Größte Studenten-Community Peinliche Pannen bringen StudiVZ in Verruf

Umstrittene Geschäftspraktiken, Zweifel am Datenschutz, dubiose Nazi-Witze und unflätige Videos: Die Studenten-Community StudiVZ kämpft mit enormen Problemen - äußerst unpassend angesichts aktueller Verkaufsgerüchte. Mitgründer Dariani gibt zu: "Ich habe viel Mist gebaut."

Ehssan Dariani fleht fast um Gnade. Er "habe zweifelsohne viel Mist gebaut", schreibt der Mitgründer des Online-Studentennetzes StudiVZ in seinem Unternehmens-Blog. "Einige Aktionen und Verhaltensweisen von mir waren nicht in Ordnung und falsch." Sein Umgang mit manchen Bloggern, Partnern und Journalisten sei "völlig unangemessen und unprofessionell" gewesen. "Ich möchte mich für die entstandenen Irritationen ehrlich entschuldigen."

Anlass für die öffentliche Bitte um Ablass: umstrittene Geschäftspraktiken, Arroganz, eine dubiose Nazi-Satire - und auf Toiletten gedrehte Videos von Fremden. Die Entschuldigung ist der vorläufige Höhepunkt eines beispiellosen Dramas um jene ungemein populäre Internet-Community, die am 11. November gerade ihren millionsten Nutzer willkommen hieß und um die sich aktuell Verkaufsgerüchte ranken. Da kommt es mehr als ungelegen, dass gerade ein "Hagel an Kritiken" auf sie niedergeht, "wie es kritische Blogger treffend beschrieben haben" (Dariani).

Der Boom des StudiVZ, das sich vornehmlich an Studenten richtet (SPIEGEL ONLINE berichtete), hat in den vergangenen Monaten Investoren und die Internet-Gemeinde fasziniert. StudiVZ wird mitfinanziert vom Venture-Capital-Arm des Holtzbrinck-Verlags ("Die Zeit", "Handelsblatt") und den Gebrüdern Samwer - bekannt für die Klingeltonfirma Jamba. Die Samwers waren reich geworden durch den Verkauf einer Ebay-ähnlichen Auktionsplattform: Alando.de. Diese ging wenige Monate nach ihrer Gründung für eine unbekannte Summe an Ebay, als das große US-Vorbild Zugang zum deutschen Markt suchte.

Facebook, Ebay und die Samwers

Ein Muster für StudiVZ? Dariani schreibt in dem Blog jetzt geheimnisvoll: "Morgen Abend werden wir über unsere Finanzierung informieren." Da dachten Eingeweihte sofort daran, dass StudiVZ verdächtig an das US-Vorbild Facebook erinnert. Der Vorwurf, nichts als ein Klon dieses US-Studentennetzwerks zu sein, wurde früh formuliert, Anfang Oktober zum Beispiel von dem Blogger Michael Bumann . Die Ähnlichkeiten im Design sind frappierend. Die systeminternen Fehlermeldungen (siehe Bilderstrecke), die überraschend freimütig das Wort "fakebook" enthalten, legen den Schluss nahe, dass auch den Machern der Seite diese Ähnlichkeit durchaus bewusst ist. In einem kurzen E-Mail-Interview mit SPIEGEL ONLINE nehmen sie jetzt zu diesem und anderen Vorwürfen Stellung.

Es sind allerdings bei weitem nicht die einzigen Vorwürfe, mit denen StudiVZ zurzeit kämpft. Die Probleme der Community sind längst nicht mehr nur technischer Natur , sondern betreffen das gesamte Auftreten des Unternehmens und seiner Spitze.

Problem 1: Die Geschäftsmethoden. Am 1. November machte der Blogger Robert Basic darauf aufmerksam , dass zum Beispiel die Domains Unister.at oder StudyLounge.co.uk von den StudiVZ-Machern registriert wurden. Sowohl Unister als auch StudyLounge sind Konkurrenzangebote von StudiVZ. So etwas wird im Netz gar nicht gern gesehen - "Domaingrabbing" ist das Schimpfwort für derartige Methoden.

Zwar hat sich StudiVZ mittlerweile entschuldigt und die Rechte an mehreren Domains wieder abgetreten. Das Geschäftsgebaren ist trotzdem aggressiv: Mitgründer Dariani sagte der "Süddeutschen Zeitung", "momentan" frage man ihn ja noch nach der Konkurrenz. "In ein paar Monaten" aber werde das vorbei sein, denn dann werde es "keine mehr geben". Diplomatie sieht anders aus.

Problem 2: Die Geschäftsbedingungen. Auf Ehrlichkeit und Transparenz wird bei StudiVZ-Nutzern großen Wert gelegt. Wer sich registriert, darf nicht lügen, sonst gibt's Saures, so steht es im Paragraf 6 der Geschäftsbedingungen . "Im Profil oder in sonstigen Bereichen des Portals absichtlich oder in betrügerischer Absicht gemachte Falschangaben - insbesondere das Vortäuschen einer fremden Identität - können zivilrechtliche Schritte nach sich ziehen." Das dient natürlich auch der Abwehr von interessengeleiteten Falsch-Anmeldungen, zum Beispiel von viralen Vermarktern, die in dem Netzwerk ihre Produkte mit der Credibility der studentischen Nutzergruppe verknüpfen wollen könnten. Ein fader Beigeschmack bleibt aber. Kann auch jemand, der falsche Angaben über seinen Musikgeschmack macht, zivilrechtlich belangt werden?

