Gewaltphantasien im Internet Drehbücher für Amokschützen

Texte junger Autoren im Internet veranschaulichen auf makabre Art, was im Kopf des wahnsinnigen Täters von Erfurt vorgegangen sein könnte. Doch solche Gewaltphantasien stiften auch zur Nachahmung an. Ist es Zeit für die Selbstzensur von Internetbetreibern, wie sie auch der Bundeskanzler will?
Von Holger Kulick

Berlin - "Die Wumme bebt in meiner Hand, Blut spritzt an die Tunnelwand, der Terror ganz verwundert schaut, das Blei ihm seinen Kopf zerhaut".

Dieser Vers gehört zu einem Gedicht irgendwo im Angebot von "counter-strike.de". Die Schlusszeilen des Textes lauten: "Wie gut doch, dass die meisten wissen: "Auf Indizierung wird geschissen!". Solche Geschmacklosigkeiten finden sich zuhauf im Internet und sind auch ein Grund, weshalb der Bundeskanzler nicht nur mit den Fernsehmachern, sondern, noch intensiver, mit den Internet-Providern ins Gespräch kommen will. Denn unreflektierte Gewaltverherrlichung findet nicht nur in Videospielen statt, sondern ist genauso in zahllosen gewaltverherrlichenden Texten nachzulesen, die irgendwann ins Netz gestellt werden, wo sie niemand mehr entfernt.

Wer bei guten Suchmaschinen beispielsweise "pumpgun" eingibt, stößt auf eine Reihe von Texten, die verbreitete Gewaltphantasien von Jugendlichen offenbaren. Skrupellose Gewalttätigkeit ist das typische Kennzeichen im Denken jener Pumpgun-Märchenerzähler. Ein Beispiel aus "kaschemme.de":

"Aus dem Schlaf gerissen, schnappt sie sich die am Bett lehnende Pumpgun... Fenster auf, ein paarmal schießen, horchen - endlich Ruhe..... ...Ein Fahrradkurier hält neben ihr an und fragt sie nach einer Adresse. Sie lächelt. Er lächelt zurück. Sekunden später knallt sein Kopf auf den Lenker. Sarah zündet noch schnell seinen buschigen Haarzopf an und drückt ihm eine herumliegende, zersplitterte Bierflasche in den durchtrainierten Bauch. Er schreit auf, sie tritt zum Abschluss noch einmal zu, schnappt sein mit Spikes bespicktes Mountainbike und radelt davon."

Warum die Macher solcher Seiten nicht aus eigenem Antrieb auf solche Texte verzichten, bleibt ein Rätsel mit nur einer einzigen Lösung: Auch sie haben keine ausgeprägte Moral und versuchen diesen Mangel mit aufgesetztem Humor zu überdecken. Dabei verherrlichen sie die Pumpgun in der Regel als Waffe für kaltblütige Morde und zelebrieren Schüsse aus dem Hinterhalt:

"Hmmm, nun ja - es gab siebzehn Tote durch Handgranaten, ein paar Tote bzw. Schwerverletzte durch eine aus dem Hinterhalt kommende Pumpgun-Attacke, zwei gesprengte Minderjährige, eine ziemlich matschige Oma, ein zerschmettertes Kind, einen Fahrradkurier, dessen Körper ihm auch nicht mehr viel bedeuten kann und eine gedemütigte Schwangere. Ach ja, nicht zu vergessen zahllose tote Tauben und zwei durchlöcherte, mit Spikes gespickte Obdachlose."

Getarnte Gewaltphantasien

Dabei tarnen die Autoren solche Phantasien in der Regel als Traum-, oder Alptraumgeschichten, und die Betreiber entsprechender Websites versuchen mit humorvollen Wendungen zu rechtfertigen, warum eine solche Geschichte im Netz überlebt. So endet die Kaschemmengeschichte mit dem Nachsatz: "Der Kaschemmenwirt meint: Tja, das hat man nun davon, wenn man den Mädelz erlaubt, die Kopftücher abzunehmen."

