Hinrichtung im Web Die zweite Exekution des Daniel Pearl
Was Paula Zahn, Anchorwoman der CNN-Show "American Morning", ihren Zuschauern am Morgen des 6. Juni erzählte, dürfte in die Annalen des Senders eingehen. Ausführlich begründete sie, warum CNN seinen Zuschauern diesen Film nicht zumuten wollte: Das von arabischen Extremisten zum perversen Propaganda-Streifen editierte Video der Exekution des Journalisten Daniel Pearl, inklusive seiner Köpfung.
Zahn: "Wir werden keinen Teil dieses Filmes zeigen." Heiß und ausgiebig habe die Redaktion diskutiert, "bevor wir uns entschlossen, auch nur die folgende Debatte auszustrahlen".
Seltene Töne in einem Land, das im Namen der Meinungsfreiheit die seltsamsten Auswüchse menschlicher Äußerungswut toleriert.
Die "Debatte" bestand in einem Streitgespräch des Verlegers Mortimer Zuckerman ("New York Daily News") mit Stephen Mindich vom Bostoner Blatt "Boston Phoenix". Die "Daily News" sind ein respektiertes, aber raubeiniges Boulevardblatt. Der "Phoenix" ist ein angesehenes Stadt-Blatt, das die Amerikaner wegen seiner linksliberalen Ausrichtung als "alternativ" bezeichnen. Vor acht Jahren gewannen die Redakteure mit einer Enthüllungsgeschichte den Pulitzer-Preis, die höchste Auszeichnung für ein amerikanisches Blatt. Doch diesen Morgen holte sich der Herausgeber der Stadtzeitung bei CNN das ab, was er seit knapp einer Woche täglich in der amerikanischen Presse erleben darf: Er wurde und wird öffentlich "gegrillt".
Sein Sakrileg: Als erste Print-Publikation zeigte der "Phoenix" zwei Bilder von der Exekution des Journalisten Daniel Pearl durch seine Entführer. Doch damit nicht genug: Auf seiner Website veröffentlichte der "Phoenix" einen Link hin zur Website eines Service-Providers, der das Video in voller Länge zum Download bereit hält. Der Link entfesselte eine ungewöhnlich hitzig geführte Debatte in den amerikanischen Medien.
Das Video: Verschlusssache, geheime Tausch-, perverse Anturn-Ware
"Wenn der Horror zur Nachricht wird", titelte die angesehene US-Zeitung "Boston Globe". Ein unnötiger Akt, der lediglich die Familie verletze, aber der Öffentlichkeit nichts bringe, kommentierten Medienkritiker. "Die Schattenseite der modernen Technik", schrieb die kanadische Montreal Gazette und empörte sich über die Tabulosigkeit des Internets.
Daniel Pearl verschwand am 23. Januar aus dem pakistanischen Karatschi, aller Wahrscheinlichkeit nach hatte ihn ein Informant in die Falle gelockt. Rund vier Wochen lang appellierten seine Frau, Redakteure des "Wall Street Journals" und die US-Regierung an die Entführer. Weltweit bemühten sich zahlreiche Organisationen um die Freilassung eines Mannes, der wahrscheinlich schon nach wenigen Tagen getötet worden war. Am 21. Februar erhielten die amerikanischen Behörden ein Video, das Pearls Tod bis ins letzte grausame Detail dokumentierte.
Drei Minuten aus diesem Video gaben die Behörden damals frei: Sie zeigten Pearl gefesselt hockend, "interviewt" von seinen Kidnappern. Pearls Ende wurde nicht gezeigt: Die Entführer schnitten ihm auf grausame Art den Kopf ab und hielten ihn triumphierend vor die Kamera.
Jedenfalls nicht im Fernsehen, obwohl das vollständige Video einigen Sendern vorlag: Wie einst im Fall des Todes von Prinzessin Diana kam es auch in diesem zu einem Konsens unter den westlichen Medien, den Gipfel der Grausamkeit nicht zu zeigen. Dies, so die vorherrschende Meinung, wäre nicht nur pietätlos gewesen, sondern hätte obendrein die Medien zu Erfüllungsgehilfen der Terroristen gemacht.
Ein nahe liegender Gedanke: Es liegt im Wesen des Terrorismus, dass seine Opfer oft nicht das primäre Ziel der terroristischen Gewalt sind. Ziel des Terrorismus ist selten der eigentliche Mord, sondern vielmehr, mit dem Mord Angst zu verbreiten.
Warum wurde das Video öffentlich, und warum jetzt? Wem dient die Veröffentlichung? Weiter
Schnell kursierten im Web Gerüchte über ein grausames Video, das die Exekution angeblich in voller Länge zeigte. Spätestens im März kam es wirklich dazu, dass ein solches Video über verschiedene Kanäle weitergereicht und getauscht wurde. Irgendwann dann im April erreichte das Video den Betreiber einer Seite, für den dies erstklassige Ware war.
Die Website handelt mit "Gore": Bilder echter wie geschickt gefälschter Tötungen, Zerstückelungen, Filme von Selbstverstümmelungen. Bilder toter Kinder, zerschmetterter Selbstmörder. Mitschnitte grausamer Vergewaltigungen, echte wie gestellte: Selbst für diesen stinkenden Auswurf der Web-Kultur finden Verfechter der absoluten Meinungsfreiheit noch Argumente. Zensur findet selten statt, vollkommen unbehelligt bieten die Betreiber ihren Kunden sogar ein Abonnement feil, verdienen so an der Lust am Grauen.
Als dort jedoch das Pearl-Video erschien, reagierten die amerikanischen Behörden: Das FBI durchsuchte die Büros des Service-Providers, erwirkte kurzzeitig eine Sperrung des betreffenden Angebotes. Die Seite ist wieder online - jedoch ohne das Video.
