Erster öffentlicher WWW-Server
Der Klick, der die Welt veränderte
Kommt, macht mit, probiert was Neues aus: Am 6. August 1991 lud der britische Physiker Tim Berners-Lee seine Kollegen in einem Diskussionsforum ein, einen Hyperlink anzuklicken. Was danach geschah, hat unsere Kommunikation revolutioniert.
Nari Kannan ahnte nicht, dass er ein historisches Dokument produzieren würde, als er am
2. August 1991 eine ganz gewöhnliche Bitte um Hilfe in der Usenet-Gruppe postete, an der er sich häufig beteiligte. "Weiß irgendjemand, der hier in der Newsgroup mitliest, ob es Forschung oder Entwicklung in diesen Bereichen gibt?" fragte er in die Runde. Gemeint waren die Bereiche "Hypertext Links, die auf multiple heterogene Informationsquellen zugreifen können" sowie "qualifizierte Hypertext Links".
Qualifizierte Links? Damit meinte Kannan "das Hinzufügen von semantischer Information zu den Links selbst und darauf zugreifende Suchvorgänge, um die Links zu ermitteln, die verfolgt werden." Was man eben so wissen will in einer Gruppe namens alt.hypertext, die sich mit einem obskuren Phänomen wie Hypertext beschäftigt.
Es dauerte ein paar Tage, bis eine Antwort kam. Alt.hypertext war nicht
Facebook. Ins
Usenet, diesem Computer-Verbund von Universitäten und Forschungseinrichtungen loggte man sich nicht jeden Tag ein. Man schaute nur ab und zu vorbei, ob sich seit dem letzten Besuch ein paar Beiträge zur jeweiligen Diskussion über wissenschaftliche Themen angesammelt hatten. Als der Physiker
Tim Berners-Lee am 6. August 1991 in der Newsgroup Nari Kannans Anfrage las, gab es für ihn allerdings kein Halten mehr.
Mit nur einem Klick von einem Rechner zum nächsten springen
Ein Dreivierteljahr zuvor
hatte Berners-Lee für seine Abteilung im Cern, der Europäischen Organisation für Nuklearforschung in Genf, ein Vernetzungsprogramm geschrieben. Mit diesem Programm war es möglich, von jedem Rechner im Verbund auf Dokumente auf anderen Rechnern im Verbund zuzugreifen. Sie mussten nur auf Hypertext-Seiten verlinkt sein, die wiederum mit anderen Hypertext-Seiten auf anderen Rechnern verlinkt waren. Und genau diese Hypertext-Seiten wurden mit seinem Programm angezeigt. Berners-Lee nannte es World Wide Web (anfangs noch WorldWideWeb geschrieben), weil er von Anfang an dachte, dass noch viele weitere Computer hinzukommen könnten. Nari Kannans Anfrage zeigte, dass es Interesse außerhalb des Cerns gab.
Tim Berners-Lee begann ohne Umschweife sein Projekt in der Diskussionsgruppe auf alt.hypertext darzustellen: "Das WorldWideWeb (WWW) Projekt zielt darauf, dass Links auf jegliche Information irgendwo gesetzt werden können." Und dann schrieb und schrieb er, vom Adressenformat, von Hostnames, von einem Hypertext-Editor, einem
Browser, vom HTTP-Protokoll, von Servern und von der HTML-Seite, die sie am Cern eingerichtet hatten, damit Außenstehende erfahren konnte, wie es funktioniert:
http://info.cern.ch/hypertext/WWW/TheProject.html.
Einladung ins WWW: "Alle, die mitarbeiten wollen, sind willkommen!"
Tim Berners-Lee lud damit am 6. August 1991 die Netzöffentlichkeit ein, den ersten öffentlich zugänglich Webserver zu besuchen. Damit begann das Web, das wir heute kennen.
