
Gefälschte Nachrichten und Propaganda Gegen Fake News hilft kein Gesetz


Facebook-Nutzer
Foto: DADO RUVIC/ REUTERSWeil einige Medien Fake News in den USA als wahlbeeinflussend bezeichneten und auch in Deutschland eine politische Wirkung möglich scheint, hat sich Bundeskanzlerin Merkel zum Thema geäußert : "Ich will darauf aufmerksam machen, ... dass heute Fake-Seiten, Bots, Trolle Meinungsbilder verfälschen können." Dazu haben einige Parlamentarier "Strafverschärfung" gefordert, sowie die Strafbarkeit von "gezielter Desinformation zur Destabilisierung eines Staates".
Es zeugt von großer Cleverness (oder kleiner Unachtsamkeit), dass Angela Merkel selbst den Begriff "Fake News" nicht verwendet hat. Denn die Debatte ist fehlgeleitet, und das liegt auch an der schillernden Schönheit dieses neuen Begriffs nach Art der Digitalisierung, wo Entwicklungen erst eine Öffentlichkeit finden, wenn sie einen klingenden Namen bekommen: Filter Bubble, Big Data, Datenautobahn. Solche Schlagworte sind zwar wichtig, weil sie eine Debatte eröffnen können - aber sie kommen mit gehörigem Ballast daher:
- Der Begriff Fake News stützt die schwarz-weiße Vorstellung, man könne sämtliche Nachrichten in wahr oder falsch unterteilen. Obwohl es "echte Falschmeldungen" gibt, ist das nicht der Fall.
- Es schwingt der Gedanke an eine Verbreitung über soziale Medien mit und damit die Annahme, dass es eine algorithmische Lösung geben müsse, die gefälligst von Facebook zu erarbeiten sei. Beides ist falsch bis katastrophal.
- Vor allem aber bestehen Fake News aus verschiedenen Phänomenen, viele uralt, ein paar internet-neu. Fake News ist ein diffuser Sammelbegriff ohne die Trennschärfe, die für die Debatte notwendig wäre.
Daher zeichne ich hier verschiedene Dimensionen von "Fake News", die man unterschiedlich angehen kann oder muss - oder auch nicht (gesetzlich) angehen sollte, weil eventuelle Lösungen mehr Schaden anrichten könnten als das Problem selbst.
Fake News = Propaganda
Propaganda, also teils verdeckte, zielgerichtete Politkommunikation zur Beeinflussung der Öffentlichkeit, liebt soziale Medien. Propaganda arbeitet schon immer mit Lügen, Auslassungen und Perspektivverschiebungen. Neu ist "Social Propaganda", bei der diese Beeinflussung etwa durch Vortäuschung großer Online-Unterstützung geschieht.
Aber so schlimm sich Propaganda anhört - es handelt sich nicht um eine sinnvoll verbietbare Kategorie, schon gar nicht im transnational funktionierenden Netz. Das vom Kreml finanzierte Medium "RT Deutsch" etwa ist eindeutig Propaganda.
Wo aber die Grenze zwischen doofer Propaganda und erwünschter politischer Meinungsbildung verläuft, kann kaum juristisch gefasst werden, sondern ist zwingend Gegenstand ständiger Debatten. Entsprechende Gesetze würden daher in einem liberalen Rechtsstaat enormen (Kollateral-) Schaden anrichten. Ironischerweise würde also ein Verbot von Propaganda wie "RT Deutsch" Deutschland in die Richtung eines autoritären Staates wie Russland verschieben.
Fake News = Erregungsenten
Weil soziale Medien Gefühlsmedien sind, sind nicht etwa ausgewogene Nachrichten im Vorteil, sondern Sensationen, Begeisterung und Empörung. Und weil in der Aufmerksamkeitsökonomie des Internets jeder Klick monetarisierbar ist, entstehen in marktlogischer Folge Inhalte, die keinem anderen Kriterium folgen als dem Verbreitungswillen. Maximale Erregung zur maximalen Verbreitung für maximalen Umsatz.
Klassische Boulevardmedien aber arbeiten schon lange mit ähnlichen Instrumenten. Das zeigt, dass Erregungsenten kein Phänomen sind, dem man gesetzlich leicht beikäme, von Gegendarstellungen abgesehen, die in sozialen Medien nur schwer sinnvoll einsetzbar erscheinen.
Fake News = Satire
Noch vor kurzer Zeit verstand man unter "Fake News" Unterhaltungssendungen wie "heute-show" oder Jon Stewarts "Daily Show". Die Satireseite "Der Postillon" besteht aus ausgedachten Nachrichten, die den Anschein echter Nachrichten erwecken sollen. Regelmäßig fallen Leute auf deren Meldungen herein - ein Anzeichen, dass Fake News auch als unsichtbare Medienkompetenzprüfung verstanden werden können.
Eine gesetzliche Grenze zwischen den alten, wertvollen Fake News (Satire) und neuen, schlechten Fake News ist aber kaum sinnvoll zu ziehen: die Persiflage ist zu selten faktisch wahr, und Satire war zu oft schon Ziel politischer Zensur.
Fake News = Zuspitzungen
Aufmerksamkeit in sozialen Medien wird nicht nach sorgfältiger Abwägung verteilt, sondern in einem lodernden Moment. Ungefähr wie Zeitungen am Kiosk auch nach Schlagzeilen gekauft werden. Deshalb ist die Zuspitzung ständiger Begleiter fast aller Medienschaffenden.
Aber was noch legitime Zuspitzung ist und was schon Unwahrheit, darüber ist keine generalisierte Aussage möglich. Jede Formulierung in jedem Kontext ist ein Einzelfall. Eine gesetzliche Lösung würde zwingend die generalisierende Abstraktion erfordern, und wäre daher prinzipiell schädlich.
