

Zukunftsvisionen Facebooks Milliardenwette auf die Eitelkeit im Netz

Liebe Leserin, lieber Leser,
während Facebook medial unter Beschuss steht, hat Mark Zuckerberg einen ebenfalls schlagzeilenträchtigen Plan für die Transformation seines Unternehmens präsentiert. Facebook, das sich jetzt Meta nennt, will im Laufe dieses Jahrzehnts und darüber hinaus ein Metaverse aufbauen. Gemeint ist damit eine digitale Welt, die man üblicherweise als dreidimensionale Repräsentation seiner selbst betritt, und das idealerweise, fürs Mittendrin-Gefühl, mit einer Virtual-Reality-Brille auf dem Kopf.
Die Idee des Metaverse, die ich in einem anderen Artikel ausführlicher beschrieben habe , stammt aus Science-Fiction-Romanen wie »Snow Crash«. Zuckerberg sieht in solch einer als 3D-Avatar erlebbaren Umgebung den »Nachfolger des mobilen Internets«. Man könnte seinen Plan als Versuch werten, den Nullerjahrehype um »Second Life« mit der gigantischen Reichweite der Facebook-Dienste und dessen Oculus-VR-Headsets zu verheiraten, als milliardenschwere Wette auf das nächste große Ding.
Es mag sein, dass sich das Facebook-Metaverse nie durchsetzt oder dass es eine Geschichte voller Rückschläge und Planänderungen wird, wie Facebooks Versuch, die Digitalwährung Libra zu etablieren, welche mittlerweile Diem heißt. Und möglich scheint mir auch, dass andere Firmen attraktivere Onlinewelten bauen. Facebook will seine künftige Plattform möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen, was vermutlich bedeutet: Im Metaverse gibt es Werbung. Erotik dagegen, ein verlässlicher Beschleuniger von Techniktrends, passt nicht zum bisherigen Firmenimage, genauso wenig wie ein Fokus auf Privatsphäre und Sicherheit, den Facebook für sein Metaverse verspricht.
Für Facebooks Chancen aber spricht, dass es etliche Milliarden in das Projekt Metaverse investieren will, 10.000 neue Jobs in Europa angeblich inklusive. Zudem wird Facebook schwer abzuschütteln sein: Sollte etwa einem Start-up zuerst ein Durchbruch gelingen, kann es gut sein, dass es sich jene Firma einverleibt, wie WhatsApp und Instagram. Alternativ könnte Facebook Konzepte der Konkurrenz kopieren und sie seinen Nutzern zugänglich zu machen – Ideen von Snapchat und TikTok in Instagram lassen grüßen.
Bemerkenswert fand ich, was Mark Zuckerberg am Donnerstag über Avatare und digitale Objekte erzählte. Bei seiner Entwicklerkonferenz-Keynote sagte er , dass man seiner Meinung nach alles, was man im Metaverse kauft, in verschiedenen Apps und Erfahrungen nutzen können sollte. Zu verstehen war das als Seitenhieb zum Beispiel gegen Kostüme aus Games wie »Fortnite«, die sich nach dem Kauf nur in der Welt dieses einzelnen Spiels tragen lassen, so groß diese mittlerweile sein mag (manche nennen auch »Fortnite« ein Metaverse).

