Internet-Historie SPIEGEL ONLINE rettet die Trojan-Room-Kaffeemaschine

SPIEGEL ONLINE hat ein Stück Internet-Geschichte ersteigert: die Kaffeemaschine aus einem Computerlabor der University of Cambridge, deren Füllstand jahrelang von der ersten Webcam der Welt übertragen wurde. Die Wissenschaftler wollten die Maschine entsorgen. Wir setzen die Tradition fort.

Cambridge/Hamburg - Bis zuletzt ging es im virtuellen Auktionshaus eBay heiß her. Für 3350 britische Pfund, umgerechnet 10.452,70 Mark, konnte SPIEGEL ONLINE mit Unterstützung eines Sponsors - dem Gesundheitskonzern Fresenius - schließlich die historische Kaffeemaschine ersteigern. Bei zehn Pfund, rund 31 Mark, hatte der Startpreis für das Lot mit der Nummer 1260882480 gelegen. Schon am ersten Auktionstag hatte sich der Preis verzehnfacht. In letzten beiden Stunden der Auktion hatte sich der Preis von 750 Pfund auf über 3000 Pfund mehr als vervierfacht. Um 14.39 Uhr und 29 Sekunden fiel der Hammer.

Viel Geld, wenn man bedenkt, dass die Krups ProAroma, die von Oktober 1997 bis März 2001 vor der Kamera im Einsatz war, derzeit noch nicht einmal zum Kaffeekochen taugt: "Wir müssen Sie warnen, dass die Maschine kaputt ist, möglicherweise so sehr, dass sie nicht mehr repariert werden kann. Sie verliert Wasser, außerdem haben wir den Stecker abgeschnitten", hieß es in der Objektbeschreibung bei eBay.

Was macht diese Kaffeemaschine so einzigartig?

Rückblick: Angefangen hatte alles 1991 am Computer Science Department der University of Cambridge. Die rund 15 Mitglieder des "Coffee Club", einer losen Vereinigung passionierter Kaffeetrinker, die sich eine einzige Kaffeemaschine teilen mussten, waren entnervt. Immer wieder kam es vor, dass einer der Wissenschaftler durch das halbe Gebäude wanderte, nur um festzustellen, dass die braune Brühe noch nicht fertig oder schon wieder alle war. Man kennt das ja. Damals - zu Beginn des letzten Jahrzehnts des vergangenen Jahrhunderts - fristete die Kaffeemaschine ein Schattendasein. Einsam stand sie im Korridor vor einem Raum in dem ein Computerlabor untergebracht war - der Trojan Room.

Praktisch veranlagt, installierten die IT-Cracks um Quentin Stafford-Fraser in ein paar Stunden eine Kamera, die fortan 24 Stunden täglich den aktuellen Füllstand der Kaffeekanne an mehrere Rechner eines Uni-Netzwerks weitergab. Über ein kleines Fensterchen mit schwarz-weißen Bildern war die Kaffeestand-Kontrolle aus der Ferne möglich. Wenig später erlebte das weltweite Computernetzwerk - besser bekannt als das Internet - seinen Boom. Seit 1993 waren die Bilder aus dem Flur vor dem Trojan Room auch im World Wide Web zu sehen. Schnell wurde die Kaffeemaschine zur virtuellen Pilgerstätte für Millionen von Surfern. Die erste Webcam war geboren.

Dann und wann ging die gläserne Kaffeekanne kaputt und wurde ersetzt. Die letzte Kanne überlebte aber immerhin 42 Monate. Irgendwann installierte die Universität Cambridge auch einen neuen Server für die Webcam, weil der alte seinen Geist aufgegeben hatte. Sonst blieb alles wie gehabt.

Ein Schock für die Community

Doch im März dieses Jahres kam der Schock für die weltweiten Webcam-Verehrer: Die Bilder aus dem Trojan Room würden bald nicht mehr zu sehen sein, teilte die Uni mit. "Wir ziehen Ende des Jahres in ein neues Gebäude", begründete Webcam-Wächter Daniel Gordon gegenüber SPIEGEL ONLINE das Aus für die historische Kanne. Und eigentlich schien er ganz froh darüber, sich "nicht mehr mit der Wartung des alten, fehleranfälligen Systems" herumschlagen zu müssen. Webcam-Daddy Quentin Stafford-Fraser bemerkte im Interview pietätvoll, nun es sei "Zeit, 'Tschüs' zu sagen".

Die weltweite Reaktion der Internetgemeinde war überwältigend: Internetsurfer bombardierten die Wissenschaftler der University of Cambridge mit E-Mails, in denen sie den Erhalt der Coffee-Pot-Webcam forderten. Die britische "Times" besang das bevorstehende Ende der Trojan Room Coffee Machine als "Abschied von den Anfängen des Internet". Die Washington Post beschrieb die Kaffeemaschine als "Kitsch-Ikone", als "Attraktion, die alleine durch die Absurdität ihrer Existenz eine Bedeutung gewonnen habe". Der Hype um die weiße Kaffeemaschine zeige, wie sehr das Medium Internet die Zeit verdichtet habe. "Die Anfänge des Internet sind nun Artefakte", schrieb die "Washington Post". Für 3350 Pfund wechselt der Trojan Room Coffee Pot nun in die Ost-West-Straße 57 in Hamburg - wenig Geld für eines der handverlesenen Artefakte aus der Frühgeschichte des Internet.

Im Text zur Internetauktion findet sich ein Hinweis darauf, was die britischen Informatiker mit dem Geld aus der Versteigerung vorhaben: "Wir wollen eine schicke neue Espresso-Maschine kaufen, weil es von dem neuen Gebäude bis zu Starbucks zu weit zu laufen ist." SPIEGEL ONLINE wünscht dem Coffee Club der Computerabteilung der University of Cambridge jedenfalls allzeit frischen Kaffeegenuss.

In Hamburg soll die wertvolle Kaffeemaschine - für die es selbstverständlich auch ein Echtheitszertifikat aus Großbritannien gibt - zunächst repariert werden. Danach soll sie in den Redaktionsräumen aufgestellt werden. Läuft alles nach Plan, wird sie in wenigen Wochen wieder vor einer Webcam posieren. Die Tradition des Trojan Room Coffee Pot lebt - demnächst in diesem Theater.

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