Visionen eines Weltkonzerns So könnte Facebook unser Leben umkrempeln

Digitale Graffitis, Poker- und Management-Runden mit VR-Brille: Auf der F8-Konferenz zeigt Facebook seine Ideen von der Zukunft. Wie könnte damit ein Tag im Jahr 2022 aussehen? Ein Gedankenspiel.
Facebook-App Spaces, Bild zur F8 2017

Facebook-App Spaces, Bild zur F8 2017

Foto: Facebook

Es ist Donnerstag, also wird gepokert. Mit dem neuesten Virtual-Reality-Headset geht es von Hamburg aus an den digitalen Casino-Tisch, mit Freunden aus Berlin, München und der Heimat. Die virtuelle Realität (VR) macht es möglich: Jeder kann bequem von zu Hause aus spielen, in einem virtuellen Raum können wir über die Postings gemeinsamer Freunde und Feinde tratschen. Und wenn jemand spät nachts nichts mehr setzen kann, zieht er die Brille ab und geht schlafen.

An der These aus Mark Zuckerbergs ellenlangem 2017er-Brief zur Weltverbesserung, dass Onlinevernetzung auch offline die Bindung stärkt, scheint auf jeden Fall etwas dran: Unsere VR-Abende jedenfalls bleiben in Erinnerung und sind selbst bei den seltenen Offlinetreffen Gesprächsthema.

VR-Aktivität mit Freunden in Spaces (F8 2017)

VR-Aktivität mit Freunden in Spaces (F8 2017)

Foto: Facebook

Wann genau unsere Pokerrunde beginnt, entscheidet sich erst am Tag selbst. In unserer Messenger-Chatgruppe hilft ein Terminfindungs-Bot, die optimale Startzeit zu finden. Dass Facebook so erfährt, wann wir nach Hause kommen und wie oft wir uns verabreden, ist egal.

Da wir VR-Headsets der Facebook-Tochter Oculus nutzen, kann der Konzern später theoretisch sogar jeden einzelnen Blick auf den Pokertisch, jede abfällige Geste nachvollziehen. Und unsere Chats lassen wir auch von Facebooks digitalem Assistenten M mitlesen, damit er uns etwa den passenden Spotify-Stream anbieten kann, wenn jemand von einem coolen Lied erzählt. Also, was soll's?

Willkommen im Jahr 2022

Sie ahnen es vielleicht: Der hier beschriebene Donnerstag ist ein fiktiver Tag, sagen wir mal: aus dem Jahr 2022. Oder vielmehr aus einer Variante des Jahrs 2022, wenn in Sachen digitaler Kommunikation das meiste so gelaufen ist, wie man es sich bei Facebook erhofft. Die Ideen dieses Artikels, wie unser Alltag dann aussehen könnte, sind inspiriert oder teils sogar übernommen von Facebooks Ankündigungen auf der Entwicklerkonferenz F8, auf der das Unternehmen Jahr für Jahr technische Neuheiten und Visionen präsentiert.

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Zukunftstechnik: Wie steht es Anfang 2017 um Virtual Reality?

Foto: Corbis

Und nicht erst seit der Keynote vom Dienstag ist klar: Facebook hofft auf ein Leben, in dem seine Produkte nicht mehr nur wichtig gewordene Apps sind, sondern - im wahrsten Sinne des Wortes - die Brille, durch die wir die Welt sehen.

Mit der Oculus Rift hat Facebook bereits eine eigene Virtual-Reality-Brille auf dem Markt. Zur F8 veröffentlichte Facebook dafür nun eine Testversion des Programms Spaces, mit der man sich zu viert in virtuellen Räumen treffen kann  - etwa zum Quatschen oder zum 360-Grad-Video-Schauen. Schon vor der Konferenz wurde bekannt, dass Gruppenchats im Messenger künftig auch Bots unterstützen , die die Gruppen etwa über Sportergebnisse auf dem Laufenden halten können.

