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Paul Clarke
Der Chief Technology Officer des englischen Online-Supermarkts Ocado lässt Roboter die Einkäufe erledigen.

Wenn Paul Clarke über seine Roboter spricht, klingt er wie ein stolzer Vater. Er spricht von "den Kleinen", die sich gegenseitig helfen, wenn einer mal schwächelt, etwa weil dem Akku die Energie ausgeht. Tatsächlich gilt das System, das unter Clarkes Leitung entwickelt wurde, als wegweisend: Bisher fällt es allen Onlinehändlern - auch Amazon - schwer, Lebensmittel profitabel übers Internet zu verkaufen, weil Milch und Müsli zu wenig Gewinn abwerfen, um die Kosten für Lagerhaltung und Lieferung auszugleichen. Deshalb hat Ocado Lagerhäuser entwickelt, die ganz auf die Bedürfnisse von Maschinen abgestimmt sind: Die Firma nutzt ein System aus Metallgittern, in denen sich Behälter mit Produkten stapeln. Ganz oben flitzen Roboter, so groß wie Waschmaschinen, mit bis zu vier Meter pro Sekunde über die Gitter hinweg, um einzusammeln, was vom Kunden gefragt ist. Koordiniert wird der Schwarm durch mitlernende Software, die zehnmal pro Sekunde Wege neu berechnet und ihre Kommandos den Robotern zufunkt. "So können wir eine Bestellung mit 50 Produkten in wenigen Minuten zusammenstellen", erklärt Clarke. Das System, für den Eigenbedarf entwickelt, bietet Ocado inzwischen auch anderen Versendern an - der amerikanische Amazon- und WalMart-Konkurrent Kroger kaufte sogar Anteile an dem britischen Unternehmen. Für mehr derartige Erfolge brauche Europa clevere Kooperationen, glaubt Clark: "Wir müssen Wege finden, effektiv zusammenzuarbeiten", sagt der 59-Jährige. "Genau wie unsere Roboter."
Nachhaken in ... einem Jahr, um zu sehen, ob Ocados Roboter dann auch in deutschen Warenlagern Bestellungen zusammensuchen.
Samuel Waldeck
Der Gründer der Shift GmbH aus Hessen will Smartphones endlich nachhaltiger machen.

Samuel Waldeck (l.) mit seinem Bruder Carsten
Foto: ShiftphonesAlle 24 Monate ein neues Handy - muss das sein? Bisher spielen die meisten mit, weil das Display verkratzt ist oder der Akku schlappmacht. Was, wenn man die kaputten Teile einfach austauschen könnte? Beim Shift-Phone, erfunden von den Brüdern Carsten und Samuel Waldeck aus Nordhessen, ist das möglich: Die Android-Handys (ab 400 Euro ohne Vertrag) sind nach dem Baukastenprinzip zusammengesteckt, alle wichtigen Elemente sind leicht zu ersetzen. "Wir sind Leute, die gern basteln. Uns hat gestört, dass Geräte immer schwerer zu reparieren sind", erklärt Samuel Waldeck. Ähnlich wie beim holländischen "Fairphone" geht Nachhaltigkeit den Machern über Profit: Für jedes Handy fallen 22 Euro Pfand an - als Anreiz für Käufer, ausgediente Geräte zurückzuschicken. "Wir wollen von Anfang bis Ende die Verantwortung für unsere Produkte übernehmen", sagt Waldeck. In seinem Heimatort Falkendorf (765 Einwohner) beschäftigt der Kleinbetrieb 14 Mitarbeiter, für die Herstellung 12 weitere in China. Statt in einer Fabrik sitzen die Angestellten dort in einem Büro und verdienen mehr als üblich, die Gründer dagegen begnügen sich mit Durchschnittsgehältern. Überschüsse sollen unter anderem einen Dorfladen im Heimatdorf finanzieren. "Wir streben nicht nach Gewinnmaximierung, sondern nach Sinnmaximierung."
Nachhaken in ... zwei Jahren: Bis dahin will Shift ein Tablet entwickelt haben, das zugleich als Notebook taugt. Ein Netzwerk aus Bastlern soll dann auch europaweit Reparaturen für Shiftphone-Besitzer anbieten.
Bernhard Schölkopf
Der Leiter des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme will ein europäisches Labor für die KI-Forschung etablieren.