Das vertreibt nun statt dessen der Serviceprovider und findet auch dafür gute Argumente: "This video shows the hand of terrorism that each of us faces, and shows the real (tragic though it may be) outcome of terrorists' actions."
Argumente, die nicht von der Hand zu weisen sind.
James Poniewozik, Redakteur des US-Magazins "Time", ließ sich in einem hochgradig emotionalen, am Ende hilflosen Editorial in der Online-Ausgabe am letzten Samstag darauf ein: Im Widerspruch zwischen Aufklärung und Pietät, zwischen Mobilisierung des Widerstandswillen gegen solcherart Terrorismus und dem Dienst, den man Terroristen mit der Verbreitung des Grauens leistet, findet er keinen Ausweg. Poniewozik: "Sollten auch Sie diesen Film sehen? Ich habe keine Ahnung."
"Mobilisierung" - das Motiv hinter der Veröffentlichung?
Stephen Mindich, Herausgeber des "Boston Phoenix" und letztlich verantwortlich dafür, das Video aus den Schmuddelecken gestörter Blut-Voyeure in die Mainstream-Medien getragen zu haben, ist seiner Sache dagegen absolut sicher: "Wenn es irgendetwas gibt, das wirklich jeden, der frei von Juden-Hass ist, gegen die Täter und Unterstützer dieses unaussprechlich grausamen Mordes zu mobilisieren vermag - egal, welcher Religion er anhängt oder nicht - dann ist das dieses Video".
Er versteht sich als Aufklärer und vielleicht hat sein Schritt auch etwas mit den sich in den Vereinigten Staaten explosionsartig vermehrenden Verschwörungstheorien zu tun. Er könne schlichtweg nicht verstehen, warum die US-Behörden den Amerikanern dieses Dokument vorenthalten wollen, verteidigt sich Mindich, ein Dokument, das die Wut in jedem aufrechten Patrioten zum Schäumen bringen muss.
Das könnte sogar ehrlich gemeint sein. Vielen Amerikanern sind die Feldzüge der Bush-Regierung zu halbherzig, von diplomatischer Rücksichtnahme gebremst. Der Feind ist ausgemacht, die Achse des Bösen definiert, eine neue Militärdoktrin des Erstschlages wird gerade im Pentagon geschmiedet. Warum also abwarten?
Dinge, die produziert werden, werden nur selten zufällig öffentlich. Nachrichten wie die Veröffentlichung des Pearl-Videos geschehen nicht einfach, sie werden gemacht - und nichts ist so wirkmächtig wie das bewegte Bild.
Schreiende, halb verbrannte vietnamesische Kinder auf der Flucht vor der Napalm-Wand. Der Vietcong auf Knien, die Pistole an der Stirn, dann liegt er in seinem Blut: Es gibt Bilder, die bewegen unendlich viel, die prägen sich ein für ein Leben. Jetzt: Daniel Pearl, geköpft?
In einer Woche will ein pakistanisches Gericht das Urteil gegen vier der mutmaßlichen Entführer Daniel Pearls fällen.
Die pakistanischen Behörden begannen die Verfolgung der Täter mit großer Entschlossenheit. Trotzdem gilt der Verlauf des Prozesses als völlig offen. Mariane Pearl, eine der Zeuginnen der Anklage, wurde in der letzten Woche von der Zeugenliste gestrichen: Sie brachte vor rund eineinhalb Wochen in Paris ihr letztes mit Daniel Pearl gemeinsames Kind zur Welt und gilt zur Zeit als transportunfähig. Im Bemühen um eine Beschleunigung des Prozesses hatte die Anklage schon vorher ihre Liste von ursprünglich 39 Zeugen in den letzten Wochen um 14 gekürzt.
Doch am 17. Mai begann der Prozess, eine unerwartete Wendung zu nehmen: In einem flachen Erdgrab nahe Karachi wurde die stark verweste Leiche eines geköpften Mannes gefunden. Fündig wurde die Polizei aufgrund von Tipps inhaftierter Mitglieder einer Organisation namens Lashkar-e-Janghvi. In unmittelbarer Umgebung des Grabes fand sich eine Hütte, in deren Inneren man Blutspuren fand.
Lashkar-e-Janghvi pflegt Verbindungen zu al-Qaida, wurde aber im Fall Daniel Pearl nie verdächtigt: Sollte sich die Leiche als die von Daniel Pearl erweisen, gilt es als sicher, dass der gesamte Prozess neu aufgerollt werden müsste. Nun erwägt die Verteidigung bereits, die Lashkar-e-Janghvi-Zeugen vorladen zu lassen. Das Gericht berät derweil darüber, ob es das Video der Exekution Daniel Pearls als Beweismittel zulassen und dieses im Gerichtssaal zeigen solle.
Doch jeder Erklärungsversuch hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Egal, wie man zu dem Video und seiner Veröffentlichung steht: Dieses Band ist kein Dokument der Zeitgeschichte. Wer auch immer hinter der ursprünglichen Lancierung des Videos zu diesem Zeitpunkt stand, hatte dafür seine Motive. Was dagegen mit diesem Video derzeit in den USA geschieht, steht auf einem völlig anderen Blatt.
Hier versucht ein Zeitungsmann, Terroristen mit den eigenen Methoden zu schlagen - und die sind dreckig. Das Video ist eine schmutzige Waffe, in die Welt gesetzt, um die Angst vor dem Terror zu verbreiten. Genutzt wird es nun, in "Phoenix"-Verleger Stephen Mindichs eigenen Worten, um zu "mobilisieren".
Oder doch nur als willkommenes Hilfsmittel für einen unter mangelnder Öffentlichkeit leidenden intellektuellen Selbstdarsteller?