Patrick Beuth

Übernahme für 44 Milliarden Dollar Elon Musk überschätzt Twitter – und unterschätzt dessen Nutzer

Patrick Beuth
Ein Kommentar von Patrick Beuth
Für 44 Milliarden Dollar mag der Tesla-Boss demnächst auch der Besitzer von Twitter werden. Doch das heißt nicht, dass Elon Musk die Kontrolle über das Netzwerk bekommt.
Elon Musk: Wer Twitter verändern will und dabei mit »ich« anfängt, wird scheitern

Elon Musk: Wer Twitter verändern will und dabei mit »ich« anfängt, wird scheitern

Foto: Patrick Pleul / AP

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Der reichste Mann der Welt hat für die möglicherweise teuerste Fehleinschätzung seines bisherigen Lebens nur acht Worte gebraucht : »Twitter hat außergewöhnliches Potenzial. Ich werde es freisetzen.« Man muss wahrscheinlich ein mittelalter, privilegierter Mann sein, um so etwas zu sagen und selbst zu glauben.

Der erste Satz legt nahe, dass Elon Musk Twitter schlicht überschätzt. Nach mittlerweile 16 Jahren, von denen die letzten 10 von Stagnation und Verlusten geprägt sind, ist offensichtlich, dass Twitter niemals ein Netzwerk für Milliarden Menschen werden wird. Allein schon, weil Twitter für die Teenager von heute und damit die potenzielle Nutzerbasis von morgen komplett unattraktiv ist.

Twitters Bedeutung erwächst nicht aus seiner Größe, sondern aus seinem Multiplikatoreffekt. Das Netzwerk ist immer dann relevant, wenn es zur Nachrichtenquelle für andere Medien wird. Dieser Prozess aber ist längst ritualisiert. Musk selbst ist der beste Beweis dafür: Jeder seiner Tweets wird darauf überprüft, ob er eine Nachricht ist und entsprechend medial aufgegriffen. Eine Steigerung ist kaum noch möglich und auch nicht wirklich wünschenswert. Und selbst wenn, läge sie nicht in Twitters Hand, sondern in den Händen der Multiplikatoren.

Sogar der Hashtag war eine Nutzer-Erfindung

Womit wir beim zweiten Satz von Musks breitbeiniger Ankündigung wären. Wer Twitter verändern will und dabei mit »ich« anfängt, wird scheitern. Es war noch nie das Management, das Twitters Potenzial freigesetzt hat. Es waren immer die Nutzerinnen und Nutzer. Im Guten wie im Schlechten, im Brillanten wie im Bösartigen. Das ist das Wesen sozialer Netzwerke.

Der Hashtag etwa war eine Erfindung eines Nutzers im Jahr 2007 . Twitter selbst soll ihm gesagt haben , das sei nur etwas für Nerds und werde sich nicht durchsetzen. Der Twitter-Thread, also die Aneinanderreihung mehrere Tweets als Antwort an sich selbst, um die Längenbegrenzung zu umgehen, ist ebenfalls in der Twitter-Community entstanden , nicht im Hauptquartier.

Wenn Twitter selbst etwas Neues einführte, wurde es von den Mitgliedern entweder umfunktioniert oder ignoriert, aber selten klaglos hingenommen.

44 Milliarden Dollar für ein persönliches Megafon

Gleichzeitig haben Nutzer die laxe Führung immer auch gnadenlos ausgenutzt. Dass Twitter auf viele Menschen toxisch wirkt, ist die Folge einer immer schon unterbesetzten und überforderten Moderation. Wie auch auf Facebook testen Trolle, Frauenfeinde und Rassisten auf Twitter immer wieder aus, an wie viel Siff das Unternehmen scheitert und wann es kapituliert.

Schwer vorstellbar, dass ausgerechnet Elon Musk, seines Zeichens selbst ein Tyrann und Troll, wertvolles Potenzial hebt und zum Beschützer der Bedrängten, Belästigten und Bedrohten wird, die einen hohen Preis dafür zahlen, sich auf Twitter Gehör zu verschaffen.

Dabei wäre Musk zu wünschen, dass er das Netzwerk zumindest erträglich hält. Denn es ist nicht so, dass er 44 Milliarden Dollar in sein persönliches Megafon steckt, das man auch einfach überhören kann. Twitter ist ein Stück Informations-Infrastruktur. Es wird nie jemandem ganz gehören – aber irgendjemand muss es halt immer bezahlen.

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