Kampf der Sommerzeit "Werden Sie endlich vernünftig!"
"Summertime", singt Porgy für seine Bess in George Gershwins gleichnamigem Bühnenstück, "and the living is easy". Von wegen, keine Ahnung hatte der Mann. Am Sonntag werden die Uhren wieder auf Sommerzeit umgestellt. Der letzte, verzweifelte Widerstand läuft derweil auf Hochtouren.
"Gehören Sie auch zu den Leuten, welche in einer Hälfte des Jahres die Uhr um eine Stunde vorstellen, einfach, weil es alle tun? Gehören sie auch zu denen, welche sich keinerlei Gedanken um den Sinn dieser Aktion machen? Freuen Sie sich gar, dass es 'eine Stunde länger hell ist'? Werden Sie endlich vernünftig!"
Hand aufs Herz: Wenn man diese Zeilen von der Webseite "Sommerzeit - behördlich verordneter Unfug!" so liest, kommt einem die ganze Sache schon ein wenig albern vor. Zweimal im Jahr stellen wir brav unsere Uhren um. Im Englischen spricht man da von "Daylight Saving Time", was den Zweck der seltsamen Aktion schön beschreibt: Es geht darum, ein Optimum an nutzbarer Tageszeit zu gewinnen. Populär wurde dieser bereits 1916 in Irland erfundene Trick Ende der Siebziger, als den Industrienationen der Ölhahn abgedreht wurde. Mit Sommerzeit hoffte man, Energie zu sparen.
Das aber, sagen die Gegner der Sommerzeit, sei alles völliger Humbug. Während die Verfechter der Zeitumstellung argumentieren, die Anpassung an den Lichtzyklus sei durchaus natürlich und bekomme dem Menschen darum gut, erhöhe dazu auch die Produktivität und sei darum volkswirtschaftlich wünschenswert, behaupten die Gegner keck das Gegenteil. Viel zu lang dauere die Umstellung des biologischen Rhythmus, um gesund zu sein. Und ja, nie sei die Zahl der Unfälle so groß wie in den Tagen nach der Zeitumstellung, wenn Mensch desorientiert um seinen Rythmus ringe.
Kein Wunder also, dass es Ute Schwarz, eine Mutter aus dem Allgäu, unter den Sommerzeit-Gegnern zu Ruhm und Ehre gebracht hat: Anfang der Neunziger bot sie der angeblich unsinnigen Zeitverdreherei die Stirn und fuhr fort, ihre Kinder jeden Morgen zur "tatsächlichen Zeit" in die Schule zu schicken.
Was das in Bezug auf Noten und Zeugnisse für Auswirkungen hatte, ist nicht überliefert, wohl aber, dass Ute Schwarz' leuchtendes Beispiel eine ganze Bewegung in Deutschland initiierte: "Dieser Fall von Zivilcourage sorgte für großes Aufsehen und es fanden sich Hunderte von Sommerzeitgegnern zusammen, um die 'Initiative Zeitspanne' zu gründen." Die Nase vorn hatten indes die Schweizer, die bereits Anfang der achtziger Jahre zahlreich gegen die Zeitumstellerei protestierten.
So kann man das im historischen Teil der heute führenden Sommerzeit-Gegner-Initiative "Initiative Sonnenzeit" nachlesen. Eine Webseite, mit der man schon ein wenig Zeit verbringen kann. Pädagogisch bis agitatorisch sinnvoll steigt die Seite ins Thema ein: "Sommerzeit - als Wohltat maskiertes Übel".
Dort erfährt man endlich Dinge, die man garantiert nirgendwo anders erfahren kann. Zu den geheimen Motiven hinter der Einführung der Sommerzeit schreibt die Initiative:
"Ich behaupte, das starke Machtgefälle, was bei der Zeitumstellung aufgebaut wird, ist der Auslöser, der offensichtlich Kindheitserinnerungen reaktiviert. Die Regierung dient im Falle der Sommerzeit als Projektionsfläche für die Vorstellung aus der Kindheit von einem allmächtigen Erwachsenen, der nicht ansprechbar, nicht beeinflußbar ist und der, auch wenn er Dummes oder Schlechtes tut, immer Recht hat, so eine Art Übermensch."
Da haben wir es wieder: Da die Sommerzeit ja mehr oder minder rund um den Globus gilt (mit einigen Ausnahmen von "Verweigerer-Staaten" wie Japan), müssen wir hier ja wohl von einer internationalen Verschwörung der Mächtigen ausgehen. Die Zeitumstellerei diente demnach ja wohl dem Machterhalt, indem sie uns zweimal im Jahr quasi hirnwaschend in ein Kind-Eltern-Verhältnis zu - beispielsweise - Gerhard Schröder setzt.
