Sascha Lobo

S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine Warum es sich zu kämpfen lohnt

Sich an die allgegenwärtige Geheimdienstüberwachung einfach zu gewöhnen, ist nicht zielführend. Auch, wenn man im Moment den Eindruck haben könnte, Widerstand bringe ohnehin nichts: Es lohnt sich zu kämpfen. Sonst wird das Monströse zur Normalität.

An Unerschöpflichkeit des allanwendbaren Zitateschatzes wird Jean-Paul Sartre eigentlich nur noch von Nietzsche übertroffen, mit dem man "alles und auch das Gegenteil davon"  belegen kann. Das drittbeste Sartre-Zitat ist natürlich: "Man hat alles herausgefunden. Außer wie man lebt."  Mit leicht zusammengekniffenen Augen übersetzt ins digitale Zeitalter: In dem Moment, wo das Netz Teil des Lebens wurde, sind die vorhergehenden, rein technischen Erkenntnisse über das Internet zweitrangig geworden. Nicht das Netz hat die Welt erobert, sondern die Welt das Netz, wie spätestens seit dem 5. Juni 2013 offenbar wurde. Für Leute, die mit dem Internet besser zurechtkamen als mit der Restwelt, ist das eine einigermaßen erschütternde Erkenntnis. Alle anderen bemerken es kaum.

Wie lebt man mit der totalen Überwachung? Man darf nicht in die Falle tappen, diese falsche Frage zu stellen, so nahe sie liegen mag, denn darin ist bereits enthalten, sich mit dem fortwährenden Grundrechtsbruch zu arrangieren. Die richtige Frage muss lauten: Warum lohnt es sich gegen die Allüberwachung zu kämpfen?

"Wo sich alles in Gefährdungen verwandelt, ist irgendwie auch nichts mehr gefährlich", lautet einer der vielzitierten Schlüsselsätze aus dem Werk "Risikogesellschaft". Mitte der achtziger Jahre versuchte der Soziologe Ulrich Beck damit die Wirkung von Hochtechnologie auf die Gesellschaft zu erklären. Seltener zitiert wird der darauffolgende Satz: "Wo es kein Entkommen gibt, mag man schließlich auch nicht mehr daran denken." Spätestens seit Pompeji weiß man, dass Menschen entspannt unter einem drohend rauchenden Vulkan leben können. Bis es zu spät ist. Das wiederum zeigt: der legitime Wunsch der Vielen, gefälligst nicht genervt zu werden, kann zu einer trügerischen, sogar gefährlichen Ruhe führen.

Zuallererst würde es sich lohnen gegen die Spähradikalen zu kämpfen, weil Aberhunderte Unschuldige mit Hilfe des Überwachungsmissbrauchs getötet wurden. Drohneneinsätze basieren auf eben den Daten, die automatisiert aus den Netzen gesogen werden. Aber erfahrungsgemäß ziehen durchschnittlich zynische Zufriedenheitsbürger konzentrische Kreise der emotionalen Beteiligung um sich herum. Für den politischen Streit über die verkehrsberuhigte Zone vor der Haustür finden sich einfacher Leute als für den Kampf für jemenitische Zufallsdrohnenopfer. Vermutlich geht es nicht anders in einer Welt, in der man mit dem Betrag des Preisunterschieds zwischen einem Frappucchino Grande und einem Kaffee mit Milch ein halbes Dutzend Menschenleben retten könnte. Theoretisch. Und man sich trotzdem das Recht herausnimmt, jeden Tag einen Frappucchino zu trinken, laktosefrei (plus drei Menschenleben) mit Extra Himbeersirup (plus zwei Menschenleben) im Thermobecher (plus sechs Menschenleben). Moral-Overload, traurig, aber nachvollziehbar.

Jedes lautstarke "Nein!" hilft

Warum also kämpfen, wenn nach derzeitigem Kenntnisstand ein Drohnentod in Deutschland am ehesten dadurch zustande kommt, dass man beim Downhillbiken männliche Bienen einatmet und dadurch erstickt oder vom Weg abkommt und in den Abgrund biket? Das famose Trollzitat des Präzisionstrolls Sartre vermag auch hier den Weg aufzuzeigen: Das Leben muss immer wieder neu erkämpft werden, es gibt keine Universallösung, erst recht nicht, wenn eine Technologie am Horizont erscheint, die vieles oder alles verändert.

Die Gesellschaft ist, zentrale Erkenntnis durch Snowden, zur Überwachungsgesellschaft geworden, in der nicht nur Verdächtige, sondern alle überwacht werden. Und das ist eine gigantische Belastung für die Zukunft. Was immer die Wirkung davon sein wird - es wird zum Nachteil der Zivilbevölkerung sein.

Man kann von einer Überwachungshypothek sprechen: Alles, was den Radikalüberwachern jetzt kampflos überlassen wird, wird sich zinshaft multiplizieren. Die Technologien der Zukunft machen die Überwachung von allein fataler, wenn sich an den Prinzipien und Machenschaften substantiell nichts ändert. Alles wird verdatet, was verdatet werden kann. Vernetzte Geräte werden mehr Lebensbereiche stärker durchdringen. Und dann sind die Daten da und werden missbraucht.

Aus Perspektive eines wachstums- und damit innovationsverpflichteten Fortschrittskapitalismus stellt sich bei neuen Entwicklungen nie die Frage: Warum? Sondern immer nur die Frage: Warum denn nicht? Und oft gibt es genügend Leute, die sie begeistert mit "hurra" beantworten oder gar nicht und es einfach geschehen lassen. Natürlich wird das durchgesmartete Home kommen, das vollvernetzte, hypermobile Alles. Und es wird toll, auf eine Art, so wie es auch toll ist, dass man mit jeder netzfähigen Zahnbürste seine Mails abrufen oder Spotify-Musik hören kann.

Aber genau jetzt, in der historisch betrachtet sehr kurzen Zeit nach Snowden, entscheidet sich, ob die vollüberwachte Gesellschaft zur allgemein akzeptierten Normalität wird oder nicht. Deshalb lohnt es jetzt zu kämpfen. Und es gibt eine Wirkung, wie klein sie auch sein mag. Die Öffentlichkeit neigt dazu, die eigene Macht kurzfristig zu überschätzen, langfristig aber zu unterschätzen. Diese Macht entfaltet sich in einer Demokratie nicht bloß durch Wahlen. Sondern insbesondere auch dadurch, was öffentlich als akzeptiert gilt, weil es akzeptiert wird. Jedes lautstarke "Nein!" hilft (wenn man es nicht mit bescheuerten, menschenfeindlichen Begründungen ins Gegenteil verkehrt ). Egal, wie gezielt man das Spähproblem jetzt ignoriert: Die Überwachungshypothek wird man am Ende mit Freiheit bezahlen. Auftritt Sartre mit seinem zweitbesten Zitat: "Unsere Freiheit ist heute lediglich der freie Entschluss, die Freiheit zu erkämpfen."

tl;dr

Es lohnt sich, jetzt zu kämpfen, damit die Überwachungsgesellschaft nicht zur akzeptierten Normalität wird.

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