Judith Horchert

Facebook und Cambridge Analytica Die Kontrolle verloren

Für Nutzer bleibt der Datenskandal um Facebook und Cambridge Analytica merkwürdig abstrakt. Viele von uns wissen nicht mehr, ob wir etwas zu verbergen haben - und vor wem. Das führt zu einer gefährlichen Fehleinschätzung.
Apps auf dem Smartphone

Apps auf dem Smartphone

Foto: imago/ Rene Traut

Datenschützer dürften sich diese Woche bestätigt fühlen. Das Szenario, vor dem sie immer warnen, ist eingetreten: Datensätze sind in die falschen Hände geraten - in die von Cambridge Analytica.

Während die rund 270.000 Nutzer einer Dritt-App namens "thisisyourdigitallife" auf Facebook glaubten, ihre Daten helfen der Wissenschaft, soll Cambridge Analytica sie zu Psychogrammen verarbeitet haben, damit man die Nutzer - etwa mit politischer Werbung - gezielt ansprechen kann. Die Firma hat den rechtspopulistischen Strategen Stephen Bannon im Aufsichtsrat und half Donald Trump beim Wahlkampf. Es ist aber unklar, ob die fraglichen Daten auch tatsächlich für Trump eingesetzt wurden. Wie so vieles unklar ist - etwa, was genau mit wessen persönlichen Daten bei diesem Skandal eigentlich passiert ist.

Auch wenn nun mancher Besserwisser sagen mag, dass Facebook-Nutzer "selbst schuld" seien und die nun enthüllten Vorgänge "sowieso klar", "kein Wunder" oder "längst bekannt": Niemand sollte damit rechnen müssen, dass eine schattige Firma aus dem rechten Spektrum psychologische Profile zu politischen Zwecken erstellt, nur weil man auf Facebook aktiv ist.

Nichts zu verbergen, aber etwas vorzuzeigen

Übrigens weiß Facebook längst auch viel über Internetnutzer, die kein Mitglied sind. Und selbst wer mit restriktiven Privatsphäre-Einstellungen in dem Netzwerk unterwegs ist, hat womöglich unberechenbare Freunde, die Informationen über ihn veröffentlichen oder sich eine App wie "thisisyourdigitallife" herunterladen. Durch die vielen Verknüpfungen, durch Facebook-Buttons und durch zahlreiche Drittanbieter haben Nutzer die Kontrolle über ihre Daten längst verloren. Wer könnte der Datenberge noch Herr werden, die Firmen wie Facebook angehäuft haben?

Video: Marc Zuckerberg äußert sich zum Datenskandal

SPIEGEL ONLINE

Einem großen Teil der Nutzer dürfte die Antwort egal sein. Viele glauben weniger, etwas zu verbergen, als etwas vorzuzeigen zu haben.

Plattformen wie Instagram leben davon, dass Menschen anderen Menschen zeigen möchten, wie gut sie leben. Wie raffiniert sie kochen. Wie schön ihre Lunch-Bowls aussehen, wie gut sie sich kleiden und ihre Kinder erziehen.

Die Meinung darüber, wie schützenswert Informationen über das eigene Leben sind, gehen dabei weit auseinander: Während Datenschützer fürchten, Informationen über den persönlichen Lebensstil könnten Krankenkassen in die Hände fallen, hoffen andere auf genau das - etwa, um sich mit niedrigeren Beiträgen für ihr gesundes Leben belohnen zu lassen.

Und während Journalisten und Aktivisten vor ausufernder staatlicher Überwachung warnen, erreichen uns viele Leserbriefe, in denen andere Menschen schreiben, dass sie in der Hoffnung auf weniger Verbrechen und mehr Sicherheit Polizei und Geheimdiensten so viele Daten wie möglich preisgeben möchten.

Eine lockere Einstellung muss man sich leisten können

All das ist völlig legitim und teils verständlich. Aber einen lockeren Umgang mit den eigenen Daten muss man sich erst einmal leisten können.

Wir leben im Luxus einer stabilen Demokratie, mit einem funktionierenden Rechtsstaat, in Freiheit. Aus dieser Position lässt sich leicht eine freizügige Handhabe der eigenen Daten ableiten. Höchstwahrscheinlich wird niemand wegen eines Lunch-Bowl-Postings oder eines Smoothie-Bilds jemals ernste Konsequenzen erleben.

Allein der Hinweis aber, dass politische und gesellschaftliche Gegebenheiten sich ändern können - wie zum Beispiel in der Türkei, in Ungarn oder in den USA -, wird oft nur belächelt. Mit fast überheblichem Grusel schauen wir auf ein staatliches Social Credit System wie in China. Dort kann unerwünschtes Verhalten für ganz konkrete Nachteile im Alltag sorgen. Weit weg von uns - oder?

Wir haben nicht einmal eine Idee, in wessen Hände die Daten fallen könnten

Das Problem ist, dass niemand von uns heute noch eine Übersicht darüber hat, was für ein Datensatz über ihn entstanden ist, durchs Posten, Liken und beim Surfen. Wer Zugriff auf diesen Datensatz haben könnte. Und was man dort hineinlesen kann oder in 25 Jahren hineinlesen könnte.

Selbst wer meint, heute ein vorbildhaftes Leben zu führen, kann nicht absehen, ob und wie lange dieses Leben unangreifbar bleibt. Die Daten bleiben zwar gleich, aber sie kommen mitunter in ganz neue Hände. Und der aktuelle Datenskandal bei Facebook zeigt: Wir haben oft nicht einmal eine Idee davon, in wessen Hände.

Einen stalkenden Ex-Partner oder einen mitlesenden Geheimdienst hat man als Nutzer sozialer Medien vielleicht als Szenario im Kopf. Eine Firma wie Cambridge Analytica hatten aber wohl die wenigsten auf dem Schirm. Zum Kontrollverlust gehört nämlich auch, dass wir nicht mehr überblicken können, welcher Akteur welche Interessen verfolgen könnte - und auf welche Abwege unsere vermeintlich harmlosen und bewusst preisgegebenen Daten geraten könnten.

Wir wissen also selbst gar längst nicht mehr, ob wir etwas zu verbergen haben oder ob wir manche Informationen über uns besser schützen sollten. Noch weniger wissen wir, vor wem überhaupt.

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