Die Vision: Vorstellungsgespräch mit Wunsch-Avatar

Bevor am Abend gespielt wird, habe ich am Nachmittag einen wichtigen Termin: Ich habe mich bei einer Konkurrenzfirma beworben, jetzt steht das Vorstellungsgespräch an. Dafür muss ich nicht anreisen, auch hier hilft das VR-Headset. Und ich muss nicht mal zum Friseur, denn im digitalen Meetingroom kann ich beeinflussen, wie mein Avatar daherkommt: Ich könnte etwa meine Brille weglassen oder mich sogar so präsentieren, dass man nicht weiß, ob ich ein Mann oder eine Frau bin.

Avatar-Wahl für Facebook-App Spaces (F8 2017)

Avatar-Wahl für Facebook-App Spaces (F8 2017)

Foto: Facebook

Standardmäßig macht eine künstliche Intelligenz mir auf Basis meiner Facebook-Profilbilder automatisch Vorschläge, wie ich aussehen könnte. Gut, dass ich auf manchen älteren Bildern noch richtig fit wirkte.

Das Unternehmen, bei dem ich mich bewerbe, hat sich bereits von Videotelefonie verabschiedet. Bei VR-Gesprächen fühlt man sich schlicht näher beieinander, vor Ort präsent. Und so wie man einst Googles Pappbrille Cardboard als Werbeartikel hintergeworfen bekam, gibt es heute Uralt-Varianten der Oculus Rift mit Handcontrollern beim Discounter.

Zuckerberg mit Oculus Rift und Touch-Controllern (F8 2016)

Zuckerberg mit Oculus Rift und Touch-Controllern (F8 2016)

Foto: JEWEL SAMAD/ AFP

Die einstige High-End-Brille ist so langsam ein Mainstream-Gadget geworden - und wenn man ehrlich ist, ist sie mittlerweile das Mindeste, was man für ein erfülltes Onlineleben jenseits der Chat-Apps braucht. Überarbeitete Versionen des Headsets haben mehr und bessere Sensoren.

2017: Facebook plant AR-Plattform für den Massenmarkt

Im Umfeld der F8 kündigte Mark Zuckerberg an, dass Facebook nicht nur im Bereich VR Großes vorhat: Man wolle die erste Augmented-Reality-Plattform für den Massenmarkt bereitstellen, sagte der Facebook-Chef.

App "Pokémon Go"

App "Pokémon Go"

Foto: © Sam Mircovich / Reuters/ REUTERS

Wie VR, wo man dank des Headsets vollständig in fremde Welten eintaucht, hat auch Augmented Reality (AR) das Ziel, eine andere, in diesem Fall eine erweiterte Realität erlebbar zu machen. Etwa eine, in der Monster auf der Straße herumlaufen. Das geht entweder per spezieller Datenbrille wie bei Microsofts HoloLens oder wie bei "Pokémon Go" simpler über die Kamera-App eines Mobilgeräts.

Die Vision: AR ist überall, schnellem Internet sei Dank

Sechs Jahre später ist es lustig, wie schockiert zu Zeiten des Hypes um "Pokémon Go" manche Leute waren, weil viele Spieler mit dem Smartphone vor dem Gesicht herumliefen. Mittlerweile zücken noch viel mehr Menschen ihre Handys, überall im Alltag gibt es AR-Inhalte. Manche davon schaut man sich nur an, um zu verstehen, warum vor einer weißen Wand so viele Leute stehenbleiben.

Ich selbst kann zum Beispiel jeden Morgen das SPIEGEL-Gebäude per AR-Effekt mit meinem Namen besprayen. Und ich kann mir im Büro meines Chefs jederzeit ein virtuelles Schachbrett auf den Tisch stellen, auch dank des schnellen Mobil-Internets. Erinnert sich noch irgendwer an Edge-Verbindungen?

Mark Zuckerberg bei seiner Keynote (F8 2017)

Mark Zuckerberg bei seiner Keynote (F8 2017)

Foto: Noah Berger/ dpa

Freunde kleben mir virtuelle Post-its an den Arbeitsweg, die nur ich mit meiner Facebook-Kamera-App sehen kann. Werbeplakate zeigen mir auf mich zugeschnittene Werbung: Wenn ich meine AR-Brille aufsetze, springen mich im U-Bahnhof schon mal Dinosaurier an.

