Interview zur Bürokratie-Meldestelle "Diese Webseite wäre schlecht für Kafkas Gesundheit"

Vincent van Quickenborne, 30, ist Staatssekretär in der belgischen Regierung für die Vereinfachung der Verwaltung. Von ihm stammt die Idee für die Internetseite Kafka.be, einer "Meldestelle für umständliche Amtswege", bei der sich Belgier über unsinnige Verwaltungsvorschriften beschweren können.

SPIEGEL ONLINE:

Herr van Quickenborne, wie sind Sie denn ausgerechnet für eine Webseite gegen den belgischen Amtsschimmel  auf den Namen "Kafka.be" gekommen?

Vincent van Quickenborne: Nun, er ist etwas ironisch. Aber durch den weltweit bekannten Namen kann man auf ein sehr bekanntes Problem hinweisen: die komplizierte Verwaltung. Herr Kafka hat als Schriftsteller vor langer Zeit über die Probleme geschrieben, die wir als Individuen mit dem allmächtigen Staat haben. Deshalb dachte ich, dass die Webseite mit dem Namen von Kafka ein gutes Symbol für die Schlacht ist, die wir gegen den Aufwand mit Formularen führen.

SPIEGEL ONLINE: Wie kompliziert ist denn die Verwaltung in Belgien, dass Sie sie mit Kafkas Werken vergleichen?

Quickenborne: Sie ist sehr kompliziert, weil die Erwartungen hoch sind. Jeder Mensch muss viele unterschiedliche Formulare ausfüllen.

SPIEGEL ONLINE: Mittlerweile gibt es einen Zwischenbericht mit rund 3800 Hinweisen von Bürgern und Unternehmen über umständliche Verwaltungsvorschriften. Was kritisieren diese denn?

Quickenborne: Es gibt das Beispiel eines Mannes, dem der Fuß amputiert worden ist. Jedes Jahr muss er für bestimmte Hilfen nachweisen, dass sein Fuß noch immer amputiert ist. Das ist natürlich völlig absurd.

SPIEGEL ONLINE: Das ist kafkaesk! Mussten Sie denn auch mal über Beispiele lachen?

Quickenborne: Ja, sicher. Wenn man ein Unternehmen eröffnen will, muss man eine entsprechende Ausbildung oder ein Studium nachweisen. Es gibt einen Belgier, der eine Frau aus Thailand geheiratet hat, die sehr gut thailändisch kochen kann. Sie wollte ein Restaurant eröffnen. Weil sie aber keine Ausbildung darüber nachweisen konnte, musste sie sich sechs Monate zur Köchin ausbilden lassen. Aber die einzigen Kochkurse, die wir haben, sind französische Kochkurse und keine thailändischen. So musste sie also französisch kochen lernen, obwohl sie gar keine französische Küche anbieten wollte - sondern thailändische.

SPIEGEL ONLINE: Aber jetzt wird alles besser, nachdem Sie die umständlichsten Amtswege gefunden haben?

Quickenborne: Nun ja. Die Aufmerksamkeit ist da, die Ideen sind da, wir versuchen alle zusammenzuarbeiten, um nach den Hinweisen der Bürger auch Lösungen zu finden. Zum Beispiel können Unternehmen ihre Steuererklärung neuerdings elektronisch abgeben. Das verringert den Verwaltungsaufwand.

SPIEGEL ONLINE: Raten Sie auch anderen Ländern, eine "Kafka-Seite" zu installieren?

Quickenborne: Ja, unbedingt! Ich habe unsere Ergebnisse schon dem Vize-Ministerpräsidenten der Niederlande vorgestellt, weil die Niederlande in der zweiten Jahreshälfte die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union innehaben. Ich habe vorgeschlagen, das Projekt auch europaweit einzuführen. Wir können natürlich keinem anderen Land vorschreiben, das zu tun. Das heißt, Sie müssen selber nachsehen, ob es Kafka.de in Deutschland schon gibt.

SPIEGEL ONLINE: Hätte Franz Kafka die Seite gemocht?

Quickenborne: Ich glaube, dass er noch pessimistischer geworden wäre, wenn er die Ergebnisse gesehen hätte. Es wäre also schlecht für seine Gesundheit gewesen. Vielleicht bringt die Seite Kafka aber auch ins Alltagsleben der Menschen und vielleicht fragen sich ja einige, wer Kafka ist und was er geschrieben hat.

Das Interview führte Marcus Müller

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