Interview Grüne lassen Wahlprogramm von Internetnutzern schreiben
Die Meinung der Netz-Gemeinde ist den Grünen wichtig: In einem bislang einmaligen Experiment lässt die Partei im Augenblick einen Teil ihres Wahlprogramms im Internet frei bearbeiten. Der von den Grünen und dem Netzwerk Neue Medien formulierte Eingangstext zum Thema "Digitale Gesellschaft" steht auch in einem Wiki-System zur Verfügung, so dass Nutzer nach Anmeldung die Texte auf der Partei-Webseite direkt verändern können. Steffi Lemke, politische Bundesgeschäftsführerin der Grünen sprach mit SPIEGEL ONLINE über das Web-Experiment.
SPIEGEL ONLINE: Ist es Ihr Ernst, dass jeder an Ihrem Wahlprogramm mitschreiben können soll?
Steffi Lemke: Wir haben einen Bereich, der im Internet besonders intensiv diskutiert wird, ausgewählt und machen jetzt erstmalig das Angebot, dass alle an einem Entwurf unseres Wahlprogrammes mitschreiben können. Dass das Programm in der letzten Fassung auf dem Parteitag von den Delegierten abgestimmt wird, bleibt aber so.
SPIEGEL ONLINE: Das heißt aber, auch ein Mitglied der Jungen Union darf jetzt am Wahlprogramm der Grünen mitarbeiten?
Lemke: Wenn er einen klugen Beitrag dazu leisten möchte, kann er das gerne tun.
SPIEGEL ONLINE: Wie wird das ganze denn kontrolliert? Wenn sich da etwa ein Rechtsradikaler einklinkt und das Programm verändert, könnte das ja peinlich werden.
Lemke: Bei rechtsextremen Kommentaren würde ich definitiv die Notbremse ziehen und das rausschmeißen, dieses Problem haben wir ja bei allen Internet-Diskussion, ob in Foren oder wo auch immer. Ansonsten wird der Programmentwurf natürlich letztendlich vom Bundesvorstand vorgelegt, auf dem Parteitag abgestimmt, das heißt, offensichtlichen Unsinn werden wir da selbstverständlich nicht weiter verfolgen.
SPIEGEL ONLINE: Das heißt, das wird jetzt permanent beobachtet?
Lemke: Nein, das ist überhaupt nicht möglich, dazu gibt es viel zu viele Beiträge. Wir haben seit gestern etwa 7500 Zugriffe. Wir filtern es nur auf rechtsextreme Hetze.
SPIEGEL ONLINE: Wieviele haben sich denn angemeldet für die Aktion?
Lemke: Über 200 Leute, aber die Aktion läuft ja auch erst seit Mittwoch.
SPIEGEL ONLINE: Warum läuft das ganze denn nur bis Samstag, das ist ja auch ein relativ kurzer Zeitraum?
Lemke: Weil schon am 18. September Bundestagswahlen sein werden, und wir am 9. und 10. Juli unseren Programmparteitag haben.
SPIEGEL ONLINE: Man könnte Ihnen nun den Vorwurf machen, das ganze sei nur ein PR-Gag, Sie sprängen auf den im Moment sehr angesagten Wiki-Zug auf.
Lemke: Nein, wir haben uns als Partei den neuen Medien besonders früh geöffnet, wenn Sie zum Beispiel an Open Source oder die Diskussion über Softwarepatente denken. Wir hatten auch zwei virtuelle Parteitage im Netz, haben eine Mitgliedschaft, die insgesamt im Netz wahnsinnig mobil ist.
SPIEGEL ONLINE: Nun beteiligen sich an der Aktion ja sicher nicht nur Ihre Mitglieder. Fällt Ihnen selbst nichts mehr ein?
Lemke: Wir haben ja Ideen vorgelegt und einen Entwurf reingestellt. Wir haben etwas hineingeschrieben als Diskussionsgrundlage, und ich freue mich, dass sich jetzt so viele beteiligen. Zu den Gründungsgrundsätzen der Grünen gehörte, dass sie sich in die Gesellschaft hinein öffnen wollten, sich nicht auf ihre Mitglieder beschränken wollten, auch was Ideen betrifft.
SPIEGEL ONLINE: Das heißt aber, dass das Programm dann bevor es an den Parteitag geht, noch einmal von Ihnen überarbeitet werden muss?
Lemke: Das übliche Verfahren ist, dass es aus diesen Beiträgen, Vorschlägen und Ideen im Endeffekt einen Vorschlag des Bundesvorstandes für das Wahlprogramm geben wird. Der wird am 20. Juni vom Bundesvorstand beschlossen und dann auf unserem Parteitag diskutiert und beschlossen.
SPIEGEL ONLINE: Was machen Sie denn, wenn die im Netz formulierten Forderungen zwar eigentlich grüne Positionen sind, aber zu extrem, um damit in den Wahlkampf zu gehen?
Lemke: Ich habe bis jetzt noch keinen Punkt gesehen, wo ich sagen würde, das ist eine völlig durchgeknallte Idee. Die Diskussion ist sehr gut und sachlich. Ich schließe nicht aus, das es so was gibt, da wird der Bundesvorstand bei seiner Diskussion des Entwurfs zu entscheiden haben, wie wir damit umgehen.
Die Fragen stellte Christian Stöcker