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"Virtual Normality": Künstlerinnen im Netz

Foto: Signe Pierce

Frauenbilder im Netz "Auf Instagram sind Schamhaare immer noch ein Problem"

Obszön, grotesk, ironisch: Auf Instagram verhandeln junge Netzkünstlerinnen neu, was schön ist und welche Darstellung von weiblicher Sexualität akzeptabel. Eine Leipziger Schau zeigt ihre Arbeiten.

Zwei Finger massieren über die Grapefruithälfte, sie werden schneller, dann sticht einer tief ins rosarote Fruchtfleisch. Für solche kurzen Videos ist die amerikanische Künstlerin Stephanie Sarley bekannt. Ihre Plattform: Instagram.

Sarley greift mit ihrer Arbeit den insbesondere auf Instagram verbreiteten Food-Porn-Trend auf, das Veröffentlichen optisch ansprechender Essensfotos. Daraus schafft sie provokative Videos - mit Fruit Porn. Die Früchte, die Sarley mit den Fingern bearbeitet, erinnern den Betrachter unwillkürlich an eine Vulva. Während halbnackte Frauen in nahezu jeder TV-Werbepause auftauchen und auf Plakaten in der Innenstadt, sind Sarleys Frucht-Videos für manche Instagram-Nutzer offenbar zu viel: Sie wurden nach Nutzer-Meldungen mehrfach gesperrt.

Neben Sarley gibt es eine ganze Reihe junger Netzkünstlerinnen, die auf Plattformen wie Instagram Fragen zu Identität, Schönheit und Weiblichkeit auszuloten versuchen. Ihre Kunst zeigt ab Donnerstag das Museum der bildenden Künste Leipzig, unter dem Titel "Virtual Normality".  

Diese Fotostrecke präsentiert exemplarisch einige der Arbeiten:

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"Virtual Normality": Künstlerinnen im Netz

Foto: Signe Pierce

Instagram will keine Brustwarzen zeigen - von Frauen

Die sozialen Netzwerke sind für die Künstlerinnen dabei Fluch und Segen zugleich. Sie schaffen neue Möglichkeiten, sich unabhängig von Galerien schnell und einfach zu präsentieren und Fans zu gewinnen. Die privaten Plattformen aus dem Silicon Valley legen den Frauen aber auch neue Beschränkungen auf, beschreibt Anika Meier. Sie kuratiert zusammen mit Sabrina Steinek aus Wien die Leipziger Schau.

Auf Instagram herrscht gemäß der Unternehmensrichtlinien eine gewisse Prüderie, Nacktheit ist verboten. Auch Promi-Fotografen wie Ryan McGinley posten ihre Fotografien mit schwarzen Balken über den weibliche Brustwarzen. Bei Brustwarzen von Männern ist das Netzwerk nicht so streng. Doch Instagram reguliert nicht nur die Frage von Nacktheit, sondern bestimmt darüber hinaus auch, wie der weibliche Körper gezeigt werden darf - und was zu obszön ist.

Als die kanadische Fotografin Petra Collins 2013 beispielsweise ein Foto von sich im Bikinihöschen veröffentlichte, wurde ihr Post von Instagram gelöscht. Nutzer hatten das Foto offenbar als anstößig gemeldet, weil Schamhaar am Rand des Bikinis hervorlugte.

"Die sozialen Medien haben den Schönheitswahn verstärkt"

Nicht immer reagiert das Netzwerk so harsch. Eine der ausstellenden Künstlerinnen, Arvida Byström, postete erst vor wenigen Tagen ein Bikini-Foto, das zufällig an das von Fotografin Collins erinnert - hier blieb das Motiv mit sichtbarem Schamhaar stehen. Trotzdem sagt Kuratorin Meier: "Auf Instagram sind Schamhaare immer noch ein Problem."

Als attraktiv gelte, wer auf Fotos jung, schlank und stoppelfrei ist. Diesem Ideal eifern etliche der Nutzer nach und präsentieren sich und ihr scheinbar makelloses Leben auf per Filter optimierten Bildern.

"Die sozialen Medien haben den Schönheitswahn sogar noch verstärkt", sagt auch Meier. Als Beispiel nennt sie Hashtag-Aktionen wie #Thighgap. Dabei animieren sich Nutzerinnen gegenseitig zum Abnehmen. Auf Fotos sollen sich die Oberschenkel nicht gegenseitig berühren, sondern eine Lücke (Englisch: gap) zu sehen sein.

Die Leipziger Ausstellung zeigt, wie die Künstlerinnen - jede auf ihre Weise - Widerstand gegen diesen Wahn leisten.

Sexy - und Künstlerin?

Das erfordert Mut, sagt Meier. Denn Frauen würden immer noch deutlich häufiger als Männer für Verstöße gegen Abweichungen von der Norm abgestraft. Gleichzeitig gilt ihrer Meinung nach: "Wenn Frauen sich in ihrer Kunst zu sexy zeigen oder zu explizit werden, hieß es schon immer schnell: Das ist Porno und keine Kunst."

Für weitere in der Ausstellung vertretene Künstlerinnen wie Molly Soda besteht das Aufbegehren gegen alte Regeln schon darin, überhaupt als Frau in der Öffentlichkeit Platz zu beanspruchen. "Auch das ist eine Form von Aktivismus: Einfach zu existieren und sich als Frau in die Öffentlichkeit zu stellen, und sich dabei nicht dafür zu schämen, wer du bist und worum es dir geht", wird Soda in einem Begleittext zur Ausstellung zitiert. Das ist es auch, worum es allen Künstlerinnen der Leipziger Ausstellung  geht: Sie wollen ein Recht auf ihre ganz eigene Definition von Schönheit.


Mehr Kunst von Instagram hier zum Durchklicken oder -wischen:

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Fotografie: Von Instagram in die Galerie

Foto: DearHamburg/ Tekla Evelina Severin
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