Jugendschutz Raus aus dem Chatten des Bösen

Für Kinder ist das Internet ein alltäglicher Kommunikationsraum - allerdings einer mit Risiken: Es ist auch Schauplatz von Mobbing und Belästigung. Für mehr Sicherheit wollen nun Microsoft, das Jugendschutz.net und die FSM sorgen - mit einem speziellen Messenger für Kinder.
Von Thomas Feibel

Niemand weiß, wie viele Kinder tatsächlich täglich im Internet belästigt, beschimpft, unter Druck gesetzt und gemobbt werden. Ganz egal, ob von Gleichaltrigen oder pädokriminell Veranlagten. Den Betroffenen sitzt der Schreck tief in den Knochen. Häufig wissen sie sich durch rasches Wegklicken zu helfen, doch nur selten bringen sie ihre Erlebnisse offen zur Sprache. Die meisten Eltern haben nicht den leisesten Schimmer, welchen inneren Konflikten Kinder und Jugendliche durch eine Attacke in Chat und Net ausgesetzt sind. Viele wenden sich selbst nach einer massiven sexuellen Belästigung nicht einmal an die Polizei - aus Angst, sich selbst strafbar gemacht zu haben.

Für mehr Sicherheit für Kinder im Internet will nun Microsoft in enger Zusammenarbeit mit Jugendschutz.net und der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia (FSM) mit einem eigenen Kindermessenger sorgen. Als Zielgruppe werden dabei die Acht- bis Zwölfjährigen anvisiert. Der Name, unter dem das neue Plaudertool für Kids pünktlich am 10. Februar zum "Safer Internetday" kostenlos als Download erscheinen soll, wird gegenwärtig noch einer rechtlichen Prüfung unterzogen.

Im gewöhnlichen Chatroom herrscht die hektische Betriebsamkeit eines Ameisenhaufens: Hier schwatzen Kinder, Jugendliche und Erwachsene anonym und verbergen ihre wahre Identität hinter schrägen Spitznamen. Der Chat per Instant Messenger läuft wesentlich zivilisierter ab. Bei ICQ, Skype oder Windows Live Messenger tauschen sich die Teilnehmer ungestört mit einer einzelnen Person aus, können aber auch Dritte zu Gesprächen einladen.

"Instant Messenger haben den Webchats inzwischen den Rang abgelaufen und werden vielfach auch als Ersatz für E-Mails genutzt", weiß Katja Knierim, Projektleiterin Chats und Communities von Jugendschutz.net. "Besonders für Jugendliche und immer mehr Kinder stellen sie ein selbstverständliches Kommunikationsmittel dar."

Dass dem weiblichen Geschlecht zwischen 12 und 17 Jahren der Bedarf nach Kommunikation wichtiger scheint, als der nach Information, beweist die JIM-Studie  2008 des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest höchst eindrucksvoll. Denn ihre täglichen oder wöchentlichen Messenger-Aktivitäten landen noch vor der Nutzung von Suchmaschinen auf Platz 1. Aber auch die Jüngeren holen auf. Mindestens 19 Prozent der Kinder zwischen 6 und 13 Jahren, so die ebenfalls am 10. Februar erscheinende KIM-Studie  2008, befassen sich längst mindestens einmal in der Woche mit Messengerdiensten. Tendenz sachte steigend.

Raum ohne Aufsicht

Im Gegensatz zu manchem ausgewählten Chatroom bleiben Messengerangebote grundsätzlich unmoderiert. Das bedeutet, kein Erwachsener liest mit oder passt auf, wenn Grenzen überschritten werden. Die Gefahren sind vielseitig und teilweise auch folgenschwer. "Instant Messenger werden beispielsweise dazu genutzt, Kinder und Jugendliche sexuell zu belästigen, zu beleidigen, zu bedrohen oder zu diffamieren", erklärt Katja Knierim. "Über Messenger können verletzende Fotos und Videos verschickt oder diskriminierende Webcam-Aufzeichnungen übertragen werden – häufig handelt es sich dabei um pornografische Darstellungen. Pädokriminelle Täter nutzen Messenger aber auch, um sexuellen Missbrauch anzubahnen. Sie durchsuchen dazu die Profile von Messenger-Nutzern gezielt nach minderjährigen Opfern."

Täglich wühlen sich zwei Mitarbeiter von Jugendschutz.net durch Chats, Messenger und Communities, hinterlassen freigiebig wie Kinder Adresse und Kontaktangaben. Die Ergebnisse fallen überwiegend problematisch aus. Nun verspricht der neue Dienst mehr Schutz.

"Der Kindermessenger ist ein Angebot, das Eltern hilft, ihren Kindern einen sicheren Zugang zu einer Kommunikationsform zu ermöglichen", erklärt Frank Maenz von Microsoft, Produktmanager Windows Live/ Messenger. "Da diese Nutzergruppe unter zwölf Jahren zum Großteil noch nicht über die notwendige Medienkompetenz verfügt, macht es Sinn, ein gesondertes Produkt anzubieten, das an die Bedürfnisse der Kinder dieser Altersgruppe angepasst ist. Ganz grundsätzlich geht es darum, kein überfrachtetes Tool anzubieten, das in erster Linie eine Kontrolle der Kontaktliste gewährleistet."

Jugendschutz ist für Microsoft kein neues Thema. So gibt es bei der Konsole Xbox 360 Einstellungen, damit zum Beispiel Zwölfjährige keine Games spielen können, die erst ab 16 oder 18 Jahren freigegeben sind. Und auch die Jugendschutzfunktion von Vista ist durchaus sinnvoll.

Während Microsoft beim Kindermessenger für die technische Seite verantwortlich zeichnet, kümmerten sich Jugendschutz.net und FSM um inhaltliche Belange. Vor allem Eltern werden fortan stärker in die Pflicht genommen. Sie sollen die Kontakte ihrer Kinder verwalten, um das Chatten mit Unbekannten zu vermeiden. Das Versenden von Dateien wird ebenso unterbunden wie die Nutzung einer Webcam. Persönliche Daten der Kinder werden weder abgefragt, noch veröffentlicht.

Wichtigster Punkt aber ist die "Hilfe zur Selbsthilfe". Viele Mädchen und Jungen trauen sich oft nicht, ein Gespräch abzubrechen, wenn es rauer zugeht. Eine kinderleichte Ignorierfunktion blendet nun den Störenfried einfach aus. Das nützlichste Tool jedoch wird ein auf jeder Seite präsenter Notruf-Button sein. Ein Klick darauf, und der ganze, problematische Dialog wird per Mail an die Eltern geschickt. Sind die Schwierigkeiten dann doch größerer Natur, soll die Johanniter Unfallhilfe  e.V. eine rund um die Uhr besetzte "Seelsorge" übernehmen.

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