Enthüllung eines US-Magazins Facebooks Moderatoren-Hölle in Florida

In Florida betreibt ein Facebook-Dienstleister ein Löschzentrum. Im Magazin "The Verge" berichten Mitarbeiter, dass sie grauenhafte Videos überprüfen müssen und unzumutbaren Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind. Es ist nicht der erste Fall.
Drogen zur Bewältigung der psychisch extrem belastenden Arbeit: Facebook mutet seinen Moderatoren viel zu.

Drogen zur Bewältigung der psychisch extrem belastenden Arbeit: Facebook mutet seinen Moderatoren viel zu.

Foto: Jeff Chiu/AP

Wer will schon sehen, wie schreienden Kindern (scheinbar ) bei lebendigem Leib Organe entnommen werden? Oder wie Tiere gequält, verstümmelt und zu Tode geprügelt werden? Und doch gibt es offenbar Menschen, die entsprechende Videos bei Facebook hochladen.

Facebook hat rund 15.000 Moderatoren, die solche Videos prüfen - also anschauen - und gegebenenfalls entfernen müssen. Die meisten von ihnen sind bei externen Dienstleistern angestellt. Die Arbeitsbedingungen bei manchen dieser Firmen sind katastrophal. Einen besonders eklatanten Fall  schildert der Journalist Casey Newton von "The Verge".

Erst Arizona, jetzt Florida

Newton hatte bereits im Februar über den für Facebook tätigen US-Dienstleister Cognizant berichtet, genauer: über die Zustände bei Cognizant in Phoenix, Arizona . Dort herrschten, so schilderten es ihm Angestellte und ehemalige Mitarbeiter, Druck, Angst, Chaos, Drogenkonsum.

Kein Stück besser sieht es bei Cognizant in Tampa, Florida aus. Dieser Eindruck jedenfalls ergibt sich aus den Schilderungen von einem Dutzend aktueller und ehemaliger Moderatoren, die Newton in seinem neuen Artikel zusammengetragen hat. Drei von ihnen waren sogar bereit, ihre Verschwiegenheitsverpflichtung zu brechen und sich namentlich zitieren zu lassen.

Das Bild, das sich ergibt, ist verheerend: Das Büro und die Toiletten seien verdreckt, sexuelle Belästigung und Gewaltandrohungen würden vom Management abgetan oder ganz ignoriert, der Drogenkonsum zur Bewältigung der psychisch extrem belastenden Arbeit sei nicht zu übersehen. Die Mitarbeiter würden mit falschen Versprechen in den Job gelockt, und wer krank wird, müsse damit rechnen, ihn schnell wieder zu verlieren. Der Druck, bestimmte Vorgaben von Facebook erfüllen zu müssen, kommt zu den grauenerregenden Inhalten, die jeder Moderator zu überprüfen hat, noch hinzu.

Im März kollabierte ein 42-jähriger Cognizant-Mitarbeiter in Tampa an seinem Schreibtisch, er starb kurze Zeit später im Krankenhaus. Todesursache: Herzinfarkt. Einige Kollegen hatten Erste Hilfe geleistet, aber es gab im Büro keinen Defibrillator.

Beim Besuch des Reporters ist alles sauber

Als Newton das Büro besichtigen durfte, bekam er eine saubere Arbeitsumgebung zu sehen, es roch nach Reinigungsmittel. Manager plauderten mit den Moderatoren, es gab einen Yoga-Raum und einen Pausenraum mit einer kleinen Buddhafigur. "Das war alles Show", versicherte ein Angestellter dem Reporter später, so wie es auch immer dann geschehe, wenn ein Facebook-Vertreter vorbeikäme.

Dass sich dennoch genug Menschen finden, die den Job machen wollen, liegt vermutlich an der Bezahlung: Moderatoren in Tampa verdienen mindestens 15 Dollar pro Stunde, der Mindestlohn in Florida beträgt nur 8,46 Dollar.

Cognizant ist nicht der einzige Facebook-Dienstleister, der für seinen Umgang mit den Angestellten in der Kritik steht. Ende 2016 veröffentlichte das "SZ-Magazin"  anonyme Berichte von Mitarbeitern der Bertelsmann-Tochter Arvato, dem deutschen Partner von Facebook, dessen Löschteam in Berlin arbeitet. Darin war von Zeitdruck, Überlastung, undurchsichtigen Vorschriften und fehlender psychologischer Betreuung die Rede.

Das Berliner Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit (LAGetSi) hat Arvato daraufhin dreimal überprüft. Die Firma habe "wegen der LAGetSi-Kontrollen Maßnahmen zur Minderung der psychischen Beanspruchung der Beschäftigten getroffen, zum Beispiel Beratungsangebote", heißt es in einem Sitzungsprotokoll des Berliner Abgeordnetenhauses vom März 2017 .

Facebook plant Verbesserungen

Der Dokumentarfilm "The Cleaners" von 2018 zeigt ebenfalls schlecht bezahlte Moderatoren auf den Philippinen. Sie müssen in Acht- bis Zehnstundenschichten unter extremem Zeitdruck Tausende grauenvolle Facebook-Inhalte, wie Enthauptungsvideos und gefilmten Kindesmissbrauch, prüfen. Ein Mitarbeiter, der mehrfach erfolglos um Versetzung gebeten hatte, beging Suizid.

Die Berichte aus Phoenix und Tampa, Berlin und Manila betreffen nur einen Teil der Facebook-Moderatoren. Im März 2018 meldete Facebook , mittlerweile etwas mehr als 20 solche Standorte weltweit zu haben. Dass die Arbeitsbedingungen in vier davon kritikwürdig bis inakzeptabel sind oder waren, sagt nichts über die restlichen Standorte aus.

Dass Facebook erkannt hat, dass es sich stärker um die Löschteams kümmern muss, geht aber aus den Ankündigungen hervor, die Casey Newton in seinem Tampa-Artikel aufzählt: Auftragsarbeiter in den USA sollen ab Mitte 2020 mindestens drei Dollar mehr  pro Stunde erhalten. Facebook will künftig öfter als bisher unangekündigte Besuche durchführen. Außerdem sollen die Partnerfirmen in Zukunft nicht mehr allein auf der Basis ihrer Zahlen bewertet werden, sondern unter anderem auch für ihre Anstrengungen um das Wohlergehen der Angestellten.

Ein Facebook-Verantwortlicher hoffe, das Unternehmen werde irgendwann auch psychologische Beratung für Ex-Moderatoren anbieten, die aufgrund gesundheitlicher Schäden den Job aufgegeben haben.

Hinweis: Das am Textanfang erwähnte Video von der Organentnahme bei Kindern zeigt einem Faktencheck zufolge etwas anderes. Das war bei der Veröffentlichung des Artikels von "The Verge" unklar. So wie das US-Medium weisen nun auch wir mit einem Link auf den Faktencheck darauf hin.

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