Sascha Lobo

S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine Entwederoderismus

Egal, ob es um Donald Trump geht oder um die AfD: Die Sprache der Wut, die maximale Zuspitzung ist zum bestimmenden Gestus öffentlicher Debatten geworden. Das betrifft nicht nur die Rechtspopulisten.

Donald Trump als Ein-Mann-AfD hat sich nicht trotz, sondern wegen seiner Beleidigungsattacken beinahe schon den Sieg in den republikanischen Vorwahlen gesichert. Ein nazinarzisstischer Nabob pöbelt sich in offenbar steinerne Herzen. Aber da ist im Wahlkampf neben der Pöbelei ein Trump-Element, das intensivere Beachtung verdient, nämlich sein Diskussionsstil. Oder vielmehr sein Undiskussionsstil, denn seine Sprache zielt in die exakte Gegenrichtung: Er möchte echte Diskussion, den Austausch von inhaltlichen Argumenten, verhindern und durch schiere, wütende Konfrontation ersetzen.

Trump ist damit wie die AfD ein Symptom dieser Zeit. Die Sprache der Wut verrät, was dahinterstecken könnte: ein vorläufiger Abschied vom öffentlichen Diskurs. Diskussionen im Netz, in den sozialen Medien, ich liebe sie. Gut, in den letzten Monaten hat diese Liebe leichte Kratzer davontragen müssen. Aber in ihrer Substanz ist sie immer noch vorhanden, weshalb ich mich in Diskussionen gestürzt habe, gerade mit besorgten und anderweitig empörten Bürgern. Mit dem Ziel zu verstehen.

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Dabei ist mir etwas aufgefallen, eine Diskussionsfigur, die sich in den sozialen Medien ausgebreitet hat. Die auch mich selbst ab und an vergiftet, und das, obwohl ich sie (inzwischen) kenne. Ich nenne diese Entwicklung Entwederoderismus, und das ausgezeichnet sperrige Wort transportiert schon den größten Teil des Inhalts. Aber nicht alles, denn es geht über die bekannte Schwarz-Weiß-Malerei hinaus.

Die Essenz des Entwederoderismus: Wann immer Kritik an einer Position geäußert wird, wird sie als Parteinahme der radikalstdenkbaren Gegenposition betrachtet. Wer den Internet-Mob nach dem Silvestermob von Köln kritisiert, wird quasi der Mitvergewaltigung bezichtigt. Wer Rassismus gegen Flüchtlinge anprangert, muss automatisch den Untergang des Abendlandes herbeisehnen. Es ist also nicht bloß die Einteilung der Welt in Schwarz und Weiß und die Negation der Zwischentöne, es ist auch die aggressive Unterstellung, dass hinter jedem Wort und jedem Satz in Wahrheit nichts als Parteinahme stehen kann.

Diese Verkürzung funktioniert von allen Seiten. Nach Beobachtung und Selbstbeobachtung muss ich zugeben, dass ich selbst schon solche Kurz-Schlüsse gezogen habe. Und nicht nur ich, der Entwederoderismus schleicht sich mit der Wut auf die Wut in die Köpfe. Die aufklärerische Investigativplattform "Correctiv" veröffentlichte auf Facebook eine Grafik zum geleakten Parteiprogramm der AfD. Darin finde sich laut Correctiv  der Punkt: "Alkoholiker & psychisch Kranke in Lager stecken". Tatsächlich lautet die entsprechende Passage im dem geleakten Dokument (Fehler im Original): "Nicht therapierbare Alkohol- und drogenabhängige sowie psychisch kranke Täter, von denen 5 erhebliche Gefahren für die Allgemeinheit auszugehen, sind nicht in psychiatrischen 6 Krankenhäusern, sondern in der Sicherungsverwahrung unterzubringen."

