Horror-Fotos von Soldaten Die Schrecken des Krieges

Im Netz haben US-Soldaten Bilder des alltäglichen Horrors aus dem Irak und Afghanistan veröffentlicht, teilweise erkauften sie sich damit Zugang zu Porno-Seiten. Die Armee nahm Ermittlungen auf - und stellte sie gleich wieder ein.

Der Gesichtsausdruck des Mannes ist friedlich. Seine Augen sind geschlossen, die Gesichtszüge entspannt. Der Kopf liegt auf staubigem Boden - abgetrennt neben dem dazugehörigen Körper. Dieses Bild ist eins von vielen, die auf einer von einem US-Amerikaner betriebenen Webseite zugänglich sind. Aufgenommen haben das Foto und andere, teils noch grauenvollere Bilder, diejenigen, für die solche Szenen zum Alltag gehören: US-Soldaten im Irak und Afghanistan. Zum Teil posieren die Kämpfer vor ihren Opfern.

Auf der Seite, auf der diese Dokumente der Grauenhaftigkeit des Krieges stehen, gibt es auch andere Bilder zu sehen, friedlichere: Nackte Menschen, einzeln, zu zweit oder zu dritt, posierend oder beim Sex. Manche sind frei zugänglich, für andere muss man sich registrieren - und eine finanzielle oder visuelle Eintrittsgebühr entrichten. Und viele bezahlen mit Blut: Kriegsbilder von verstümmelten, verbrannten, zerfetzten Leichen gegen freien Zugang zur Pornographie.

Ursprünglich, sagte der Betreiber der Seite Chris Wilson dem Journalisten Mark Glaser, habe er sich die Fotos von Soldaten schicken lassen, um ihre Identität zu prüfen. Die Männer hatten nach seinen Worten Schwierigkeiten, aus den Kriegsgebieten per Kreditkarte für Pornoseiten zu bezahlen - also versprach er ihnen freien Zugang zu seinen Bilder-Foren, wenn sie beweisen konnten, dass sie tatsächlich in Kampfgebieten eingesetzt waren. Manche schickten Harmloses, Bilder von irakischen Straßenschildern etwa. Andere schickten Bilder von zerfetzten Leichen. Und der Strom des Grausigen wurde immer breiter, die Kommentare und Witze, die Forumnutzer einstellten, boshafter. Die Privatkameras der Truppen brachten ungefilterten Krieg zurück in die Heimat, und eine begeisterte Fangemeinde scharte sich um die digitalen Trophäen.

"Wir schießen zuerst und stellen keine Fragen"

Glaser, der für die Webseite "Online Journalism Review" schreibt, nahm Kontakt mit einigen der Männer auf, die Bilder für Wilsons Seite eingeschickt hatten. "Ich habe erst vor einer Woche einen guten Freund in einen Leichensack gesteckt", antwortete einer. "Das hat es wirklich entschieden für mich und meine Kameraden. Wir schießen immer zuerst und stellen keine Fragen, Punkt. Die militärische Obrigkeit wird immer versuchen, die Effekte des Krieges von negativen Assoziationen frei zu halten, egal wann oder wo, und wenn es möglich wäre, würden sie alle Medien zensieren, die aus diesem Land kommen, Bilder und Geschichten."

Ein anderer schrieb: "Die Aufständischen sind mehr als bereit, Fotos unserer Toten und Verwundeten auszustellen, wenn die Leute also Probleme mit dem haben, was auf dieser Seite gezeigt wird, sollen sie wegbleiben und aufhören, über Dinge zu meckern, von denen sie keine Ahnung haben." Aus allen Kriegen habe es Bilder gegeben "von Kämpfern, die über den Leichen ihrer Feinde stehen".

