Icann Sex-Domain erneut auf Eis?
Ende letzten Jahres schien der Durchbruch schon geschafft: Die Internetverwaltung Icann beriet über die konkrete Einführung einer "xxx"-Domain, die pornografischen Inhalten vorbehalten sein sollte. Ihr Ziel: Einen klar definierten "Ort" für solche Inhalte zu schaffen, um mittelfristig die kommerziellen Domainräume des Netzes zu säubern.
Dass Sohn oder Töchterchen bei der Bildersuche nach Freundin Nicole fast zwangsläufig früher oder später über Namensvetterinnen mit unzureichender Bekleidung und in ungewöhnlichen Posen stolpert, ist vielen Surfern seit langem ein Dorn im Auge. Der Icann sind aber andere Aspekte wichtiger: zum Beispiel, dass es bei einer Konzentration von pornografischen Inhalten auf einen xxx-Domainraum Unternehmen leichter fallen würde, ihre arbeitsunlustige männliche Belegschaft am Pornosurfen zu hindern.
Jugendschutz, eine eindeutigere Aufteilung "sauberer" und anzüglicher Web-Inhalte und dazu noch die Chance, die Milliardenverluste durch Surfen am Arbeitsplatz nebst damit verbundener juristischer Risiken zu minimieren - daran sollte doch jeder ein Interesse haben. Das aber ist durchaus nicht so: Die Diskussion über die Einführung sogenannter Adult-Domains begann vor Gründung der Icann. Die übermächtig stark kommerziell orientierte Icann aber, salopp gern als das Straßenverkehrsamt des Internet bezeichnet, tut sich ganz besonders schwer damit. Sie hält zwar die Einführung von Sonder-Domains für Banken oder Fluggesellschaften für logisch und notwendig, die von kaum jemanden genutzt werden, nicht aber die Einrichtung von Schutzräumen für Kinder ("kids"-Domain) oder Rotlichtbezirken im Web.
Und damit spiegelt die Icann vor allem die Interessenlage der amerikanischen Regierung, deren Aufsicht sie untersteht. Der Beschluss der xxx-Domain scheiterte im letzten Jahr an einem Einspruch des US-Handelsministeriums, das sich mehr Bedenkenzeit ausbat.
GAC-Meeting: Bitte Nachbessern, Icann
Die Amerikaner führten die Diskussion im Kreis des Government Advisory Committee (GAC) fort, eines Ausschusses, der mit Abgesandten aus verschiedenen Ländern der Welt besetzt ist und die Icann bei ihren Entscheidungen beraten soll. Dem GAC gehören zurzeit rund 100 Mitglieder an, von denen etwa 40 von der Icann als "aktiv" bezeichnet werden. Von einer repräsentativen Vertretung aller Nationen kann also keine Rede sein, doch das ist nicht Schuld des GAC oder der Icann: Die Mitgliedschaft steht allen offen.
Sie wird aber von den meisten Nationen nicht wahrgenommen. So bleibt das GAC wie die Icann dominiert durch einige starke, aktive Nationen. Vom 25. bis zum 28. März tagte das GAC in Wellington, unter anderem um eine Antwort auf die von der Icann im November 2005 formulierte Absicht einer Einführung der xxx-Domain zu finden.
Diese Antwort liegt nun vor, ist nicht eindeutig, hat aber einen deutlich skeptischen Unterton: "Mehrere Staaten" seien demnach äußerst skeptisch, ob die geplante xxx-Domain wirklich wünschenswert sei.
Auf Seiten der Amerikaner stehen dahinter vor allem zwei Befürchtungen: Zum einen könne eine xxx-Domain die Auffindbarkeit von Pornografie sogar noch erleichtern. Zudem müsste die Einführung an ein funktionierendes Check-in-System gekoppelt werden, das sicherstelle, dass wirklich nur Erwachsene den virtuellen Rotlichtbezirk betreten könnten.
Zum anderen, argumentieren eher ökonomisch orientierte Kritiker, müsse die Icann auch sicherstellen können, dass die Inhalte-Anbieter in diesem Pornoraum des Netzes sich nicht nur an die gesetzlichen Rahmenbestimmungen des Jugendschutzes hielten, sondern auch die Urheberrechte und Copyrights respektierten. Diese Bedenken haben ihren Niederschlag in der vorliegenden Empfehlung des GAC gefunden, den man mit einem Satz zusammenfassen könnte: So nicht, bitte spezifizieren, neu formulieren, neu vorlegen.
Die Forderungen des GAC im Einzelnen: Die Icann müsse zunächst
- Angemessene Maßnahmen treffen, den Zugang zu illegalen und anstößigen Inhalten zu beschränken;
- Die Entwicklung von Programmen und Werkzeugen zum Schutz "verletzlicher Mitglieder der Gesellschaft" unterstützen;
- eine verlässliche Datenbasis der Domain-Inhaber schaffen·und die Polizeibehörden dabei unterstützen, wenn nötig die Inhaber spezifischer Webseiten zu identifizieren und zu kontaktieren;
- Maßnahmen zum Schutz des geistigen Eigentums und von Markenrechten, Namensrechten, Ländernamen, Namen von historischer, kultureller oder religiöser Wichtigkeit implementieren.
Für all das sieht sich die Icann aber weder zuständig noch dazu in der Lage: Sie organisiere nur den Domainraum und im Zusammenspiel mit den sogenannten Registraren (wie in Deutschland der Denic) die Vergabepraxis von Internetadressen. Für Inhalte sei sie nicht zuständig.
Tatsächlich würde so manche Auflage an der Web-Porno-Branche scheitern. Dort wird geklaut und abgekupfert, was das Zeug hält. Ihre Werbemethoden sind so notorisch halbseiden wie ihre Tricks, Internet-Nutzer auf ihre Seiten zu führen: Die Pornografen des Netzes schrecken da selbst vor dem Einsatz von Viren, Spyware- und Adware-Programmen, Spam-Mails und Webbrowser-Highjacking nicht zurück. Genau das war ja auch ein Auslöser der Diskussion: Der Wunsch, die Schmuddelkinder identifizierbar in einer Schublade abzulegen.
Dazu wird es nun wahrscheinlich wieder nicht kommen - zumindest vorerst. Die Sex-Domain dürfte wieder auf Eis liegen: Gegen den Widerstand der Amerikaner und des GAC ist sie nicht durchsetzbar.
Kontrovers geführt wird die Diskussion allerdings auch innerhalb der USA. Aktuell liegen dem Kongress zwei Gesetzesanträge vor, die die Schaffung einer Sex-Domain an eine Verpflichtung koppeln, alle pornografischen Inhalte aus den anderen Domainräumen des Netzes zu verbannen. Das allerdings wäre konsequent - und im Rahmen einer Diskussion, die zwischen heiß vertretenen moralischen Kriterien und kühl kalkulierten ökonomischen Interessen geführt wird, wohl noch weniger durchsetzbar.
Das nächste Meeting des Icann-Vorstandes findet im April statt, die Frage steht auf der Tagesordnung. Die Antwort kann man sich jetzt schon denken: "So nicht" - alles andere wäre eine Überraschung.
Frank Patalong