Digitale Gegensätze Die wahre Debatte über das Web

Streithähne (Symbolbild): Wer wird denn gleich in die Cloud gehen?
Foto: CorbisViele Leute glauben, dass die Kunst der ergebnislosen Diskussion eine weitverbreitete ist. Viele Leute haben recht. Ganz vorn mit dabei ist die Debatte über das Internet, deren Fronten sich in den vergangenen Jahren mit der Geschmeidigkeit und Agilität eines Gebirges bewegt haben. Deshalb verbringt jeder erwachsene Europäer gefühlt im Schnitt rund 21 Tage pro Jahr damit, seinen Mitmenschen zu erklären, weshalb das Internet zweifelsfrei alles besser macht. Oder unbestreitbar alles schlechter.
Optimisten und Skeptiker versuchen, einander mit blumigen Metaphern und ausgedachten Anekdoten davon zu überzeugen, dass das Urheberrecht die Hochkultur blühen oder verdorren lässt. Dass Online-Kontakte in die Isolation führen oder in eine schönere, sozialere Welt. Und dass die Masse der digitalen Daten entweder ein güldenes Weltarchiv oder eine zerstörerische Sintflut darstellt.
Leider ist diese Beschreibung nur minimal übertrieben, wie sich kürzlich etwa an der Debatte zu einem ausgedachten Phänomen namens "Digitale Demenz " erkennen ließ. Wir haben hier einmal zusammengetragen, wie man am besten scheitert mit der Diskussion um das Internet. Wie so oft ist der Schlüssel dazu, etwas völlig anderes zu sagen, als man eigentlich meint. Deshalb folgen hier die beliebtesten Sätze auf beiden Seiten der Netzdebatten und ihre eigentliche Bedeutung.
Die Optimisten
Was Internetoptimisten sagen: "Es ist doch offensichtlich, dass alles besser geworden ist, seit es das Internet gibt."
Was sie meinen: "Für mich ist alles besser geworden, seit es das Internet gibt. Das könnte allerdings auch daran liegen, dass ich in dieser Zeit ein paar Jahre älter geworden bin. Oder an etwas ganz anderem."
Was Internetoptimisten sagen: "Ihr Internetausdrucker kapiert es einfach nicht."
Was sie meinen: "Man kann unmöglich gut informiert sein und meine Meinung trotzdem nicht teilen. Schließlich sind ja auch auf den anderen Wissensgebieten alle klugen Menschen immer einer Meinung."
Was Internetoptimisten sagen: "Das Netz gibt endlich auch Minderheiten eine Stimme und wirkt daher automatisch demokratisierend."
Was sie meinen: "Nämlich vor allem der gefühlten Minderheit, der ich angehöre. Und wer sich im Netz nicht so richtig vertreten sieht, soll halt Kuchen essen."
Was Internetoptimisten sagen: "Man muss Facebook / Google ja nicht nutzen."
Was sie meinen: "Man muss auch keine Miete zahlen und sich nie waschen. Das mag gewisse Nachteile mit sich bringen, aber hey, die Möglichkeit steht unbestreitbar jedem offen."
Was Internetoptimisten sagen: "Das ist alles nur eine Frage der Gewöhnung, man muss sich halt umstellen, lebenslanges Lernen, ihr wisst schon."
Was sie meinen: "Ich musste mich eigentlich gar nicht umstellen, denn ich kenne die Welt gar nicht anders. Aber später werde ich mich bestimmt mein Leben lang hochmotiviert auf neue Gegebenheiten einstellen. Außerdem bin ich fest davon überzeugt, dass das Internet sowieso die letzte große Neuerung war und danach nichts Wesentliches mehr kommen kann, was denn auch?"
Was Internetoptimisten sagen: "Der Gesetzgeber ist zu langsam und zu ahnungslos, der soll sich aus Internetangelegenheiten raushalten. Der Markt wird es schon richten".
Was sie meinen: "Im Wirtschafts- und im Sozialkundeunterricht war ich sehr damit beschäftigt, herauszufinden, in welchen Kästchen sich die U-Boote meines Nachbarn verstecken."
Was Internetoptimisten sagen: "Schwarmintelligenz! Wikipedia! Empfehlungen auf Amazon!"
Was sie meinen: "Ich kenne eigentlich auch nur diese zwei Beispiele, wo es was gebracht hat."
Was Internetoptimisten sagen: "Das Netz erfordert völlig neue Lösungen für die Urheberrechtsproblematik."
Was sie meinen: "Bevor ich abgemahnt werde."
Die Skeptiker
Was Internetskeptiker sagen: "Es ist doch offensichtlich, dass alles schlechter geworden ist, seit es das Internet gibt."
Was sie meinen: "Für mich ist alles schlechter geworden, seit es das Internet gibt. Das könnte allerdings auch daran liegen, dass ich in dieser Zeit ein paar Jahre älter geworden bin. Oder an etwas ganz anderem."
Was Internetskeptiker sagen: "Eine Welt ohne Bücher / ohne Buchhandlungen / ohne gedruckte Zeitungen / ohne Universitäten kann ich mir nicht vorstellen."
Was sie meinen: "Eine Welt ohne Bücher / ohne Buchhandlungen / ohne gedruckte Zeitungen / ohne Universitäten kann ich mir nicht vorstellen."
Was Internetskeptiker sagen: "Wenn ein Dienst kostenfrei ist, dann bist du als Nutzer kein Kunde, sondern das Produkt."
Was sie meinen: "Das gilt natürlich nur für ganz neu erfundene Dienste. Die überwiegend anzeigenfinanzierten Zeitungen und Zeitschriften, die ich lese, machen mich nicht zum Produkt, sondern zum mündigen Bürger."
Was Internetskeptiker sagen: "Das Ende der Privatsphäre ist nah!"
Was sie meinen: "Das Ende meines Verständnisses von Privatsphäre ist nah!"
W as Internetskeptiker sagen: "Das ist doch ein alter Hut, das gab es erstens früher auch schon, und zweitens hat es schon damals nicht funktioniert."
Was sie meinen: "Ihr glaubt, ihr hättet das alles gerade erst erfunden, aber in Wirklichkeit haben wir es uns ausgedacht, wir, die 68er!"
Was Internetskeptiker sagen: "Und wenn der Personalchef bei Facebook die Sauffotos des Bewerbers sieht?"
Was sie meinen: "Personalchefs leben in einer Parallelwelt von 1957 und erschrecken sich, wenn sie mit der Realität konfrontiert werden. Deshalb hat man eigens für sie auch Xing entwickelt."
Was Internetskeptiker sagen: "Ohne ein eisenhartes Urheberrecht samt gnadenloser Durchsetzung stirbt die Kultur!"
Was sie meinen: "Die Künstler verdienen doch jetzt schon nichts und selbst einige Verwerter haben Probleme, die Leasingraten für ihre Zweitwagen zu bezahlen. Da muss doch jemand schuld dran sein! Das muss sich doch ändern lassen!"
Was Internetskeptiker sagen: "Schwarmintelligenz, wenn ich das schon höre."
Was sie meinen: "James, packen Sie geschwind unsere Koffer. Draußen tobt der Pöbel, wir sollten uns stante pede in die Sommerresidenz zurückziehen."
Die hier aufgezählten schlechten Argumente stammen überwiegend aus dem Buch "Internet - Segen oder Fluch" von Kathrin Passig und Sascha Lobo, erschienen bei Rowohlt, Berlin.