Etliche Beispiele dafür finden sich auch in der Kunst: Der spanische Maler Francisco de Goya (1746-1828) etwa schuf eine ganze Serie von Grafiken mit dem Titel "Die Schrecken des Krieges", die Aufgespießte, Verstümmelte und Erwürgte zeigen - Darstellungen der Gräuel des spanischen Unabhängigkeitskampfes. Im Augenblick kann man in einer Ausstellung in der Berliner Nationalgalerie Werke von Goya sehen, darunter auch das hier abgebildete "Welch Grausamkeit" (das allerdings nicht zur Serie "Desastres de la Guerra" gehört). Von Bosch über da Vinci bis William Turner haben Maler Grausiges abgebildet, gehörten Schlachtengemälde zum Standardrepertoire der bildenden Künste. Entsetzen fasziniert die Menschen, schon immer.

Unterhaltung und Propaganda gehen Hand in Hand

Damals wie heute dienten diese Darstellungen der Unterhaltung des Publikums ebenso wie der Propaganda. Den uralten Mechanismus machen sich die Mörder im Irak und anderswo, die Videos von Hinrichtungen im Netz verbreiten, ebenso zu Nutze wie die US-Regierung, die Bilder von den verstümmelten Leichen der Söhne Saddam Husseins verbreiten ließ. Auch die Folterbilder aus Abu Ghureib fallen irgendwo in diese Kategorie - auch wenn die Armeeführung sie wohl gerne unter Verschluss gehalten hätte. Ähnlich übrigens wie die am wenigsten blutigen Bilder von den Schrecken des Krieges: Die Särge gefallener US-Soldaten durften, auf Anordnung der Regierung, lange Zeit nicht auftauchen in den US-Medien.

Tatsächlich sind die Fotos, die auf Wilsons Webseite zugänglich sind, noch entsetzlicher selbst als das, was abgebrühte moderne Medienkonsumenten gewöhnt sind. Der Unterschied ist aber ein gradueller, kein prinzipieller. Die Bilder zeigen das, was die Männer, die sie machen, tatsächlich erleben. Dass sie darüber witzeln, damit prahlen, schockiert - ist aber angesichts des abgebildeten Grauens kein Wunder. Wie sonst als mit Zynismus sollten Menschen auf einen solchen Alltag reagieren.

Schließlich wurde die US-Armee aktiv, vermutlich als Reaktion auf den Bericht von Mark Glaser. Von den Rechnern der Militärs aus hat man schon länger keinen Zugang zu Wilsons Seite mehr - wegen Nacktbildern von weiblichen US-Soldaten, die dort erschienen waren.

Ein Armeesprecher namens Paul Boyce sagte der "New York Times", die Handlungen der teilnehmenden Soldaten "könnten möglicherweise den Uniform Code of Military Justice verletzen", der Verhaltensregeln für Offiziere und einfache Soldaten festlegt. Das Army Criminal Investigation Command ermittelte. Das Blatt zitiert einen zweiten Offizier, der die Frage aufwirft, ob die Fotos einen Verstoß gegen die Genfer Konvention darstellen könnten.

Die aber bezieht sich nur auf Kriegshandlungen zwischen Staaten. In einem deshalb eigens geschaffenen Zusatzprotokoll zur Konvention aus dem Jahr 1977 heißt es, die sterblichen Überreste aller Opfer von Kriegshandlungen "sollen respektiert werden". Von Fotografien ist nicht die Rede - die Darstellung auf Wilsons Webseite nebst den dort veröffentlichten Kommentaren jedoch ist wohl auch für wenig zivilisierte Menschen nicht mehr mit dem Wort "Respekt" vereinbar.

Das fragliche Zusatzprotokoll wurde aber von den USA nie ratifiziert.

All das spielt nun, zumindest für die Fahnder der US-Army, ohnehin keine Rolle mehr. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Es gebe zahlreiche Probleme wie die Anonymität der Quellen oder das Fehlen von konkreten Angaben zu Zeit oder Ort der Aufnahmen. Zudem gebe es keine Hinweise, welche Einheiten beteiligt sein, oder anderes, was als Grundlage für eine Identifikation dienen könnten. Sollte es neue Informationen geben, könnten die Ermittlungen wieder aufgenommen werden. Das mutet seltsam an, sind doch auf vielen der Bilder die Gesichter der posierenden GIs deutlich zu erkennen.

Immerhin: Man kann dem US-Militär nicht vorwerfen, es messe mit zweierlei Maß.

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