Diese Verkürzung von Correctiv, insbesondere das Spiel mit dem höchstproblematischen Begriff "Lager", ist nicht nur unredlich, sie zeigt, dass man auch beim Kampf gegen den vereinfachenden Extremismus in die Falle der Vereinfachung und des Entwederoderismus tappen kann. Als gäbe es im geleakten Programmentwurf der AfD nicht ohnehin schon genügend katastrophale, faschistoide Elemente. Diese Episode, von der Comicseite "Erzählmirnix" entdeckt  und aufgespießt, spiegelt ein großes Problem in der Beschäftigung mit Radikalität wider: sich beim zivilen Kampf gegen Radikalität nicht selbst zu radikalisieren.

Balanceakt zwischen Verharmlosung und Hysterisierung

Hier spielen wiederum das Internet, die sozialen Medien eine interessante Rolle. Hier verbreitete Informationen dienen nicht nur dem Zweck der Aufklärung, sondern viel stärker noch der Festigung des Gruppenzusammenhalts. Eine große Zahl der Äußerungen in sozialen Medien dienen der Selbstvergewisserung auf der richtigen Seite zu stehen und transportieren den Wunsch, seine Meinungstruppen hinter sich zu scharen. Daran ist nichts prinzipiell Schlechtes, so funktionieren Diskussionsprozesse bis zu einem gewissen Grad eben. Aber die Übertreibung, die Zuspitzung und eben der Entwederoderismus ist viel besser dazu geeignet, Unterstützer zu aktivieren. Es ist die Verlockung der Dichotomie, die Bequemlichkeit des Lagerdenkens - der man selbst dann erliegen kann, wenn man sie erkennt, ich weiß das selbst sehr gut.

Das aber birgt im Kampf gegen autoritäre Rechtspopulisten eine Gefahr, denn dort wird alles als Propaganda betrachtet und nichts als Aufklärung. Polarität kann deshalb diese Bewegungen stärken - und zwar Polarität von innen wie von außen. Das macht es so schwierig, mit ihnen umzugehen. Meine Überzeugung ist, dass man Nazis Nazis nennen muss, und dass rechtsradikal ist, wer Rechtsradikales sagt. Diese Grenzen müssen öffentlich und klar gezogen werden. Denn Klarheit ist notwendig, aber Klarheit hat einen hässlichen Zwilling namens Schlichtheit. In der Politik ist "einfach" oft gleichbedeutend mit "zu einfach". Die Diskussion mit rechtspopulistisch Gefährdeten ist ständiger, nerviger Balanceakt zwischen Verharmlosung und Hysterisierung, und der misslingt noch viel zu oft. Auch mir.

Differenzierung als Schwäche

Die Diskussionen im Netz zeigen ebenso wie die öffentlichen Begründungen, warum etwa die Leute in Pforzheim und Bitterfeld zu über 30% AfD gewählt haben: Die Sprache der Wut missversteht Differenzierung als Schwäche. Kein Zufall, dass Donald Trump, der die netzbasierte Aufmerksamkeitsökonomie sehr gut versteht, die mit Abstand simpelsten Reden hält - nach Sprachuntersuchungen auf Viertklässler-Niveau . Er wiederholt sich ständig und beschwört unablässig ein Wir-gegen-die-Muster, Instrumente der Anti-Differenzierung, die Vorstufe des Entwederoderismus.

In der Erklärung der AfD  nach den Landtagswahlen findet sich der Satz: "Gestern haben wir einen ersten wichtigen Schritt in die richtige Richtung getan, die Kartelle der Konsensparteien aufzubrechen." Mehr Selbstoffenbarung ist selten. Was die AfD als "Konsens" beschimpft, ist der demokratische Prozess selbst. Der ist in Deutschland sicherlich verbogen und müsste repariert werden, aber autoritäre Bewegungen kennen grundsätzlich nur zwei politische Zuordnungen - unsere, richtige Meinung und die anderen, falschen Meinungen. Konsens ist für sie Niederlage. Da steht es dunkel und diffus herum, das Problem: Konfrontation ist gleichzeitig notwendig und birgt immer die Gefahr, diejenigen zu stärken, die Konfrontation als Selbstzweck und Ersatz für Diskussion betrachten.

tl;dr

Die Sprache der Wut missversteht Differenzierung als Schwäche und verleitet so zur undifferenzierten Gegenwut.

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