Konzern dokumentiert erstmals Probleme Geheimdienste nutzen Facebook zur Desinformation
Wer sich in diesen Monaten bei Facebook einloggt, betritt ein Schlachtfeld. Er kann Spielball werden in einem neuartigen Informationskrieg, in dem Geheimdienste und andere Gruppen Meinungen, Debatten, Wahlen beeinflussen - mit Mitteln, die immer schwerer zu durchschauen sind.
Zu diesem überraschend deutlich formulierten Befund kommt ein Bericht mit dem Titel "Informationsoperationen und Facebook", den das Netzwerk selbst veröffentlicht hat. Laut dem Sicherheitschef des Konzerns, Alex Stamos, manipulieren Geheimdienste und andere Interessengruppen per Facebook insbesondere Wahlkämpfe mit hohem Aufwand und detaillierter Vorbereitung - mittels Tarnprofilen, dem verschleierten Lancieren von Informationen und strategischem Gepöbel.
Die Warnung der Konzernspitze verweist ausdrücklich auf die Erfahrungen aus den amerikanischen und französischen Präsidentschaftswahlen. Und sie platzt in den anlaufenden Bundestagswahlkampf - in dessen Zug sich die politische Meinungsbildung so stark wie nie in den sozialen Netzwerken, allen voran Facebook, vollziehen wird. Der Donnerstagabend veröffentlichte Report verdeutlicht, welche Gefahren dabei lauern.
Bemerkenswert ist das 13-seitige Dokument, das Stamos mit zwei bekannten Sicherheitsexperten verfasst hat , in zweierlei Hinsicht: Zum einen zählt er die Komponenten und Verschleierungstaktiken neuartiger Desinformationskampagnen auf.
Zum anderen zeigt er ein ganz neues Problembewusstsein und -eingeständnis bei Facebook. Dessen Gründer Mark Zuckerberg tat vor einem halben Jahr noch so, als habe sein Portal keinerlei Einfluss auf den US-Wahlkampf gehabt. Nun macht Facebook deutlich, dass die eigene Plattform eine zentrale Rolle im neuartigen Informationskrieg spielt. Der zeichnet sich etwa durch den strategischen Einsatz von Leaks aus, wie geschehen mit den E-Mails der Demokratischen Partei und von Hillary Clintons Wahlkampfmanager John Podesta. Hier bestätigt der Report, dass insbesondere auf Facebook Fake-Profile eigens dafür gegründet wurden, um zielgerichtet auf diese Leaks hinzuweisen.
"Subtile und heimtückische" Manipulationsversuche
Stamos ist als Sicherheitschef auch Facebooks Verbindungsmann zu Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten. Er glaubt, Facebook müsse die eigene Abwehr umstellen. Habe man sich bislang auf traditionelle Angriffe wie das Hacken von Accounts, Spam und Abzocke konzentriert, muss Facebook jetzt mit "subtileren und heimtückischeren" Manipulationsversuchen fertigwerden.
Dabei spielt laut dem Report die Gründung von Seiten von Tarnorganisationen eine große Rolle. Effektiv sei etwa, Retortengruppen zu bestimmten Themen zu gründen - da diese sich später verselbständigen können, weil genügend wirkliche Nutzer mitmachen. Auch Tarnprofile seien ein beliebtes Mittel. Sie unterscheiden sich von Social Bots, also als Menschen getarnten Programmen, weil sie eben von Menschen betriebene Fake-Profile sind - ein Phänomen, das man auch hierzulande beobachten kann .
Solche Profile und Seiten führen laut dem Bericht zu einer "false amplification" - wörtlich übersetzt einer unechten Verstärkung - bestimmter Meinungen. Die Ideologie, die sie transportieren, erscheint anderen Nutzern dank den koordinierten Aktionen verbreiteter und mehrheitsfähiger, als sie tatsächlich ist. So könne die öffentliche Meinung manipuliert, eine Diskussion gezielt verpestet werden.