Wohlmeinende mögen das alles unter Sarkasmus und trockenem Humor abhaken, aber die Abstumpfung vor Gewalt vollzieht sich hier genauso, wie beim Anschauen von Gewaltvideos. Bereits am vergangenen Freitag, dem Tat-Tag von Erfurt, stand bei "horrorgifs.de" unter "two hours shit" eine Horror-Phantasie vorne an, die in etwa widerspiegelt, was das kranke Hirn von Robert Steinhäuser so begeistert hat: Im eigenen Tod skrupellos mit seinen vermeintlichen Demütigern abzurechnen und dabei als Negativ-Held in die Geschichte einzugehen. Auch bei "horrorgifs" geht dem Selbstmord als purer Racheakt ein Massenmord voraus, und zwar an allen, von denen sich die Hauptfigur gedemütigt fühlte und die ihm zufällig im Weg stehen und nicht passen:

"WILLST DU ETWA DEIN LEBEN LANG GEDEMÜTIGT WERDEN!!!?????"..."neeeeeeiiiiiinnnn!!" Jim nimmt eine abgesägte Pumpgun aus der Tasche und bindet sie sich mit einem Seil um die Schulter, dann nimmt er einen Halfter mit je 2 Barettas und bindet sich den Halfter um. "Jaaa gleich werden sie nicht mehr lachen!!!!"... In der 2. Etage stürmte er eine Tür mit der Aufschrift: "Hier wohnt Maria und Mike Micic." "Ha ha ha ihr seid toooot!!!" Er tritt mehrmals auf die Tür ein.... Maria öffnet die Tür "Hi...Jimy ist da..." und Jim schießt ihr den Kopf mit der Pumpgun in Stücke."

Pietätlos wurde diese Geschichte bislang nicht aus dem Internet entfernt. Denn die Parallele zur Tat von Robert S. wird an ihrem Ende unverkennbar:

"Er rennt runter zur Haustür. Auf dem Weg knallt er noch Frau Müller den Kopf mit der Pumpgun weg. Im Treppenhaus lädt er noch mal seine ganzen Waffen. "Jetzt ist Schluss mit lustig!!!!" Jim rennt mit geladenen Waffen auf die Straße und schießt auf alles, was sich bewegt. Hier ein Kopf, der zerplatzt, da ein Magenschuss, hier ein Streifschuss. Dann wieder 3 Kopfschüsse...".

In der Erzählung tauchen schließlich Polizisten auf, auf die der Phantasietäter genauso brutal schießt wie der reale Amokläufer von Erfurt. Auch in dieser Geschichte, die bereits vor dem Erfurter Massaker im Netz stand, erschießt sich der Amokläufer schließlich triumphierend in einem kleinen Zimmer und betrachtet als Racheengel seinen Auftrag als erfüllt - den Bezug zum wahren Leben hat er längst verlassen, weil er sich nur noch in diese Rachephantasie geflüchtet hat:

"...Ok, ich sterbe immerhin mit Erfolg" Jim setzt sich hin lädt seine Pumpgun nach und hält sie sich in den Mund...BOOM ertönt es laut. Als die Polizisten das kleine Zimmer betreten, sehen sie nur eins: Blut im ganzen Zimmer und Gehirnstückchen, die auf dem Boden liegen....Jim beobachtet sie aus der Luft in der Ferne dabei mit den Worten "Ich habe Rache vollführt..... Ich habe Rache vollführt..... Ich habe Rache vollführt.....".

Pschychologisch ist diese Story aufschlussreich und beängstigend zugleich. Dem unbekannten Autor, der nur mit "Ich schrieb diese Story in 2 Stunden he he." unterzeichnet hat, ging oder geht eine solche Tat womöglich selber durch den Kopf. Doch genau davor hat Bundespräsident Johannes Rau am Freitag in seiner Erfurter Trauerrede gewarnt und gemahnt, Menschen nicht in Scheinwelten abgleiten zu lassen. Für Webbetreiber übersetzt könnte das heißen:

Auch wer für den Content im Internet sorgt, sollte solchen Menschen lieber helfen, statt ihre Texte für das Unterhaltungsbedürfnis von Horrorfans zu missbrauchen. Denn mit ihrer Verbreitung wächst die Gefahr, dass sich manch ein Leser mit ähnlichen Gewaltphantasien bestätigt sieht und durchknallt.

"Wahnsinn lässt sich nie verhindern, aber verringern", steht auf einem Zettel im Blumenmeer von Erfurt. Der Appell gilt auch im Netz.

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