Berners-Lee schloss seine
erste Antwort (es sollten weitere, längere folgen) mit einer denkwürdigen Einladung: "Das WWW-Projekt wurde gestartet, um es Teilchenphysikern zu ermöglichen, ihre Daten, Neuigkeiten und Dokumente auszutauschen. Wir sind sehr daran interessiert, das Web auf andere Bereiche auszudehnen und weitere Server an unser Netz anzuschließen, die für andere Daten sorgen. Alle, die mitarbeiten wollen, sind willkommen!"
Damit war das World Wide Web am Netz. An diesem 6. August 1991 wurde es öffentlich. Nicht als Gedankenspiel, wie weiland
Vannevar Bushs "Memex" in seinem Aufsatz "As we may think" von 1945, nicht als esoterisches, seit 1960 immer wieder aufgeschobenes Versprechen wie
Ted Nelsons "Xanadu", nicht als überambitioniertes Experiment im Giftschrank einer Großfirma wie
Douglas Engelbarts On-Line System NLS. Sondern als fertiges, sich bereits in Gebrauch befindliches System, an das man sich mit einfachsten Mitteln anheften konnte. Tim Berners-Lee schrieb zwar sehr viele Wörter über sein WWW-Projekt, aber er machte nicht viele Worte.
Unfassbar, was aus diesem kleinen Uniprojekt gewordenist
Wie unfassbar das ist, was dann aus diesem Projekt in den letzten 20 Jahren geworden ist, hat eine Folge der britischen Sitcom "The IT Crowd" brillant zusammengefasst: Abteilungsleiterin Jen Barber muss eine Rede vor Aktionären ihrer Firma halten, hat allerdings überhaupt keine Ahnung von der IT, mit der sich ihre Abteilung beschäftigt. Ihre Kollegen spielen ihr einen Streich und überreichen ihr einen kleinen schwarzen Kasten mit einer blinkenden roten Lampe und erklären ihr, dass dieses das Internet sei, das sie für eine Stunde von den Ältesten, etwa Stephen Hawking, ausleihen durften.
Sie hoffen darauf, dass die Abteilungsleiterin sich extrem blamiert - stattdessen hängt der ganze Saal an ihren Lippen, als sie erklärt, dass, sollte dem Kasten etwas passieren, die gesamte Welt, wie wir sie kennen, zusammenbrechen würde. Alle wollen es anfassen, um endlich mal zu wissen, wie es es sich anfühlt, was sie jeden Tag von morgens bis abends benutzen. Die Panik, die ausbricht, als der Kasten dann doch zu Boden stürzt und aufhört zu blinken, ist dementsprechend groß.
Wir verkaufen unsere Sammlung gebrauchter Einweckgläsergummis an genau den einen anderen Einweckgläsergummisammler in der Welt.
Wir schauen das filmische Erbe der Menschheit zusammen mit längst vergessen geglaubten, fernsehgeschichtlichen Quellen und stümperhaften Amateurvideos.
Wir bekommen jeden Tag so viele Katzenbilder zu sehen, wie früher in einem ganzen Leben.
Aber wie das funktioniert, dieses Internet, das wissen wir nicht so richtig. Genau deshalb ist es so erfolgreich. Hätten wir es lernen müssen wie ein Instrument, dann wäre es immer noch ein Werkzeug von Wissenschaftlern und Spezialisten. Stattdessen brauchen wir nur eine Sache in unserem Blog oder auf Facebook verlinken, und das WWW wächst weiter. Es wird weiter Sachen ermöglichen, von denen wir heute noch nicht wissen, dass wir sie machen wollen.
Auch Nari Kannan konnte während jener Usenet-Diskussion noch nicht wissen, dass sie dazu führen würde, dass er CEO von Firmen wie dunnitt oder Ajira Technologies und leitender Ingenieur von fünf weiteren Startup-Firmen sein würde. Und wie denkt er darüber? Über das Web kann er heute die Antwort auf diese Frage senden: "Der Gedanke, dass ich irgendwas mit dem Aufkommen des World Wide Webs zu tun hatte, sprengt meinen Kopf!"