In seinem Alltag als Wissenschaftler sieht Bernhard Schölkopf aus nächster Nähe, wie viele hervorragende Forscher Europa auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz (KI) hervorbringt. Zugleich beobachtet er, dass die Besten oft ins Silicon Valley ziehen, wo Eliteunis und Großkonzerne mit Forschungslaboren und Millionensummen um sie buhlen. Deshalb hat Schölkopf, selbst Träger des bedeutenden deutschen Leibniz-Wissenschaftspreises, mit Kollegen einen Brandbrief verfasst, 150 Unterstützer schlossen sich an. Die Wissenschaftler fordern ein europaweites Institut für KI-Forschung. Dieses "European Lab for Learning & Intelligent Systems" (kurz: ELLIS) soll Spitzenkräften eine Perspektive bieten, unter besten Bedingungen zu arbeiten und Projekte auch in Start-ups zu verwandeln. "Wir glauben, dass Europa mithalten kann, denn wir können Stärken aus vielen Bereichen zusammenbringen", sagt Schölkopf, der in Tübingen forscht. Ohne einen gemeinsamen Kraftakt wie ELLIS, so warnen der 50-Jährige und seine Mitstreiter, drohe der Kontinent jedoch in einer der wichtigsten Zukunftstechnologien zurückzufallen. "Wir stehen an einem Scheideweg", schreiben sie in ihrem offenen Brief - Europa müsse umgehend handeln, um nicht seine Chancen zu verspielen.
Nachhaken in ... sechs Monaten. Bis dahin muss sich zeigen, ob die Initiative der Wissenschaftler politisch etwas in Bewegung setzt.
Martin Hubschneider
Der Softwareunternehmer aus Karlsruhe will Digitalmonopolen eine Genossenschaft entgegensetzen.

Milliarden scheffeln, Profite maximieren, ein Quasimonopol errichten - nichts davon hat Martin Hubschneider mit "SmartWe" im Sinn. Im Gegenteil: Die Cloudsoftware für Büroanwendungen, entwickelt von Hubschneiders Softwarehaus CAS, setzt auf Mitbestimmung und Beteiligung der Kunden am Erfolg. Denn die Art, wie einzelne Digitalfirmen allen Konkurrenten davonziehen und Quasimonpole schaffen, macht dem Karlsruher Unternehmer Angst. "Wir hatten noch nie eine Phase, in der Netzwerkeffekte und Plattformen so stark waren wie heute", sagt der 59-Jährige. Das schaffe fatale Abhängigkeiten von Anbietern, die ihren Kunden ebenso die Regeln vorschreiben könnten wie der Gesellschaft insgesamt. Im Kontrast dazu bekommen SmartWe-Nutzer die Möglichkeit, ohne Extrakosten Teilhaber der Firma zu werden, und die genossenschaftliche AG verpflichtet sich, den Gewinn auf zehn Prozent zu begrenzen. Fällt mehr an, sinken die Preise für die Nutzer. Je populärer der Cloudservice also wird, umso günstiger wird das monatliche Abo. Als ersten Großkunden hat SmartWe den Deutschen Turnerbund gewonnen, 2019 wird die Software in elf Sprachen verfügbar sein. "Wir glauben, dass unser Angebot den Nerv der Zeit trifft", sagt Hubschneider. "Wenn Leute das Prinzip verstehen, könnte es Schule machen."
Nachhaken in ... fünf Jahren. Bis dahin muss SmartWe auch international bekannt genug sein, um das selbst gesteckte Ziel zu erreichen: 100 Millionen Kunden in über 190 Ländern bis spätestens 2027.
Martina Mara
Die Psychologin von der Universität Linz bringt Robotern bei, besser mit Menschen klarzukommen.