Bestimmte Inhalte werden auf der Plattform so breit wie möglich gestreut, die Tarnprofile und -seiten erstellen außerdem aufwiegelnde und rassistische Meme, die sich viral verbreiten - weil andere Nutzer ihnen zustimmen oder vom Inhalt empört sind.
Ziel der Aktionen sei es nicht nur, eine bestimmte Sichtweise zu befördern. Es gehe längerfristig auch darum, in sozialen Netzwerken Misstrauen in politische Institutionen zu säen und Verwirrung durch widersprüchliche Informationen zu stiften.
Facebook beschuldigt Russland - indirekt
Facebook habe mehrfach im Rahmen der US-Wahl solche Akteure entdeckt, deren Nachrichten das gesamte politische Spektrum ins Visier nahmen mit dem Ziel, Spannungen zwischen Gruppen zu verschärfen und deren Unterstützerbasis zu erschüttern.
Viele solcher Aktionen sind laut Facebook von Akteuren gesteuert worden, die die entsprechenden Sprachkenntnisse und grundlegende Kenntnisse über die politische Lage im Zielland hätten. Das setze viel Koordinierung und Planung voraus. Übersetzt: Ressourcen und Kenntnisse, über die in erster Linie Geheimdienste verfügten.
Der Bericht benennt Russlands Geheimdienste als Urheber solcher Kampagnen, wenn auch indirekt. Formuliert ist es so: "Unsere Daten widersprechen nicht der Zuschreibung, die der US-Geheimdienstdirektor in seinem Bericht vom 6. Januar 2017 vorgelegt hat". Dies ist der von Ex-US-Präsident Barack Obama beauftragte Report, der laut der veröffentlichten Kurzversion zum Schluss kommt, dass Wladimir Putin selbst eine Desinformationskampagne zur Beeinflussung der US-Wahl angeordnet habe. Das Ziel: Donald Trump zu begünstigen.
Facebook betont die eigenen Anstrengungen, die es angesichts der neuen Probleme unternehme. Man setze künstliche Intelligenz ein, um Tarnaccounts allein am Postingverhalten zu erkennen, ohne Inhalte anzuschauen. So habe man im französischen Präsidentschaftswahlkampf allein bis Mitte April 30.000 Fake-Profile dichtgemacht.
Warum Facebook den Bericht veröffentlicht
Der Konzern ist in den vergangenen Monaten für seinen Beitrag zur Verbreitung von Falschinformationen und Lügen extrem in die Kritik geraten - die sich eben auch ohne das Zutun von Geheimdiensten, sondern allein durch die Funktionsweise Facebooks millionenfach verbreiten können. Diese Vorwürfe gibt es in den USA, aber auch in Deutschland, wo ein Gesetz mit heftigen Bußgeldern für Fahrlässigkeit beim Umgang mit illegalen Inhalten und strafbaren Falschnachrichten droht. Facebook bemüht sich seit Kurzem, Nutzer aufzuklären und dafür auch unabhängige Faktenchecker zu gewinnen.
Mit dem Schlagwort der Informationskampagnen hebt der Konzern das Problem nun auf eine neue Ebene. Es gehe nicht um das skurrile Geschäft einzelner Fake-News-Produzenten, die Facebook leicht abklemmen könnte, es geht um die knallharte Machtpolitik von Staaten. Die Botschaft des Berichts zur geschickten Manipulation durch staatliche Propagandaapparate ist deshalb wohl auch: Wir nehmen das Problem ernst, aber es ist größer, als ihr denkt.
Zusammengefasst: Erstmals hat Facebook einen Bericht erstellt, der belegt, wie die Plattform etwa bei Wahlen in den USA oder Frankreich zum zentralen Schauplatz für Desinformationskampagnen von Geheimdiensten geworden ist. Diese setzen Tarnprofile ein oder lancieren verschleiert Informationen. Der Bericht weist Russlands Geheimdiensten, wenn auch indirekt, die Urheberschaft zu. Als Gegenmaßname nennt Facebook den Einsatz von künstlicher Intelligenz, macht aber auch deutlich: Die Dimension des Problems ist riesig.