Tim Berners-Lee an seinem Arbeitsplatz im Cern (1994): Der Phyiker und Informatiker lud am 6. August 1991 in einer Usenet-Diskussionsgruppe dazu ein, den ersten öffentlich zugänglichen Webserver bei seinem Arbeitgeber, dem Forschungszentrum Cern, zu besuchen. Damit begann das Web, wie wir es heute kennen.
Foto: CERN
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Nari Kannan (1991): Der Informatiker bat am 2. August 1991 in einer Diskussionsgruppe im Usenet um Hilfe: "Weiß jemand etwas über die Entwicklung qualifizierter Hypertext-Links?" Ein paar Tage später antwortete ihm Tim Berners-Lee - mit einer öffentlichen Einladung, Dokumente vom ersten WWW-Server abzurufen.
Foto: Nari Kannan
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Nuir Kannan heute: Seit dem Siegeszug des WWW hat der Informatiker als Geschäftsführer und leitender Ingenieur Start-up-Firmen begleitet. Er sagt: "Der Gedanke, dass ich irgendwas mit dem Aufkommen des World Wide Web zu tun hatte, sprengt meinen Kopf!"
Kein PC: Das Protokoll für das WWW entstand auf einem NeXT-Rechner. Dieser hier war tatsächlich der erste Webserver überhaupt: Die Erstversion des Web entstand auf diesem Arbeitsrechner und fand zuerst auch nur darauf statt.
Foto: CERN
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Browser: So sah die Homepage des Forschungsinstituts Cern 1990 mit einem der ersten, textbasierten Browser aus. Die Software entwickelte Tim Berners-Lee weiter, zum grafikfähigen "WorldWideWeb browser", der wie hier auf Rechnern mit dem NeXTStep-Betriebssystem lief.
Foto: CERN
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Tim Berners-Lee 1991 mit Nicola Pellow: Die britische Mathematikerin schrieb den ersten Textzeilen-Browser und später mit Robert Cailliau den ersten WWW-Browser für Macs.
Foto: CERN
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Werbung fürs WWW: Tim Berners-Lee führt 1991 Besuchern der Hypertext-Konferenz in San Antonio das World Wide Web vor.
Foto: CERN
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Robert Cailliau (1995): Der Informatiker hatte wie Berners-Lee am Cern an Möglichkeiten gearbeitet, das Informationsmanagement zu verbessern. Als sie voneinander erfuhren, gab Cailliau sein eigenes Projekt auf und arbeitete mit Berners-Lee und
vielen anderen am Cern für das WWW-Projekt.
Foto: CERN
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Gemeinfrei: Mit diesem Dokument erklärte das Cern am 30. April 1993 das WWW zum...
Foto: CERN
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...öffentlichen Eigentum. Die Erklärung umfasst den am Cern entwickelten Browser, die Server-Software und anderen Programmcodes. Die Verantwortlichen des Forschungszentrums erklären, sie wollen damit...
Foto: CERN
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...Kompatibilität, Netzwerk-Standards und computergestützte Zusammenarbeit fördern. Tim Berners-Lee schrieb in Diskussionsforen, das Ziel sei es, "Wissen ohne Diskriminierung zu teilen", jedermann auf der Welt solle gleichen Zugang haben.
Foto: CERN
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Web-Sir: Queen Elizabeth II. erhob Berners-Lee 2004 in den Ritterstand. Hier ein Foto vom Februar 2009, als Berners-Lee Gast bei der Vorstellung der neuen Web-Seite des Königshauses war. Berners-Lee leitet das World Wide Web Consortium, eine Organisation zur Wahrung von Standards im WWW. Ende 2010 warnte Berners-Lee in einem Aufsatz vor der Vorherrschaft weniger Online-Riesen, die digitale Informationen einsperren. Konkret: Seiten wie Facebook saugen Daten auf, geben aber selbst wenig preis.
Foto: CERN
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Robert Cailliau: Der Ingenieur war am Cern Tim Berners-Lees Partner beim Projekt World Wide Web. Er ging 2007 in den Ruhestand, hält heute gelegentlich Vorträge und bloggt auf seiner privaten Homepage.