Schon heute sind Roboter und künstliche Intelligenzen selbstverständlicher Alltag: Sie helfen als digitale Assistenten wie Alexa oder Siri, unterstützen als Chatbot im Büro oder strecken in der Fabrik die Greifarme aus. In Zukunft werden sie eine noch viel größere Rolle spielen - und damit steigt die Gefahr von Missverständnissen zwischen Mensch und Maschine. Martina Mara will möglichst viele davon schon im Ansatz verhindern. "Ich möchte bereits in der Entwicklungsphase Erkenntnisse aus der Sozialwissenschaft einbringen", erklärt die 37-jährige Österreicherin. "Meine Hoffnung ist, dass wir diese Maschinen per se so gestalten, dass niemand ein besonderes Training braucht, um gut mit ihnen auszukommen." Besonders wichtig sei, dass Roboter klar verständlich ihre Absichten signalisierten: "Dann nimmt die gefühlte Sicherheit zu, und das Vertrauen steigt." Derzeit beobachtet die Psychologin, dass Menschen eher den falschen Reflexen folgen: Sie fürchten sich vor einer übermächtigen KI in ferner Zukunft, sind aber schnell bereit, mit Digitalassistenten private Gedanken auszutauschen. Der lockere Plauderton genügt schon, um Nutzern das Gefühl von Freundschaft zu vermitteln. "Wir können gar nicht anders, als auf diese Systeme hereinzufallen, und das macht uns auch angreifbar für Manipulationen", sagt Mara. Die eigene Alexa, nach deren Befinden sich Maras dreijährige Tochter gern erkundigte, wurde deshalb nach kurzer Testphase wieder aus der Wohnung verbannt.
Nachhaken in ... fünf bis zehn Jahren, wenn Pflegeroboter in Krankenhäusern ebenso Alltag sein könnten wie Drohnenschwärme, die in Städten über Fußgänger hinwegsurren.
Francesca Bria
Barcelonas Beauftragte für Technologie und digitale Innovation will die spanische Metropole zur wahrhaft intelligenten Stadt machen.

Smart soll die Stadt der Zukunft sein, schlau also, so propagieren es weltweit Unternehmen wie IBM oder Microsoft. Den Firmen geht es meist darum, neue Software für die Verwaltung zu verkaufen oder Sensoren, um mithilfe der so generierten Daten Abläufe zu optimieren. Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin Francesca Bria aber will mehr: Sie will die Bürger bei der Entwicklung ihrer Stadt mitbestimmen lassen. Technische Innovation soll den Bewohnerinnen und Bewohnern dienen, so der Plan der gebürtigen Italienerin. Die Stadtpolitik soll dadurch offener und transparenter werden. Bria hat die Verträge mit den großen Tech-Unternehmen angepasst und nutzt, wo immer möglich, kostenlose offene Software. Alle Daten werden mit Blockchain-Technologie verschlüsselt, damit jeder auch in Zukunft souverän über sie verfügen kann. Auf einer Plattform können Bürger Vorschläge machen, diskutieren und abstimmen: Die Einwohner selbst entscheiden, wofür Geld ausgegeben wird oder was die Stadtregierung sich vornehmen soll. Demokratie sollte die Technologie führen, nicht umgekehrt, sagt Bria.
75 Millionen Euro pro Jahr ist der Stadt die soziale Innovation wert, in die auch ortsansässige Technologiefirmen und mittelständische Unternehmen eingebunden sind. Intelligent sei eine Stadt sowieso, sagt Bria. Smart sei sie, wenn sie lebenswert sei. Und Technologie nur ein Mittel, um den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.
Nachhaken in ... zwei Jahren. 2020 soll die "Smart City" weitgehend verwirklicht sein, dann wird sich auch zeigen, ob Barcelonas Erfahrungen sich auf andere Städte übertragen lassen.
Gavin Wood
Als Miterfinder der Blockchain-Technologie "Ethereum" legte der Brite den Grundstein für Europas jüngsten Tech-Boom.

Die Zukunft am Beispiel einer Banane sieht so aus: Ihr Weg von der Plantage bis zum Supermarkt ließe sich bis ins Detail nachverfolgen; alle Beteiligten würden automatisch bezahlt, und jeder Versuch, eine herkömmliche Banane als Bioprodukt auszugeben, würde scheitern, weil Manipulation sofort auffliegt. So jedenfalls stellen sich Blockchain-Anhänger die Wirtschaft von morgen vor: als eine Welt voller Transparenz und Effizienz, die wie von selbst Vertrauen schafft. Im Prinzip gleicht die Blockchain einem digitalen Kassenbuch, das allen Beteiligten offensteht und keine nachträglichen Änderungen zulässt. Während Spekulanten sich auf Kryptowährungen wie Bitcoin stürzen, die auf dieser Technologie basieren, fasziniert Unternehmen vor allem das Konzept von "smarten Verträgen". Favorit für deren Umsetzung ist die Ethereum-Blockchain, die der Brite Gavin Wood gemeinsam mit den Kanadiern Vitalik Buterin und Joseph Lubin entwickelt hat. "Die Technologie erlaubt es uns, weltweit gemeinschaftlich zu einer Einigung zu kommen, was und wann etwas passiert ist", erklärt Wood, dessen Firma Parity an Ethereum-Anwendungen arbeitet. Gern spricht Wood, 38, von der Blockchain als Grundlage für ein "Web 3.0", das ohne Mittler wie Banken oder Handelsplattformen auskommt. Skeptiker sehen in solchen Versprechen noch viel heiße Luft; fraglos aber gibt die Blockchain Europas Entwicklerszene Auftrieb: Laut einer Deloitte-Analyse drehten sich 2017 mehr als 4000 Projekte um die neue Technologie, die EU will bis 2020 bis zu 300 Millionen Euro investieren.
Nachhaken in ... zwei bis drei Jahren, wenn Pilotprojekte bewiesen haben müssen, dass die Technologie hält, was ihre Fans sich ausmalen.
Cécile van der Harten
Die Kuratorin am Rijksmuseum in Amsterdam macht die Schätze des Museums im Internet für jeden verfügbar.

