Technik und Klimawandel Ist die E-Mail wirklich ein Klimakiller?

E-Mails haben schon lange einen schlechten Ruf. Zuletzt machte dann auch noch der Energieverbrauch unnötiger Dankesnachrichten Schlagzeilen. Dabei sind andere Folgen der Digitalisierung viel bedenklicher.
Qualm aus dem Schornstein einer Industrieanlage: Bei der Digitalisierung steht das Thema Energie selten im Vordergrund

Qualm aus dem Schornstein einer Industrieanlage: Bei der Digitalisierung steht das Thema Energie selten im Vordergrund

Foto: Patrick Pleul/ DPA

Wer weniger höflich ist, der schont die Umwelt: Mit dem provokanten Slogan "Denkt nach, bevor ihr Danke sagt" hat der britische Energieversorger Ovo Energy vor einigen Wochen für Aufsehen gesorgt. Die Botschaft: Würde jeder Erwachsene in Großbritannien täglich eine Dankes-E-Mail weniger verschicken, könne man jährlich mehr als 16.000 Tonnen Kohlendioxid (CO2) einsparen. Eine bittere Nachricht für alle, die nur höflich sein wollen.

Hinter dem Aufruf stecken die Ergebnisse einer Studie im Auftrag des Konzerns. Demnach treiben auch unnötig verschickte E-Mails den Klimawandel voran. Allein in Großbritannien seien es täglich mehr als 64 Millionen Dankesbotschaften, auf die man verzichten könne, so die Hochrechnung.

Mit dem Verzicht auf nur eine Dankes-Mail pro Tag ließe sich pro Jahr ein nennenswerter CO2-Ausstoß vermeiden, legt die Studie nahe: eine Menge nämlich, die dem Streichen von 80.000 Flügen von London nach Madrid entspreche oder der Entscheidung, 3300 Dieselautos von den Straßen zu nehmen.

Der Stromverbrauch steigt

Tatsächlich ist Energie ein Thema, das selten im Vordergrund steht, wenn es um die Digitalisierung geht. Seit den Neunzigerjahren ist der Stromverbrauch stetig gestiegen , obwohl Plattenspieler, Kassettenradios und Röhrenfernseher durch sparsamere Smartphones und Laptops ersetzt worden sind. Der Stromverbrauch wächst in fast allen Bereichen.

Laut der französischen Umweltorganisation The Shift Project steigt der Energieverbrauch digitaler Technologien am schnellsten an. Derzeit liege ihr Anteil bei vier Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, heißt es: Das sei mehr, als der weltweite Flugverkehr ausmache. Und bis zum Jahr 2025 könnte sich der Anteil auf insgesamt acht Prozent verdoppeln, so die Umweltorganisation.

Doch ist es schon so weit, dass man Digitalscham verspüren sollte, wenn man eine E-Mail schreibt?

Wo E-Mails gespeichert werden, wird Energie gebraucht

Man sollte zumindest darüber nachdenken, welche E-Mails man verschickt, meint Zeynep Kahraman-Clause. Sie ist bei The Shift Project Projektleiterin und fordert mit ihrer Organisation unter anderem, dass Europa seine Emissionen bis spätestens 2050 auf netto Null reduziert und dass die Wirtschaft unabhängiger von fossilen Brennstoffen wird.

"Wenn wir uns überlegen, dass der weltweite Datenverkehr jedes Jahr um 25 Prozent ansteigt, dann müssen wir ganz offensichtlich dringend darüber nachdenken, welche Inhalte wir über die Netzwerke schicken", sagt Kahraman-Clause. "Wir sollten überprüfen, ob eine E-Mail wirklich nötig ist, wie viele Empfänger wir eintragen und ob wir anstelle von Anhängen nicht lieber eine Plattform wie Dropbox benutzen."

Denn egal, ob auf der lokalen Festplatte oder in der Cloud: Wo E-Mails und Anhänge gespeichert werden, da wird auch Energie verbraucht. Findet man eine Datei nur an einem bestimmten Ort wie in einer Dropbox, liegt sie zumindest nicht dauerhaft auf jedem Computer oder auf den Servern aller Empfänger.

Thomas Nau von der Universität Ulm hält zumindest E-Mail-Einschränkungen für übertrieben. Er ist dort Vizechef des Kommunikations- und Informationszentrums und betreut unter anderem die IT des Rechenzentrums. "Ich wäre mit solchen Aussagen vorsichtig", sagt Nau im Gespräch mit dem SPIEGEL. "Ich finde nicht, dass man den Menschen wegen einer E-Mail ein schlechtes Gewissen machen muss."

Das eigentliche Problem seien ohnehin Spam-Mails. "An unserem Universitätsrechenzentrum werden 85 Prozent der E-Mails gar nicht erst angenommen." Dennoch müsse der Server diese Nachrichten natürlich bearbeiten, wobei Energie verbraucht werde. Das sei ärgerlich, aber dieser Strombedarf auf Empfängerseite lasse sich nicht verhindern.

Nau hält speicherintensive Daten für wesentlich schlimmer als Textnachrichten. "Wer ab und zu eine E-Mail abruft, hat eine ganz andere Energiebilanz als jemand, der sich den ganzen Tag Videos bei YouTube anschaut." Daher sei es wichtig, dass vor allem die großen Online-Unternehmen so schnell wie möglich komplett auf regenerative Energien umstiegen, um den Datenverkehr klimaneutral zu regeln.

Der Rebound-Effekt frisst die Effizienz auf

Der steigende Energiebedarf digitaler Technik erklärt sich Thomas Nau zufolge unter anderem damit, dass der Zugriff auf leistungsfähige Hardware einfacher geworden ist. "Mittlerweile kann sich jeder eine Cloud-Anwendung leisten." Die Schwelle sei heutzutage viel geringer. "Früher musste man sich einen teuren Server finanzieren und aufstellen, heute kann man sich ganz einfach bei großen Anbietern einmieten."

Dieser sogenannte Rebound-Effekt ist auch laut Zeynep Kahraman-Clause das größte Problem. Die steigende Energieeffizienz der digitalen Welt führe eben nicht dazu, dass weniger Strom verbraucht werde. Ganz im Gegenteil: Die Möglichkeiten würden immer komplett ausgereizt.

Bei Gadgets sorgt vor allem die Produktionsphase für eine schlechte Umweltbilanz. Knapp die Hälfte der Emissionen entstehen Kahraman-Clause zufolge bei der Herstellung. Bei einem Smartphone sei die Energiebilanz besonders schlimm: 90 Prozent der Energie im Lebenszyklus eines Mobiltelefons seien schon verbraucht, bevor ein Kunde das Gerät überhaupt gekauft habe, sagt sie. Ausgegangen werde dabei von einer zweijährigen Nutzung.

Kahraman-Clause ist aber auch niemand, der Technik verteufelt. Man dürfe nicht vergessen, dass es ohne digitale Technologien "unmöglich sein wird, den Klimawandel zu kontrollieren", sagt sie. Bis dahin sei ein besonnenes digitales Verhalten sinnvoll. Das heißt: Nicht die neuesten und schnellsten Geräte kaufen, Smartphones so selten wie möglich wechseln, eine Reparatur dem Neukauf vorziehen oder gebraucht kaufen.

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