Kryptographie Angst, Unsicherheit, Zweifel
Die Ministerien für Wirtschaft, Justiz und Forschung einerseits, das Innenministerium andererseits vertreten jedoch weiterhin völlig entgegengesetzte Auffassungen zu der entscheidenden Frage in der Krypto-Debatte: Soll starke Kryptographie weiterhin ohne Einschränkung in Deutschland erhältlich sein?Die jüngste Aufregung um den Verschlüsselungschip Pluto, mit dem die Bundesregierung Verschlußsachen sicher digital übermitteln will, mag anfangs mit irreführenden Meldungen geschürt worden sein. Doch daß sie solches Aufsehen erregen konnten, hatte einen Grund: die Kryptographie , eine Schlüsseltechnologie der digitalen Revolution, ist nicht nur zwischen Regierung und Opposition, sondern auch innerhalb der Regierungsparteien schwer umstritten. Bei der Tagung "Kryptoregulierung als Standortfaktor für Deutschland" der FDP-nahen Theodor-Heuss-Akademie wurden die Konfliktlinien zwischen den Ministerien ebenso sichtbar wie die Strategien, unter denen die beiden Seiten in der Auseinandersetzung um Zustimmung werben wollen.Ursache für den Streit ist die Tatsache, daß einerseits Kryptographie die Grundlage für vertrauliche und rechtsverbindliche digitale Kommunikation darstellt, andererseits aber schon handelsübliche Software so gründlich verschlüsselt, daß Sicherheitsbehörden um ihre Fähigkeit bangen, abgehörte Telekommunikation auch verstehen zu können.Im Unterschied etwa zum Lauschangriff, bei dem jeder prinzipiell versteht, worum es geht, zeichnet sich der Streit um die Kryptographie durch die große Bedeutung von technischen Details aus, die nur langsam ins Allgemeinwissen einsickern. In den Bonner Ministerien hat sich deshalb -- wie in den Bundestagsparteien -- unterhalb der Führungsebene eine Expertenstruktur gebildet, innerhalb derer die wesentlichen Entscheidungen in dieser Frage vorbereitet werden.Referenten aller Ministerien, die an den Debatten um die Kryptoregulierung beteiligt sind ( Forschungs- , Wirtschafts- , Justiz- und Innenministerium ), waren auf der Tagung der Theodor-Heuss-Akademie vertreten. "Wir hätten hier ohne Probleme eine Ressortbesprechung abhalten können", meinte Ulrich Sandl, im Wirtschaftsministerium zuständig für die Kryptoregulierung.Erwartungsgemäß war man bemüht, die unstrittigen Punkte hervorzuheben und versäumte auch nicht, den Kabinettsbeschluß zu erwähnen, in dem die Bundesregierung im Oktober vergangenen Jahres eine Entscheidung über die Kryptoregulierung aufgeschoben hatte. In der Initiative "Elektronischer Geschäftsverkehr" heißt es: "Die Bundesregierung hat derzeit nicht die Absicht, das Inverkehrbringen oder die Nutzung von Kryptoprodukten gesetzlich zu regulieren. In Deutschland können daher Verschlüsselungssysteme frei gewählt und verwendet werden."So klar dieser Beschluß klingt, so klar sind sich alle Beteiligten freilich auch über sein Verfallsdatum: "Dieses Moratorium", so Sandl, "wird bis Ende der Legislaturperiode dauern. Nach den Wahlen, egal wie sie ausgehen, sind die Karten neu gemischt. Dann wird das Thema bei den Koalitionsverhandlungen wieder eine Rolle spielen."Durch das vorläufige Patt ist indessen nicht ausgeschlossen, daß das Thema schon im Wahlkampf eine Rolle spielen könnte. Denn die Kryptoregulierung berührt gleichermaßen zwei heilige Kühe der politischen Diskussion in Deutschland: den Standort Deutschland und die Innere Sicherheit.Noch vor nicht allzu langer Zeit wurde von einigen CDU-Innenpolitikern selbst die exzentrische Forderung nach einem generellen Kryptoverbot vorgetragen. Die eindeutige Ablehnung aus der deutschen Wirtschaft, von den Branchenriesen Siemens und Deutsche Telekom über mittelständische Unternehmen aus der Sicherheitsbranche bis zum Bundesverband der Deutschen Banken hat dazu beigetragen, daß diese Maximallösung inzwischen kaum noch vertreten wird.Die vom Innenministerium inzwischen favorisierte Lösung wurde auf der Tagung von dem Referenten Horst Samsel formuliert. Die "gesetzlichen Befugnisse der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden" könnten, so Samsel, durch die "Hinterlegung von Informationen, die geeignet sind, den Klartext wiederherzustellen aufrechterhalten werden" -- zum Beispiel durch das umstrittene Konzept der "Key recovery". Gegen die unter dieser Bezeichnung zusammengefassten Verfahren wird von der überwiegenden Mehrheit der internationalen Experten vorgebracht , sie seien inhärent unsicher, organisatorisch und technisch aufwendig und teuer. Zudem seien sie zahnlos, weil Kryptosoftware, die Key recovery nicht unterstützt, bereits über die ganze Welt verbreitet