch zu diffus", sagte Prien.
Das kann Professor Ulrich Sieber, Professor für Strafprozeßrecht, Informationsrecht und Rechtsinformatik an der Universität Würzburg, nur bestätigen. E-Mails seien keine formellen Urkunden im Sinne des Zivil- oder Strafprozeßrechts, sondern lediglich Augenscheinobjekte. "Für sie gilt der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung", so Sieber. Das bedeutet, daß es im Ermessen des Richters liegt, ob das Dokument für glaubwürdig gehalten wird. Einen Unterschied macht der Jurist jedoch für E-Mails, die mit einer digitalen Signatur versehen sind und dementsprechend "höheren Beweiswert" haben.
Bislang sahen sich deutsche Richter jedoch noch nicht mit einer E-Mail als Beweismittel konfrontiert. Dennoch will sich das Bundesjustizministerium schon einmal juristisch für den Schriftverkehr der Zukunft wappnen. Bereits vor einem Jahr hat die Behörde beim Deutschen Anwaltverein und anderen Fachstellen einen Fragenkatalog zur elektronischen Kommunikation eingereicht. Darin sollen die Experten zum Beispiel dazu Stellung nehmen, ob E-Mails als rechtsgeschäftliche Willenserklärungen gelten können, wann sie als zugegangen gelten und ob im Hinblick auf die technischen Besonderheiten spezielle Vorschriften des Beweisrechts entwickelt werden sollten. In seinem Antwortschreiben kommt der Deutsche Anwaltverein zu dem Ergebnis, es sei "nicht erforderlich, für elektronisch angefertigte Dokumente besondere Beweisregeln zu entwickeln". In nächster Zeit soll eine Anhörung zu dem Thema stattfinden.
Auch Johann Bizer, Herausgeber der Fachzeitschrift "Datenschutz und Datensicherheit", glaubt nicht, daß man den Beweiswert von elektronischer Post allein durch rechtliche Regelungen bestimmen kann. "Hier kommt es eher auf die Entwicklung von Sicherheitstechnologien an", sagte er. Das deutsche Signaturgesetz, das im Juli vergangenen Jahres verabschiedet wurde, spielt Bizers Auffassung nach dabei eine große Rolle. Erst wenn sie mit einer digitalen Signatur versehen sei, habe eine E-Mail relativ hohen Beweiswert.
Bisher allerdings ist die Urheberschaft eines elektronischen Briefes nicht immer zweifelsfrei zu ermitteln. "Es ist überhaupt kein Problem, eine E-Mail-Adresse zu fälschen oder den Wortlaut eines Schreibens zu verändern", so Bizer.
Um so erstaunlicher findet es der Berliner Rechtsanwalt Jens-Peter Lachmann, daß "in der internationalen Geschäftskorrespondenz wie wild gemailt wird". In deutschen Anwaltskreisen herrsche dagegen eine "nicht ganz unberechtigte Skepsis gegenüber dem E-Mail-Verkehr". Auch Strafrechtler Sieber glaubt, daß sich "die Deutschen noch nicht so sehr auf die elektronische Kommunikation verlassen".
Ein bißchen mehr Vorsicht hätte auch manchem E-Mail-Verfasser in den USA nicht geschadet. Neben den Microsoft-Briefen hat vor einigen Monaten noch eine andere Mail in der Öffentlichkeit für Furore gesorgt. Darin hat ein alkoholkranker Mann anderen Mitgliedern einer Online-Selbsthilfegruppe gegenüber ein Geständnis über den Mord an seiner Tochter abgelegt. Die geschockten Empfänger legten der Polizei die verräterische E-Mail vor - jetzt sitzt der Mann hinter Gittern.