Tagebuch im Web Wie ein Frontsoldat den Ersten Weltkrieg erlebt hat

Foto von Ernst Pauleit aus dem Jahr 1917: Der junge Soldat schrieb Tagebuch über seinen Einsatz im Ersten Weltkrieg
Foto: privatEs ist das Jahr 1914. In Sarajevo sind der Thronfolger von Österreich-Ungarn und seine Frau einem Attentat zum Opfer gefallen. Der 22-jährige Ernst Pauleit leistet schon seit ein paar Monaten Wehrdienst. Am 29. Juli erhält der Fußartillerist Marschbefehl nach Köln. "Die Entwicklung der Dinge mahnte zu höchster Bereitschaft", schreibt er in seinem Tagebuch. Der Erste Weltkrieg steht unmittelbar bevor.
Zehn Bände füllt Ernst Pauleit in jener Zeit mit Notizen, nach dem Krieg fasst er seine Tagebücher mithilfe einer Schreibmaschine zusammen. Jetzt veröffentlicht sein Urenkel die Erinnerungen in einem Blog. Die Einträge auf "1914-1918 - Die Entwicklung der Dinge" erscheinen sozusagen in Echtzeit, auf den Tag genau 100 Jahre später.
Im Internet werden mittlerweile regelmäßig historische Ereignisse nacherzählt. So erinnerten im vergangenen Jahr fünf junge Historiker an die Reichspogromnacht vor 75 Jahren, als Nazis in ganz Deutschland Synagogen in Brand setzten. Auch der Untergang der Titanic wurde schon in Echtzeit getwittert. Der deutsch-französische Kultursender Arte zeigt gerade täglich Bilder und Nachrichten aus dem Jahr 1914 .
"Mein Urgroßvater ist wie alle anderen frohen Mutes in den Krieg gezogen", sagt Julian Finn, der in Hamburg als IT-Projektmanager arbeitet. Ernst Pauleit habe zunächst die Propaganda des deutschen Reiches geglaubt, den Deutsch-Französischen Krieg "Franktireurkrieg" genannt und Racheakte an der Bevölkerung in Ordnung gefunden.
Wandel zum Kriegsgegner
Doch mit dem Krieg wandelt sich die Einstellung des Urgroßvaters, das dokumentieren seine Aufzeichnungen. "Später wurde er zum Kriegsgegner", sagt Finn. Persönlich kennengelernt hat er seinen Urgroßvater nicht mehr. Sein Großvater, Pauleits Sohn, erzählt: Nach dem Krieg habe sich Pauleit als Beamter in Witten nicht mit den Nationalsozialisten gemein machen wollen, sondern sich allen Bürgern der Stadt verpflichtet gefühlt.
Das hatte Folgen: Leiter unbedeutenderer Dienststellen seien an ihm vorbei befördert worden. Pauleit sei deswegen im Winter 1940 zur Zivilverwaltung nach Lodz gewechselt, wo er sich eine Nierenentzündung zuzog. Er starb an Blutvergiftung. Seine Aufzeichnungen vom Krieg vermachte er Finns Großvater, verbunden mit dem Wunsch, sie mögen Generationen überdauern.
Bis jetzt sind die Tagebücher nur in Auszügen erschienen, vor Jahrzehnten in den "Wittener Nachrichten". Von seinem Enkel ließ sich der Großvater überreden, die Originale für das Blog-Projekt zur Verfügung zu stellen. In der Familie erzählt man sich, Pauleit habe den Zweiten Weltkrieg schon 1940 für verloren erklärt. Seine Tagebücher vom Ersten Weltkrieg beendete er mit einem eindringlichen Appell:
"Wer aber meine Zeilen zu Gesicht bekommt, mag selbst prüfen, ob wir Anlass haben, uns oder unseren Nachkommen eine Wiederholung dieses alle Ideale zerstörenden und Menschen mordenden Ringens zu wünschen - oder ob es nicht doch einen anderen Weg der 'Verständigung' zwischen den Völkern geben müsste."
Bis es auch im Blog so weit ist , gibt es allerdings noch einiges zu erzählen.