sei.Auffällig ist jedoch, daß inzwischen alle Seiten die Übereinstimmung ihrer Vorschläge mit den Interessen der Wirtschaft betonen. Auch Samsel hob hervor, daß Kryptographie zum Schutze der Vertraulichkeit unverzichtbar sei. Es gebe erschreckende Schwachstellen in der Informationssicherheit, derer sich viele deutsche Unternehmen gar nicht bewußt seien. Wirksame Verschlüsselung mit starken Verfahren sei nicht zuletzt zur Abwehr von Industriespionage unverzichtbar.Diese veränderte Argumentation der Behörden aus dem Bereich der Inneren Sicherheit ist in den vergangenen Monaten in zahlreichen Varianten sichtbar geworden. Mit ihr versucht man, die bisher gegen Key recovery eingestellte Industrie für das Konzept zu gewinnen. Die Argumentation ist stets verbunden mit dem Hinweis auf drohende Industriespionage, die von eigentlich befreundeten Staaten ausgehe -- das Standardbeispiel ist die Niederlage des deutschen ICE-Konsortiums gegen den französischen TGV bei der Ausschreibung für eine koreanische Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecke. Insbesondere werden die wichtigsten zur Zeit verwendeten Verschlüsselungsalgorithmen (wie etwa DES, IDEA oder RSA), die aus den USA stammen, mehr oder weniger ausgesprochen unter den Verdacht gestellt, Placebos der US-Geheimdienste zu sein. Diese Strategie findet sich etwa in einer von der Zeitschrift "c't" zitierten Stellungnahme des Bundeskriminalamtes , in der empfohlen wird, Mißtrauen gegenüber solchen Verfahren zu schüren, um den deutschen staatlichen Nachschlüssel als lediglich "marginalen Nachteil" verkaufen zu können. Im Februar zitierte die FAZ Kanzleramtsminister Schmidbauer mit dem abenteuerlichen Statement, Geheimdienste seien heute in der Lage, "jeden Kryptographieschlüssel zu knacken". In der Logik dieser Verunsicherungstaktik würde die Einschränkung der Wahlfreiheit, die Key recovery mit sich brächte, gewissermaßen wie eine Sicherheitsmaßnahme im Interesse der deutschen Industrie aussehen.Genau um den Erhalt dieser Freiheit bei der Wahl der verwendeten Kryptoalgorithmen geht es dem Wirtschaftsministerium. Sandl sieht sie allerdings zur Zeit nicht so sehr durch die Debatte in Deutschland bedroht: "Wir müssen aufpassen, daß uns die internationale Entwicklung nicht überholt. Und hier spreche ich ganz speziell von der Key-recovery-Initiative der US-Regierung." In den USA ist der Gebrauch von Kryptographie zur Zeit ebenfalls frei, der Export starker Kryptographie ist jedoch nur unter der Bedingung erlaubt, daß die Software Key recovery unterstützt oder die Unterstützung wenigstens geplant sei. Die US-Regierung versuche, "da sie im Inland nicht erfolgreich war, international ein Rahmenwerk zu schaffen, das ihr inländisches Vorgehen global legitimiert."Bisher ist die Clinton-Administration mit ihren Versuchen zwar in den entscheidenden internationalen Instanzen, vor allem bei der OECD, gescheitert. Ob es dabei bleibt, hängt nicht zuletzt davon ab, wie sich Deutschland entscheidet. Sollte die derzeit noch bestehende liberale Regelung in Deutschland ausdrücklich beibehalten werden, dann ist nicht auszuschließen, daß auch die USA ihre Haltung überdenken. Auf eine paradoxen Konsequenz wies Sandl ebenfalls hin: "Unsere Kryptounternehmen stellen Produkte ohne Key recovery her, und haben dadurch einen deutlichen Vorteil im Wettbewerb. Es liegt also nicht unbedingt im Interesse der deutschen Kryptoindustrie, daß die Key-recovery-Initiative der US-Regierung aufgehoben wird."In der Kryptodebatte wird abgesehen von pragmatischen Hinweisen auf die Funktionstüchtigkeit der verschiedenen Verfahren -- vorwiegend mit den Interessen der Wirtschaft argumentiert. Angesichts der Tatsache, daß das Thema bürgerliche Freiheitsrechte in der öffentlichen Debatte zur Zeit nicht gerade Hochkonjunktur hat, ist das verständlich. Daß die ersten Artikel des Grundgesetzes dennoch nicht ganz in Vergessenheit gerieten, war dem Referenten Josef Brink aus dem Justizministerium zu verdanken. "Aus der Sicht des Justizministeriums unterliegt die Beschränkbarkeit nutzerseitiger Verschlüsselung verfassungsrechtlich engen Grenzen", versicherte Brink. Zwar berechtigt das Grundgesetz die Strafverfolgungs- und Staatsschutzbehörden unter gewissen Voraussetzungen zum Abhören von Telefonaten oder Mitlesen von Briefen, doch das Recht, die abgefangene Kommunikation auch verstehen zu können, besteht nicht: "Der Beschuldigte ist nicht verpflichtet, an der Aufklärung des Sachverhaltes aktiv mitzuwirken. Deshalb besteht aus unserer Sicht keine Pflicht zur Erleichterung des Eingriffs in die geschützte Kommunikation."