Empfehlungen im Internet Wenn aus Freunden Spammer werden

Like-Button: Nieder mit dem "Lesebefehl"
Foto: SPIEGEL ONLINELängst habe ich den Überblick verloren. War das nun Harald Martensteins Polemik gegen den Terror der Tugend ? Der Eminem-Hit mit dem "What Is Love"-Sample? Oder doch das ultimative Katzenvideo ? Als Web-Tipp sieht alles gleich aus. Dauernd schicken mir Freunde und Bekannte Links, oft ohne jeden Kommentar. Das ist ein bisschen wie an der Losbude: Wer wissen will, ob's diesmal keine Niete ist, muss klicken.
Bei Facebook fällt es mir schwer, zwischen ernstgemeinten Tipps und Blödsinn zu unterscheiden. "Gefällt mir" heißt ja nicht automatisch "Gefällt dir". Bei Twitter: ähnlich roboterhafte Empfehlungen. Statt zu verraten, worum es überhaupt geht, klatschen Nutzer lieber "Pflichtlektüre" oder "Unbedingt lesen!" vor ihren Link. Fehlt nur der Hashtag #hingerotzt.
Der lästigste Spam kommt von Menschen, die ich kenne
All das ist positiv und ärgerlich zugleich. Einerseits empfehlen die Menschen einander wohl mehr Inhalte denn je, anderseits eben oft mit minimaler Mühe. Der Fluch des Copy-and-paste. Man muss ja nichts mehr aus der Zeitung reißen oder auf Kassette überspielen. Der lästigste Spam kommt deshalb nicht mehr aus Indien, Nigeria oder den USA, sondern von Menschen, die ich kenne.
Mehr Feingefühl wäre schön. Wie wäre es mit einer Begründung, warum ich mir den x-ten zehnminütigen Clip der Lieblingsband meines Kumpels unbedingt ansehen soll? Enthält der Podcast Haushaltstipps, die ich dringend brauche? Widerlegt der Artikel, was ich gestern in der Kneipe zum wissenschaftlichen Faktum erklärt habe?
Inhalt statt Selbstdarstellung
Auch präzise Konsumtipps könnten helfen. Über welchen Absatz des Essays will der Absender diskutieren? An welcher Stelle des Videos hat er fast geweint? Persönliches wertet jede Empfehlung auf, genauso wie jede Zusatzinformation: Welches Medium verbirgt sich hinter dem Link, ist es ein Kommentar, eine Polemik, Satire? Einen Hauch von Service erlauben auch 140 Zeichen.
Und man sollte darauf achten, dass nicht Selbstdarstellung die Hauptmotivation ist. Ich habe mich selbst schon dabei erwischt, Links anzupreisen, die vor allem eine Qualität hatten: Sie dokumentierten, welche Kuriosa sich in den Tiefen meines RSS-Readers finden. Oder, dass ich tatsächlich mal nachgesehen habe, was heute Abend auf Arte läuft.
Empfehlungen einfach auslagern
Je privater und aufdringlicher der Kontakt ist - E-Mail schlägt Twitter -, desto mehr Einsatz beim Erklären ist gefordert. Bei Trashvideos schon aus Respekt. Weil man ja schon wieder jemanden Lebenszeit klauen will. Oder man lagert Katzenclips und Co. gleich ganz aus dem täglichen Nachrichtenverkehr aus, in ein privates Blog bei Tumblr oder Posterous etwa. Wer Urheberrechtssorgen hat, dem sei eine passwortgeschützte Variante empfohlen.
Eine Option sind auch Online-Pinnwände à la Clipboard , bei denen man im Stil von Pinterest Empfehlungen sammeln kann: Links, aber auch Versatzstücke, einzelne Fotos oder YouTube-Kommentare. Freunde können so eine Seite aufrufen, falls und wann ihnen danach ist. Oder sie als RSS-Feed abonnieren und vielleicht ja sogar dann und wann einen Link von dort bei Twitter oder Facebook...
Auch der Tippgeber profitiert: Seine mühsam gesammelten Links gehen nicht mehr zwischen dienstlichen E-Mails oder in Neuigkeiten-Streams verloren. Und er findet sie auch selbst leichter wieder.
Vor allem aber ist das Empfehlen eine Frage des Tonfalls. Ich sehne das Ende des "Lesebefehls" herbei, einer Wendung, die auf Twitter ständig verwendet wird. Ich hasse diesen Begriff, er erinnert mich an den Deutschunterricht. Selbst wenn ein so empfohlenes Buch eigentlich gut war: Genießen konnte ich es nicht mehr. Also mehr Empfehlungen, weniger Befehle bitte.