Fake News = Noch-Nicht-Gewissheiten
Es ist ein wiederkehrendes Muster der Nachrichtenhistorie, erst hinterher klüger zu sein. Wenn überhaupt. Eine große Zahl Enthüllungen von Edward Snowden waren bis zur Veröffentlichung der Dokumente Vermutungen, wenn nicht Verschwörungstheorien.
Daraus ergibt sich keine Legitimation, Verschwörungstheorien als Nachrichten zu behandeln, aber es existiert ein Graubereich, in dem selbst von seriösen Medien mit Indizien gearbeitet werden muss. Der Vereinfachungswunsch der Öffentlichkeit aber lässt - nicht nur in sozialen Medien - aus Indizien Beweise, aus Vermutungen Gewissheiten gerinnen. Selbst wenn mit der gebotenen sprachlichen Vorsicht formuliert wird. Weil die entscheidende Zutat in den Köpfen der Menschen hinzugefügt wird, ist eine gesetzliche Regelung dieses Fake-News-Aspekts Unfug.
Fake News = Interpretationen
Beispiel Agenda 2010 der SPD: Handelt es sich um Reformen, die Deutschland erfolgreich gemacht haben? Oder um die versuchte Abschaffung des Prinzips Sozialstaat? Nicht nur was als Meinung erkennbar ist, ist schwer in ein Wahr-Unwahr-Raster einzuordnen, sondern auch viele Deutungen von Tatsachen.
Nachrichten bestehen aus Fakten, aber auch der Einordnung von Fakten. Die Frage, ob diese Einordnungen wahr oder unwahr seien, ist also falsch gestellt, weil es um die Perspektive auf die Fakten geht. Zwar gibt es eine Grenze, an der Interpretation zu Unwahrheit werden kann - aber auch hier existiert kein Generalrezept zur gesetzestauglichen Erkennung dieser Grenze.
Fake News = Unüberprüfbarkeiten
In den Begriff Fake News ist eine simple Wahrheitsdefinition eingebaut, und die erfordert Falsifizierbarkeit. Bei vielen nachrichtlichen Informationen aber lässt sich kaum sagen, ob sie überprüfbar wahr sind. Journalismus arbeitet mit Kolportagen, anonymen Zitaten, durchgesteckten Informationen und Leaks. Die Grenze zwischen Wahrheit, Instrumentalisierung und Unwahrheit ist hier nicht immer eindeutig, trotzdem kann und muss berichtet werden - auf Basis des Vertrauens.
Vertrauen ist aber keine gesetzlich fassbare Eigenschaft. Soeben wird schmerzhaft bewusst, welche Vertrauenskatastrophe die durch Snowden bekannte Überwachungsrandale westlicher Geheimdienste bewirkte. Die Bewertung der Frage, ob Russland tatsächlich versuchte , die US-Wahl zu beeinflussen (ich persönlich glaube: ja) - beruht auf Vertrauen in Behörden, die in der Vergangenheit wieder und wieder gelogen haben und Lügen (und Propaganda) als Teil ihres Auftrags betrachten. Ein interessanter Nebenaspekt der Unüberprüfbarkeit ist daher das Glauben, in der Folge sogar der Glaube. Und ein Gesetz, das Bibelzitate in den Verdacht von Fake News bringen könnte - na ja.
Was lässt sich aber unternehmen gegen diese vielschichtigen Probleme, die unter "Fake News" zusammengeworfen werden? Diese Frage kann vielleicht im Rückgriff auf die Philosophie beantwortet werden. Hannah Arendt hat 1949 notiert : "Der wohl hervorstechendste und auch erschreckendste Aspekt der deutschen Realitätsflucht liegt in der Haltung, mit Tatsachen so umzugehen, als handele es sich um bloße Meinungen."
Diese Erkenntnis gilt inzwischen für die gesamte digitale Sphäre, eigentlich für die gesamte Öffentlichkeit. Das eigentliche Problem ist also weniger die Falschheit von Fake News, sondern die Einordnung von Fakten als Meinungen - und zwar mit sozialer Funktion.
Forschungen zu Fake News im politischen Kontext von Donald Trump zeigen, dass es bei der Informationsverbreitung in sozialen Medien gar nicht um Nachrichten geht. Sondern um Selbstdarstellung zur sozialen Bindung: "Schaut her, ich bin eine Person, die Zweifel an der Regierung hat, und ich suche die Bestätigung durch Gleichgesinnte sowie die Abgrenzung von Andersgesinnten."
Die Verbreitung von Fake News in sozialen Medien hat eine soziale, keine nachrichtliche Funktion. Aber für diesen Zweck würden auch ausgewählte echte Nachrichten ausreichen - denn das wirklich wahre Weltgeschehen ist voll mit grauenhaften Details, die für sich genommen ohne Einordnung noch jede Emotion auslösen können.
Dadurch lässt sich eine bittere Wahrheit hinter der Debatte um Fake News erkennen. Sie kennzeichnet eine Zeit des allgemeinen Mangels an Gewissheiten über das Weltgeschehen. Fake News konnten nur durch eine Glaubwürdigkeitskrise der klassischen Nachrichten und Medien selbst zum übergroßen Problem werden.
Fake News sind damit ein gesellschaftliches Symptom wie der autoritäre Kampfruf "Lügenpresse". Beiden lässt sich nur indirekt begegnen: Durch Aufklärung und Wahrhaftigkeit, durch Transparenz und Fehlerkultur, durch offene Debatte und offensive Meinungspluralität, vielleicht durch technische Hilfestellungen dieser Werte und Methoden. Aber nicht durch Gesetze.