Da wird es interessant: Sollte diese These stimmen, sollte sich das ja anhand eines Beliebtheits-Anstieges von Papa, pardon: Kanzler Schröder im nächsten Politbarometer ablesen lassen. Wir wissen dann auch, woran das gelegen hat.
Doch die Sommerzeit, argumentieren die Gegner-Initiativen, muss man nicht einfach hinnehmen. Dabei geht es gar nicht darum, Haare zu spalten oder sonstwie kleinpusselig zu sein. Das Maß der Toleranz zeigt allein schon die Tatsache, dass auch Sommerzeit-Gegner zahlreiche Ungereimtheiten des Zeitsystems einfach hinnehmen:
"Ein beträchtlicher Teil der Deutschen wohnt jedenfalls nahe der Mitte zwischen dem sogenannten Null-Meridian, dem 0. Längengrad also, und dem 15. Längengrad Ost. Für diese bedeutet das bereits eine halbe Stunde Verschiebung der Ortszeit gegenüber der MEZ. Im Klartext: wenn sie z.B. in Hagen in Westfalen wohnen, und ihre Uhr zeigt MEZ 6:00 Uhr, dann ist es nach Ortszeit erst 5:30 Uhr. Wie gesagt, dies akzeptieren wir, wir wollen schließlich nicht unsere Uhren ständig anpassen müssen, wenn wir nur von Bochum nach Dortmund reisen wollen."
Das ist ja auch sehr vernünftig und erleichtert beispielsweise das Schreiben von Straßenbahn-Fahrplänen sehr. Sonst könnte man ja bei einer Fahrt von Dortmund nach Bochum eher ankommen, als man abgefahren wäre. Was jeden Einwand, die Sommerzeit-Gegner seien in irgendeiner Form unvernünftig, ja wohl im Keim ersticken sollte.
Schließlich gibt es auch noch etliche harte, sachliche Argumente gegen die Sommerzeit!
Da sind zum Beispiel die Kühe. Die geben - und dem widerspricht auch niemand - in den ersten Wochen nach den Zeitumstellungen deutlich weniger Milch. Die Landwirtschaft wird so zum Leidtragenen des behördlich verordneten "Zeitwahnsinns".
Vor Jahrzehnten in der Sowjetunion von staatlicher Seite in Umlauf gesetzte Gerüchte, die Zeitumstellung mindere die Fruchtbarkeit des durchschnittlichen russischen Mannes, mache mithin impotent, können dagegen nicht bestätigt werden. Was Mediziner allerdings bestätigen können, sind eine ganze Reihe temporär auftretender Symptome:
- Schlafstörungen
- Müdigkeit
- depressive Verstimmungen
- Schwankungen der Herzfrequenz
- Konzentrationsschwäche
- Gereiztheit
- Appetitlosigkeit
- Verdauungsprobleme
Das Ganze ergäbe sich aus einer Art "Mini-Jetlag" bis zur Adjustierung des Schlaf-Wach-Rhythmus.
Kein Wunder also, dass die Zahl der Initiativen gegen die Zeitumstellung wieder wächst. Gelegentliche Probleme in den Diskussionsforen, unbedarften Besuchern verständlich zu machen, dass es dabei nicht um Satireseiten gehe, können die Macher nicht entmutigen. Die zählen allesamt auf symbolträchtige Signale an die Umwelt, um ihren Widerstand im Gespräch zu halten: "Erklären sie jedem, egal ob er es wissen will oder nicht, was es mit dieser sogenannten "Sommerzeit" auf sich hat. Stellen sie ihre Uhren nicht um. Lassen sie es nicht auf sich sitzen, wenn jemand behauptet, ihre Uhr gehe eine Stunde nach. Weisen sie ihn darauf hin, dass vielmehr seine Uhr eine Stunde vorgehe."
Ja, das dürfte dafür sorgen, dass man neue Freunde findet, zumindest aber dafür, dass man auch von flüchtigen Gesprächspartnern so schnell nicht vergessen wird.
Keine Frage, dass man auch eine zweite Armbanduhr mit der korrekten Zeit am Handgelenk tragen sollte, wenn man berufsbedingt Zugeständnisse an die Zeitversteller machen muss. Und ja: Sollten auch sie ihrem wachsenden Widerstand Ausdruck verleihen wollen, schließen sie sich doch einer Petition an! Bei der "Initiative zur Abschaffung der Sommerzeit" läuft gerade eine, die ans Europaparlament gehen soll, sobald sie voll ist. Fünfzehn Widerständler haben schon unterzeichnet.