Rembrandt für die Socken oder ein Van Gogh auf dem Sofakissen? Wer Lust hat, mit den Werken alter Meister etwas Neues zu schaffen, muss nur die Website des niederländischen Nationalmuseums ansteuern. Schon seit 2007 ist das Rijksmuseum dabei, seine Sammlung - insgesamt etwa eine Million Objekte - professionell zu fotografieren und in die digitale Welt zu übertragen. "Viele unserer Werke lagen jahrzehntelang im Archiv", sagt die Kuratorin Cécile van der Harten, die das Projekt seit den Anfängen begleitet. Oft würden in den hochauflösenden Fotos Details sichtbar, die noch nie jemandem aufgefallen waren. Mit der Digitalisierung will das Rijksmuseum nicht nur seine Schätze virtuell sichern, sondern auch seine gesellschaftliche Bedeutung erhalten. "Weil Menschen uns im Internet besuchen können, sind wir in ihrem Leben präsenter als je zuvor", sagt van der Harten. Nutzer dürfen die Bilder herunterladen und verarbeiten. Im Zeitalter von Digitalfotografie und Vernetzung lasse sich das eh nicht verhindern. "Und auf diese Weise können wir zumindest sicherstellen, dass es mit Abbildungen von höchster Qualität geschieht." Besonders gefreut hat die Kuratorin das Projekt eines Bauern, der seinen Kühen ein Gemälde in den Stall hängte.
Nachhaken in ... drei Jahren. Bis 2021 soll die Sammlung komplett erfasst sein; bisher liegen etwa 70 Prozent der Objekte als digitales Abbild vor.
Anne Kjær Riechert
Die Dänin will mit der ReDi School of Digital Integration Geflüchtete zu Programmierern machen und Firmen Fachkräfte vermitteln.

Ihre Idee ist schon ziemlich groß geworden, längst kennt Anne Kjær Riechert nicht mehr jeden Schüler persönlich: Mehr als 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernen derzeit in München und Berlin, Websites zu gestalten, Cloudsoftware zu programmieren oder Apps für Smartphones zu entwickeln. Die meisten von ihnen sind Migranten, die sich in den kostenlosen Kursen der ReDi School of Digital Integration für den deutschen Arbeitsmarkt fit machen können - schon während sie auf eine Aufenthaltsgenehmigung warten. "Integration muss vom ersten Tag an beginnen. Wenn man jahrelang herumsitzt, wird es extrem schwierig", sagt die Dänin. Die Idee kam Riechert, die an der dänischen Unternehmerschule "KaosPilot" studierte und heute in Berlin lebt, schon Ende 2015. Kurz nach der Öffnung im Februar 2016 bekam die ReDi School - eine gemeinnützige GmbH - Besuch von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, der mit seiner Frau 100 000 Euro spendete. Auch Sponsoren wie der Klöckner-Konzern und der amerikanische Telekommunikationsanbieter Cisco halfen, das Angebot schnell auszubauen. Inzwischen unterrichten etwa 250 ehrenamtliche Tutoren, mehr als die Hälfte der Absolventen habe bereits einen Job gefunden oder ein Studium begonnen, sagt Riechert. "Viele Geflüchtete, die nach Deutschland kommen, sind hoch motiviert", sagt die 36-Jährige. Zugleich suchten Firmen verzweifelt nach Fachkräften mit IT-Kenntnissen. Deshalb sieht Riechert in ihrer Idee auch ein "Programm, um den Arbeitsmarkt zu entlasten". Denn sobald Absolventen ihre Aufenthaltserlaubnis erhielten, könnten sie sofort einen Job annehmen: "Der Staat kann so ganz viel Geld sparen."
Nachhaken in ... zwölf Monaten. Bis dahin möchte die ReDi School in weiteren deutschen Städten Kurse anbieten, dann auch mit staatlicher Unterstützung. Ein Antrag auf Fördergelder läuft.