Szene aus der Facebook-Produktshow: Am Geschehen im Metaverse sollen auch Menschen ohne Virtual-Reality-Headset teilnehmen können, etwa per Videocall
Foto: facebookDie Frage, wie Nutzer im Metaverse aussehen und welche virtuellen Güter sie besitzen können, wird über den kommerziellen Erfolg des Projekts mitentscheiden. Denn der Verkauf von digitalen Kostümen und Accessoires oder auch Grundstücken und Einrichtungsgegenständen dürfte für Metaverse-Betreiber zu den lukrativsten Einnahmequellen zählen. Dafür spricht, dass sich der kreative Prozess, das Gestalten der virtuellen Güter problemlos an andere Firmen oder gar einzelne Nutzer auslagern lässt, solange man in Form einer Provision weiter von den Verkäufen besonders gefragter Inhalte profitiert. »Roblox« etwa, eine bei Kindern und Jugendlichen beliebte Spieleplattform, hat dieses Prinzip perfektioniert. Hier erstellen Nutzer anderen Nutzern Inhalte , mit Tools der Betreiberfirma, die bei solchen Geschäften mitverdient.
Manchen Menschen dürfte zwar die Idee, überhaupt Geld für digitale Objekte auszugeben, befremdlich vorkommen. Doch oft rentieren sich solche Angebote schon, wenn nur ein gewisser Teil der Nutzer hin und wieder etwas kauft und ein kleiner Teil sehr regelmäßig oder sehr viel Geld ausgibt. In der Videospielwelt sind seit Jahren selbst rein kosmetische Güter, die keinen Einfluss auf das Gameplay haben, gefragt. Es gibt Gaming-Gegenstände, die sind Spielern drei- bis fünfstellige Summen wert .
Im Metaverse sind ähnliche Trends zu erwarten, spätestens, wenn dort Firmen wie Sneaker-Hersteller aktiv werden, die schon offline berühmt-berüchtigt dafür sind, Produkte mittels künstlicher Verknappung und cleverem Marketing besonders interessant zu machen. Ein Turnschuh, der nur ein einziges Mal existiert, könnte auch im Metaverse schnell zu einem Bieterkrieg führen.
Und so etwas wären nur die Extremfälle: Sollte es wirklich einmal so weit kommen, dass viele Millionen Menschen – Zuckerberg träumt von einer Milliarde Nutzer – das Metaverse zum Abhängen, aber auch zum Arbeiten nutzen, oder, um neue Kontakte zu knüpfen, dürfte ihnen ihr digitales Ebenbild nicht unwichtig sein. Bei einem VR-Date etwa oder einem VR-Verkaufsgespräch könnte jemand seinem Gegenüber anders gegenübertreten wollen als mit einem kostenlosen 08/15-Avatar.
Und wer jetzt Stunden Arbeit oder ein professionelles Shooting in seine Profilbilder bei Instagram, Tinder oder LinkedIn investiert, wird auch für seine 3D-Variante Ansprüche haben. Eitelkeit, aber auch Mode- und Markenzwänge sowie Statussymbole sind keine Offline-Phänomene. Aus dem »Fortnite«-Universum etwa, wo sogenannte legendäre Kostüme regulär rund 20 Euro kosten, kursierten bereits Geschichten von Schülern, die angeblich gemobbt wurden, weil sie im Spiel keine coolen, sondern die Standardkostüme trugen . Der NFT-Markt, der sich um den Besitz virtueller Güter dreht und auf dem teils Millionenbeträge gezahlt werden, zeigt ebenfalls, wie gefragt Digitalobjekte sein können, wenn man mit ihnen spekulieren oder angeben kann.
Mark Zuckerberg selbst sagte in seiner Präsentation, Metaverse-Nutzer werden »eine Garderobe mit virtueller Kleidung für verschiedene Anlässe haben, die von verschiedenen Machern und aus verschiedenen Apps und Erfahrungen stammt«. Das klingt für mich nach: Nutzer werden vielerorts Geld ausgeben können. Und als Zuckerberg ganz zu Beginn aufzählte, was man im Metaverse alles machen könne, folgte auf die Punkte Treffen mit Freunden und der Familie, Arbeiten, Lernen und Spielen auch gleich dieser: Shoppen. Das Metaverse könnte so nicht nur für Facebook teuer werden.
Fremdlinks: drei Tipps aus anderen Medien
»Nilay Patel on Facebook's reckoning with reality – and the Metaverse-size problems yet to come « (Englisch, sechs Leseminuten)
»The Verge« ist eine der besten Tech-Websites weltweit, diesen Montag wird sie zehn Jahre alt. Zum Geburtstag empfehle ich Ihnen daher dieses »Vanity Fair«-Interview mit dem Chefredakteur Nilay Patel. Es dreht sich um die Arbeit des Magazins, aber auch um Facebooks Metaverse-Pläne.»Spielvertiefung: Auf einen Whisky 001 « (Podcast, 75 Minuten)
Die Nachricht, dass das Spielemagazin 4Players eingestellt wird, betrübte kürzlich viele deutsche Gaming-Fans. Der Chefredakteur von 4Players, Jörg Luibl, hat nun sein kommendes Projekt vorgestellt, ein Online-Angebot namens Spielvertiefung , zu dem das Podcastformat »Auf einen Whisky« gehört. In dessen erster Folge unterhält sich Luibl mit Stephan »Fabu« Günther, der früher das Gaming-Blog »Superlevel« leitete.»Datenschutz tötet. Nicht. « (zwei Leseminuten)
Dietmar Pennig, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), warnte kürzlich, dass die Auslegung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) Menschenleben gefährde . Ute Roos vom Magazin »iX« hält in diesem Kommentar dagegen: »Das ist, mit Verlaub, Bullshit.«
Ich wünsche Ihnen eine gute Woche,
Markus Böhm