Facebooks Ansatz, AR erstmal durchs Smartphone populärer zu machen, war klug. Schon lange hat jeder so ein Gerät, und auch mit Kameraeffekten haben die Leute schon immer gern rumprobiert. Und jetzt, 2022, hat man endlich die Wahl: Man kann weiter umständlich sein Smartphone schwenken oder, wie ich, eine der ersten AR-Brillen für Normalnutzer kaufen. Demnächst soll als Luxus-Gadget auch eine Kontaktlinse mit AR-Spezialfunktionen erscheinen.

An die ständige Kamerapräsenz haben sich die Leute längst gewöhnt. Man weiß ja, dass die Mitbürger nicht alles filmen (obwohl sie es könnten), sondern meistens nur ihre Realität erweitern wollen: mit lustigen Effekten, mit kleinen Herausforderungen, mit Hinweisen auf Schnäppchen der Geschäfte im Blickfeld. Ich nutze AR gern bei der Hausarbeit, wo sich der ätzende Abwasch in ein Minispiel verwandeln lässt.

2017: Zuckerberg kündigt Zehn-Jahres-Plan an

Auf der F8 2017 sagte Mark Zuckerberg, dass AR die Art, wie wir unsere Smartphones - und vielleicht jede Technik - benutzen, verändern wird. Zudem würden viele Dinge wie gemeinsames Fernseher einfacher, wenn man dafür kein physisches Gerät mehr braucht, sondern einfach eins per AR-Effekt digital im Raum erscheinen lassen kann.

Wie schon im Vorjahr präsentierte Zuckerberg einen Zehn-Jahres-Plan, der zeigt, wie und wann Facebook dafür sorgen will, dass eines Tages jeder die Möglichkeit hat, jederzeit was und mit wem er will zu teilen.

Zehn-Jahres-Zeitplan von Facebook (F8 2017)

Zehn-Jahres-Zeitplan von Facebook (F8 2017)

Foto: STEPHEN LAM/ REUTERS

VR und AR fielen im Schaubild noch in die Kategorie "zehn Jahre", einige Unterkategorien wie "Mobile VR" tauchen aber etwas früher im Zeitplan auf. "Die Erfahrungen werden sich nicht über Nacht dramatisch verändern", sagte Zuckerberg. Viele Produkte würden erst demnächst Entwicklern zugänglich gemacht, die ab dann an konkreten Erfahrungen arbeiten könnten.

Klar scheint dagegen: Mit seinen In-App-Kameras, die mittlerweile in allen Facebook-Programmen an prominenter Stelle auftauchen, will Zuckerberg der wichtigste Türöffner zur erweiterten Realität werden. Ähnliche Ansprüche dürfte man derzeit auch bei Google, Microsoft und Apple haben.

Die Vision: Immer online, aber nicht immer präsent

Im Bewerbungsgespräch fragt mich mein Gegenüber an diesem Donnerstag, wie lange ich eigentlich am Tag offline gehe, unter Medienleuten eine Standardfrage im Jahr 2022. Ich sage ihm, was er hören will: Ich bin eigentlich immer erreichbar, nur für Avatar-Meetings beanspruche ich Extrazeiten.

War "online sein" einmal das Maximum an Erreichbarkeit, ist "online sein" heute der Grundzustand, wenn man nicht gerade schläft. Dank VR-Brillen gibt es aber eine Steigerung, "präsent sein": Damit gemeint sind Phasen, in denen man mich in meinem virtuellen Autorenbüro treffen kann, quasi in Person.

"Da wäre ich gern auf 8 bis 18 Uhr beschränkt", sage ich meinem Gesprächspartner, dessen Figur ich ansehe, dass er nicht begeistert ist. "Na gut, kriegen wir hin", sagt er dann mit einer Handbewegung, als würde er das Thema vom Tisch wischen. Und fragt dann: "Sagen Sie mal: Kann es sein, dass das Profilfoto, aus dem ihr Avatar entstanden ist, schon ein paar Jährchen älter ist?" Dieser Bluff ist schiefgegangen.

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