Hobby-Propaganda im Netz Die Lüge stirbt zuletzt

Das Weiße Haus manipuliere die Geschichte, behauptete ein Videoblogger bei YouTube. Systematisch lasse die Bush-Regierung Peinlichkeiten unter den Tisch kehren. Doch in Wahrheit log nicht die Regierung, sondern der angebliche Aufklärer. Ein Lehrstück in Sachen Netz-Öffentlichkeit.

Es liegt der Regierung von George W. Bush nicht allzu fern, die Fakten ein wenig zu beugen, um sie den eigenen Interessen anzupassen. Unter Bush wurden Klimaschutz-Berichte verändert, Informations-Webseiten zensiert und sogar der Uno-Sicherheitsrat mit Falschinformationen über angeblich im Irak lagernde Massenvernichtungswaffen getäuscht. Für die Gegner der derzeitigen US-Regierung ist es deshalb relativ einfach, mit neuen Anschuldigungen über weitere Mogeleien Gehör zu finden.

Spätestens seit YouTube kann auch jeder Privatmensch solche Informationen blitzschnell und global zur Verfügung stellen - gewappnet mit der Macht der Bilder und ziemlich unabhängig von ethischen Prinzipien. Die Wahrheit aber setzt sich unter Umständen schwer durch, wenn eine plausible Lüge erst einmal im Umlauf ist im Netz.

Mike McIntee weiß das: Vor wenigen Tagen - kurz vor den Kongresswahlen, die Bushs Republikaner mit Pauken und Trompeten verloren haben - stellte er ein Video online, im dem das Weiße Haus mal wieder des Betruges bezichtigt  wurde. Sehr überzeugend, und mit einer fürs genüssliche Bush-Bashing geeigneten Geschichte: Das Weiße Haus, "beweist" McIntee in dem Video, versucht die Geschichte umzuschreiben.

Wollte das Weiße Haus die eigene Hybris vergessen machen?

Und zwar, indem es die Videoschnipsel im eigenen Angebot, die Zeitgeschehen dokumentieren sollen, manipulert - so der Vorwurf. An einem Video von George W. Bushs legendärer Ansprache auf einem Flugzeugträger nach dem Ende der Hauptkampfhandlungen im Irak, sei "herumgedoktert" worden, behauptete McIntee in seinem eigenen Video. Das Banner mit der dümmlich-prahlerischen Aufschrift "Mission accomplished" habe man offenbar entfernt, indem man oben einen Streifen vom Video abschnitt. "Mission accomplished" - der stolze Spruch war schon damals heftig kritisiert worden, als zynischer Übermut der Sieger und als schlichte Hybris - dass die Mission Irak bis heute nicht erfüllt ist, hat nicht unwesentlich zur Niederlage der Republikaner beigetragen.

Es schien also höchst plausibel, dass die Regierung nicht auf den eigenen Seiten an den politischen Faux-pas erinnern wollte. Das Banner sei entfernt worden, so McIntee, dafür das ganze Bild nach oben verschoben, so dass am unteren Bildrand ein auffälliger schwarzer Balken zu sehen ist. Ein Vergleich mit einem Foto vom gleichen Ereignis zeige das eindeutig (siehe Bilderstrecke).

Das Video mit dem "Beweis" für die angebliche, achso kurzsichtige Manipulation fand im Netz schnell eine Fangemeinde - bis heute haben es knapp 180.000 Menschen angesehen. Noch mehr Publikum dürfte die Botschaft gefunden haben, als sie am Dienstag vom einflussreichen liberalen Politblog "Huffington Post" aufgegriffen wurde  - mit der Überschrift "Weißes Haus dabei erwischt, wie es angeblich das 'Mission accomplished'-Video manipuliert". Bei YouTube überschlugen sich derweil die Kommentatoren mit Lob für den Aufklärer McIntee - kritische Kommentare waren unter dem Video nicht zu finden. Die US-Blogsophäre brodelt  - bis heute.

Krieg, Lügen und Video

Dabei hatte Mike McIntee blanken Unsinn verbreitet - und zwar vermutlich mit voller Absicht. Mehrere Blogger, die über das Thema schrieben, berichten, dass ihre kritischen Kommentare von McIntee gelöscht worden seien - das geht bei YouTube. Und Kritik war durchaus angebracht: McIntees Behauptungen sind haltlos.

Nahezu alle Videos auf whitehouse.gov enthalten den bewussten schwarzen Balken - denn der verdeckt die Sendergrafiken der Nachrichtenkanäle, von denen das Material üblicherweise übernommen wird. Das Foto, das McIntee zum Vergleich heranzog, wurde aus einem völlig anderen Winkel aufgenommen. Das Bild zeigt darum das "Mission accomplished"-Banner - in der Kameraeinstellung des Nachrichtensenders CNN war das Banner dagegen nie zu sehen.

Schnell fanden einige andere YouTube-Nutzer das heraus, mehrere stellten Video-Richtigstellungen online. "Mike McIntee lügt",  heißt eine davon schlicht.

Der Popularität des Videos taten die Richtigstellungen allerdings keinen Abbruch - die plausible, unterhaltsame Lüge verbreitete sich leichter und hielt sich hartnäckiger als die langweilige Wahrheit. Noch Tage später zitierten Blogger das betrügerische Video. "Ich habe mich eben ein bisschen bei YouTube umgesehen", schrieb einer noch gestern, "und dabei bin ich über dieses fantastische Beispiel dafür gestolpert, wie Amerika versucht, die Geschichte umzuschreiben."

Auch bei der "Huffington Post" steht das Video nach wie vor online - die Mühe, nachzurecherchieren oder wenigstens auf die zunehmende Zahl kritischer Kommentare zu reagieren, machte sich dort niemand.

Die Geschichte ist ein schönes Beispiel für Macht und Missbrauchbarkeit des Bürger-Mediums Internet: Als Mythos wird die Geschichte vom manipulierten Video weiterleben, unausrottbar - denn es wird immer jemanden geben, der nur die Fälschung kennt und nicht die Richtigstellung. Nachrichten und Analysen lassen sich heute von jedem leichter verbreiten als je zuvor. Die Qualitätskontrolle durch die Community funktioniert zwar - aber dass sich Korrekturen ebenso weit verbreiten wie Falschmeldungen, ist keineswegs sichergestellt.

McIntees Video haben bis heute mindestens 180.000 Menschen gesehen - "Mike McIntee lügt" nur 13.400.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren