Konsolenspiele und Co Zu viel Daddeln macht doof
Unter uns, Verbotene Liebe (Folge 1779), Die dümmsten Autofahrer der Welt, Exklusiv, Marienhof (Folge 1949), Reporter - der Blick ins aktuelle Fernsehprogramm beweist täglich, dass Muttis Warnung damals wirklich ins Schwarze traf: Zuviel Fernsehen macht definitiv dumm.
Dabei lässt diese Liste des hirnlosen Grauens noch nicht einmal die Strahlemänner und -frauen ahnen, die sich - als Schauspieler oder Moderatoren getarnt - hinter so manchem "Format" verbergen und von denen wir normalerweise und aus gutem Grund noch nicht einmal ein Auto kaufen würden. Das ist das Blöd-Medium, der Berieselungs-Monitor - im Gegensatz zur "aktiven" Schnittstelle Computer, bei der man wachen Geistes stets bei der Sache sein muss.
Kein Zweifel: Wer den geballten TV-Day mit all diesen coolen In-Peoples hinter sich gebracht hat, hey, der ist voll sicher, das Arte mit seiner aktuellen Besserwisser-Doku (Hä? Wer guckt das?) voll auf'm Holzweg ist, ey: "Wie aus Affen Menschen wurden".
Wie aus Menschen Affen werden, meinen japanische Forscher, könnte man Langzeitstudien über die psychologischen und physiologischen Effekte von Videospielen überschreiben. Das dürfte gerade Gamer schocken, die die aktive Auseinandersetzung mit Inhalten am Computer- oder Konsolenbildschirm immer für die deutlich weniger dämliche Beschäftigung vor einer "Mattscheibe" hielten.
Doch die japanischen Forscher kommen mit Argumenten, denen schwerer zu widersprechen ist als bloßen Gutachten: Sie kommen mit Messergebnissen.
Akio Mori von der Nihon University testete die Hirnaktivitäten von 240 Spielern zwischen 6 und 29 Jahren vor, während und nach der Beschäftigung mit Videospielen. Die von ihm nun in Studienform zunächst auszugsweise vorgelegten Ergebnisse goss die Zeitung "Mainichi Shimbun" in folgende knackige Schlagzeile:
"Studie: Videogames setzen die Hirnaktivität herab"
Denn genau das zeigen Moris Studien: Wer konzentriert spielt, fällt in einen tranceähnlichen Zustand, der sich durch einen deutlichen Abfall der sogenannten Beta-Wellen auszeichnet. Die produziert das Vorderhirn im wachen, aktiven Zustand - eine Hirnregion, die mit Gefühl und Kreativität assoziiert wird. Die Denkapparate von Daddlern, sagt Mori, sind weniger wach und aktiv als die von Gelegenheitsspielern oder Spiel-Abstinenten.
Und das nicht nur während des Spiels. Erschreckend sind Moris Befunde vor allen in ihren Details: Demnach sind die Gehirne gewohnheitsmäßiger Daddler bereits vor dem Spiel weniger aktiv, und erholen sich auch nach der Spielphase so gut wie gar nicht. Auf der psychologischen Ebene beschreibt die Mori-Studie solche Spieler (zwei bis sieben Spielstunden am Tag) als konzentrationsschwächer, leichter erregbar und sozial inkompatibler als Menschen aus Vergleichsgruppen.
Ob dies das Ergebnis eines Prozesses ist, versucht Mori durch den Vergleich mit Gelegenheits- und Nicht-Spielern herauszufinden: Tatsächlich zeigen seine Befunde, dass die Hirne von Nicht-Spielern auch während des Spiels kaum zu erschüttern sind. Bei Gelegenheitsspielern nähmen die Hirnaktivitäten während des Spiels deutlich ab, erholten sich aber nachher wieder.
Die Untersuchungen zeigten klar, sagt Mori, dass während des Spieles fast nur noch die Hirnregionen, die Bewegung und visuelle Wahrnehmung koordinierten, gebraucht würden. Denkprozesse hingegen fielen auf ein Minimum: Der Mensch wird zum Raubtier, zur funktionierenden Reaktionsmaschine.
Für fatal hält Mori die Befunde vor allem in Bezug auf Kinder: Während des Videospielens würde das Vorderhirn offenbar so gut wie gar nicht genutzt. Regelmäßiges Spielen führe hier selbst bei Erwachsenen zum Verkümmern, zumindest aber zur Nicht-Nutzung einer ganzen Hirnregion: Kinder könnten hier direkten Schaden nehmen und emotionale wie kognitive Fähigkeiten gar nicht erst ausprägen. Kurz und knapp gesagt: Sie könnten vor dem Schirm verblöden.
Gaming kann epileptische Anfälle auslösen, und auch Gamer kennen die Negativ-Effekte der Spiele-"Überdosis": Gleichgewichtsprobleme, Übelkeit, Kopfschmerzen. Doch die Schäden könnten weit größer sein, sagt Mori: chronische Schädigungen des Hirns bei Kindern, gefährliche Charakterveränderungen auch bei Heranwachsenden. Weiter
Tatsache: Games führen zu physischen Beschwerden
Das sind Aussagen, die in der Gamer-Gemeinde auf heftigen Protest stoßen dürften. Nicht von der Hand zu weisen ist jedoch, dass seit langem bekannt ist, wie groß die oftmals schädigenden Einflüsse des konzentrierten Spielens sind. Moris Befunde, nachdem vor allem sehr actionreiche Spiele sehr schädigend wirken, dürften sich hier mit den Alltagserfahrungen vieler Spieler decken: Die kennen die "3D-Sickness", die manchmal über Wochen verhindert, dass man Actionspiele spielen kann und sich durch Kopfschmerzen und massive Gleichgewichtsprobleme äußert.
Als positiv empfinden Gamer hingegen, wenn sie im Fluss eines Spieles derart absorbiert werden, dass sie Raum- und Zeitgefühl verlieren. Das Spiel ist Mittelpunkt aller Wahrnehmung, verlangt absolute Konzentration und schnellste Reaktionen - und Mori und Kollegen messen derweil ein Abfallen der Denktätigkeit.
Die bei weitem meisten Spiele werden in Deutschland heute mit einer Epilepsiewarnung verkauft: Seit Jahren ist bekannt, dass Spiele hier anfallsauslösend wirken können.
Und anscheinend auch mehr: Die tendenziell immer länger werdenen Warnungen deuten in ihrem Wortlaut darauf hin, dass die Spieleunternehmen selbst damit rechnen, dass ihre Produkte auch als Erstauslöser für die Krankheit wirken könnten. So finden sich im Handbuch einer ab 12 Jahren freigegeben Rollenspiel-Software folgende Sätze:
- "Eltern sollten ihre Kinder bei der Benutzung von Computer-und Videospielen beaufsichtigen. Sollten bei einem Erwachsenen oder einem Kind während der Benutzung eines Computer- bzw. Videospiels Symptome wie Schwindelgefühl, Sehstörungen, Augen- oder Muskelzucken, Bewusstseinsverlust, Desorientiertheit oder jegliche Form von unfreiwilligen Bewegungen bzw. Krämpfen auftreten, so sollte das Spiel sofort beendet und ein Arzt konsultiert werden."
Das klingt, mit Verlaub, nach einem guten Plan: Vor dem Vollkollaps bitte Arzt konsultieren. Brauchen PC- und Konsolenspiele Aufdrucke wie die auf Zigarettenpäckchen?
Macht Doom dumm - oder brutalisiert es "nur"?
Natürlich sind das Extreme, natürlich kommen Menschen bei allen möglichen Beschäftigungen zu Schaden, die sie nur aus Jux und Dollerei betreiben. Fußballer, bewies kürzlich eine Studie, haben nicht etwa krumme Beine, sondern sie entwickeln sie, weil sie Fußball spielen. Aber krumme Beine sieht man erstens, und zweitens schaden sie allenfalls der Ästethik und dem Meniskus, nie aber anderen: Ob man das auch von den Einflüssen sagen kann, die Ego-Shooter auf den Kopf der Spieler haben sollen, wird von immer mehr Menschen bezweifelt.
Denen liefert die Mori-Studie frische Argumente. Denn bedenklich, heißt es dort, sei besonders, dass die durch regelmäßiges Spielen verursachten Veränderungen der Hirntätigkeit - einhergehend mit einer Neigung zu erhöhter Aggressivität, Fahrigkeit und einem Abfallen der sozialen Bindungsfähigkeit - bei Gewohnheitsspielern offenbar zum chronischen Syndrom würden.
Das im Verbund mit den Inhalten vieler der populärsten Spiele, müsse Sorgen machen, meint Mori: Viele Videospiele rührten an Gefühle wie Stress und Angst. Da stehe zu befürchten, dass auch dies charakterverändernd wirken könne.
Die Mori-Studie wird erst im Herbst im Rahmen des Jahrestreffens der amerikanischen Society for Neuroscience veröffentlicht und diskutiert werden. Mori selbst hat seine Schlüsse aus den Ergebnissen längst gezogen, zumindest, was Kinder angeht: "In der Kindheit", sagt Mori, "ist draußen mit Freunden zu spielen die beste Option, und nicht mit Videospielen".
Frank Patalong