Problem 3: Der Datenschutz. Um ihre Privatsphäre besorgte Nutzer wurden von Dariani in einer Online-Diskussion wie folgt beruhigt  : "In Deutschland herrschen die härtesten Datenschutzgesetze der Welt, diese übertreffen wir in vielem."

Problem 4: Der Umgang mit Kritikern. Über Kritik oder auch nur Meinungen scheint man bei StudiVZ nicht recht glücklich zu sein. Man weiß besser  als die Leser des hauseigenen Infoblogs selbst, was ihnen nutzt und frommt: "Kommentare von ungeeignetem Inhalt (z. B. das Beileidigen Dritter) oder absurde Spekulationen (…) haben keinen Mehrwert für die Leser dieses Blogs." Da verwundert dann auch dieses entwaffnende Fundstück  von der Hilfeseite der Netzwerker nicht mehr:

"Folgende Gruppen akzeptieren wir nicht:
Gruppen, die Kritik am StudiVZ ausüben
Gruppen, die wir nicht mögen
Gruppen für Meinungs- und Rezeptionsfreiheit"

Problem 5: Die Ausfälle von Ehssan Dariani. Nicht nur, dass der 26-jährige Startup-Gründer nächtens durch Berlin streift und bizarre Filme von Frauen veröffentlicht, zum Beispiel aus der U-Bahn oder von einer Party-Toilette (vielsagender Titel: "chick auf mitte party // WC"). Schon vor Monaten sicherte sich Dariani die Adressen voelkischer-beobachter.de und voelkischerbeobachter.de. Die Seiten wurden mit einem überarbeiteten Titelblatt der Nazi-Zeitung verziert - eine Party-Einladung sollte das sein. Immerhin thronte der Reichsadler nicht auf einem Hakenkreuz, sondern auf dem Logo von StudiVZ. Die Publikation wurde "Kampfblatt der Vernetzungsbewegung Europas" genannt.

Satire sei das, hieß es damals schon, und schließlich sei das eine private Einladung gewesen. Aber ein privater Ort ist das Netz nun mal nicht. Inzwischen stehen die kompromittierenden Domain-Namen zum Verkauf. Dariani benutzte auch sonst historisch belastete Begriffe. Als er mit der "Netzeitung" über Aufstiegchancen beim Netzwerk sprach, drückte er sich so aus: "Da ist es wichtig, dass die Leute das Machtergreifen üben."

Dariani verteidigte sich im Blog vorgestern noch. Er sah sich zu einem Kommentar über das deutsche Geschichtsverständnis  berufen und bilanzierte, "dass ich die deutsche Mentalität, die deutsche Art, wie sich die (political correct) Mehrheit mit sich und seiner Vergangenheit identifiziert, als GESCHEITERT betrachte". Sein Vorgehen stilisiert er zur Heldentat: "Diese Einladung hätte im Dritten Reich meiner Einschätzung nach zu KZ-Haft geführt..."

Schadensbegrenzung als oberstes Ziel

Man kann sich vorstellen, wie die derzeitigen StudiVZ-Investoren (und die potentiellen künftigen) bei solchen Aktionen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Mittlerweile ist deshalb Schadensbegrenzung das wichtigste Ziel.

"Herrn Dariani tut es leid, dass einige seiner Handlungen missverstanden wurden. Es wird ihm nun bewusst, dass er durch das zunehmende öffentliche Interesse eine besondere Verantwortung trägt", wurde auf Nachfrage von SPIEGEL ONLINE mitgeteilt. Der Höhepunkt war dann Darianis Entschuldigungs-Blog mit seinem umfassenden Schuldeingeständnis. Er habe zuletzt "viel lernen" können und ziehe jetzt "die Konsequenzen. Im Interesse von StudiVZ und den 50 Arbeitsplätzen versuche ich in Zukunft, den Ansprüchen an meine Position besser gerecht zu werden." Die Party-Einladung "in Anspielung auf den Völkischen Beobachter war ein Fehler. Dafür und für die daraus entstandenen Missverständnisse möchte ich mich aufrichtig entschuldigen." Auch für die Videos bat er um Entschuldigung. Er werde seine Rolle als Privatperson künftig "vom StudiVZ-Blog deutlich trennen".

Dann das Versprechen an die StudiVZ-Nutzer: Man werde "gestiegenen Informationsbedürfnissen stärker Rechnung tragen und sensible Aspekte wie die Finanzierung und unsere strengen Datenschutz-Vorkehrungen in professioneller und proaktiver Weise kommunizieren". Was das heißt, dazu schrieb Dariani nur: In den kommenden Tagen werde nach und nach auf offene Fragen geantwortet.

StudiVZ ist klar: Das Thema Datenschutz ist essentiell für die Zukunft der Seite - es berührt das Vertrauen der Nutzer, und das ist Grundlage für den Geschäftserfolg. Dariani entschuldigte die "unnötigen Spekulationen und unwahren Gerüchte" über den Schutz der Nutzerdaten in den vergangenen Wochen durch "kommunikative Versäumnisse". Datenschutz sei "das Thema, das die höchste Priorität und Aufmerksamkeit genießt. Es wurden und werden keinerlei Nutzerdaten aus dem StudiVZ je an Dritte (Firmen, Investoren etc.) weitergeleitet oder zugänglich gemacht."

Da scheint sich der Startup-Unternehmer an eine Weisheit zu erinnern, die er einst selbst verkündet hat: "Nichts ist für die Nachhaltigkeit des StudiVZ wichtiger als das Vertrauen unserer Studis."

Mitarbeit: Christian Stöcker

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