Künstliche Intelligenz In drei Tagen zum Internationalen Schachmeister

Wer war noch gleich Deep Blue? Ein Forscher hat eine künstliche Intelligenz namens Giraffe entwickelt, die sich selbstständig das Spielen beibringt. Ihr Erfinder macht sich die Vorteile neuronaler Netzwerke zunutze.
Schachfiguren: Das KI-System Giraffe spielt besser als viele Profis

Schachfiguren: Das KI-System Giraffe spielt besser als viele Profis

Foto: Corbis

Internationaler Schachmeister zu werden, ist offenbar gar nicht so schwierig - wenn man Matthew Lai als Trainer hat. Der Computerforscher und Schach-Enthusiast vom Imperial College in London hat eine künstliche Intelligenz (KI) namens Giraffe  entwickelt, die schon nach drei Tagen Training besser spielt als viele Profis.

Bei Giraffe handelt es sich um ein sogenanntes neuronales Netzwerk, dem Lai die Regeln des Schachspiels anhand vieler Beispielpartien beigebracht hat. Giraffe analysierte die Spielzüge, diese wurden dann im Netzwerk in mehreren neuronalen Ebenen verarbeitet .

Diese virtuelle Ansammlung von Knoten funktioniert in Analogie zu miteinander engmaschig vernetzten Hirnzellen, das Netzwerk verarbeitet Informationen schichtweise. Jede virtuelle Netzwerkebene trägt zu diesem Prozess bei. Indem sich die Gewichtungen der Verbindungen verändern, lernt die KI.

Datenbank mit Millionen Stellungen

Bei Giraffe arbeitet ein Netzwerk auf vier Ebenen. Auf der Input-Ebene kommen zunächst Informationen wie die Anzahl und Art der Spielfiguren an, ebenso Daten zu ihrer Position auf dem Brett sowie zu den erlaubten Spielzügen, außerdem Angriffs- und Verteidigungsstrategien. In den weiteren Ebenen werden diese Daten zusammengeführt und gewichtet .

Lai fütterte Giraffe mit einer Datenbank, die fünf Millionen Spielstellungen enthielt. Diese Datenbasis erweiterte er, indem er für jede Position zufällige, aber regelkonforme Folgezüge hinzufügte. Auf Grundlage dieser Informationen spielte Giraffe unzählige Partien gegen sich selbst. Im Verlauf dieses Prozesses lernte die KI, welche Züge erfolgversprechender als andere waren, und konnte sie so gewichten.

Schon nach kurzer Zeit beherrschte Giraffe das Schachspiel extrem gut. Wäre die KI ein Mensch, könne Giraffe nach den Regeln des internationalen Schachverbandes Fide den Titel eines Internationalen Meisters beanspruchen, nur eine Stufe unter dem Schachgroßmeister. Damit, so Lai, bewege sich seine Entwicklung auf dem Niveau der besten Schachcomputer der Welt.

Sonst zählt vor allem Rechenpower

"Das ist bemerkenswert, weil all deren Auswertungsfunktionen sorgfältig von Hand entworfene Giganten mit Hunderten von Parametern sind, die über Jahre manuell und automatisch verbessert wurden", so Lai. "Viele von ihnen wurden von menschlichen Großmeistern ausgearbeitet."

Mit Giraffe verfolgt Lai einen anderen Ansatz als die meisten bekannten Schachcomputer. Diese setzen vor allem die ständig zunehmende Rechenpower ein, um vor jedem Spielzug jede eventuelle Möglichkeit zu überprüfen.

Mit dem von IBM entwickelten Schachcomputer Deep Blue konnte erstmals 1996 eine Maschine einen Schachweltmeister besiegen. Während der Riesenrechner pro Sekunde 200 Millionen Züge durchsuchte, vermochte sein unterlegener Kontrahent Garri Kasparow in diesem Zeitraum höchstens fünf oder sechs Varianten zu überprüfen.

Dass aber Menschen dennoch auf hohem Niveau spielen, liegt daran, dass sie nicht per "brute force" unterschiedslos alle Varianten durchprüfen. Sie beschränken sich vielmehr auf die wahrscheinlichsten. Das reduziert die Zahl möglicher Spielzüge ganz beträchtlich. Von einem ganzen Baum potentieller Spielzüge bleiben nur wenige Äste übrig.

Langsamer, aber mit weniger Varianten

Auf die gleiche Weise macht Lais Schach-KI einen entscheidenden Nachteil wett. Neuronale Netze verarbeiten Informationen bis zu zehnmal langsamer als herkömmliche Computer. Da sie jedoch wenig Erfolg versprechende Varianten frühzeitig ausscheiden, können sie es trotzdem mit modernen Großrechnern aufnehmen.

Für diese Art der sogenannten intuitiven KI gebe es eine Vielzahl von denkbaren Einsatzfeldern wie Spracherkennung oder Bildklassifikation, so Lai zu SPIEGEL ONLINE. Das Neuartige an Giraffe sei die Kombination von neuronalen Netzwerken mit der Spieltheorie, um auf dieser Grundlage Strategiespiele zu spielen. Das Konzept eigne sich zudem für Entscheidungen vergleichbarer Art, etwa, um Handlungen auf der Basis von erwarteten Antworten anderer zu planen.

KI-Systeme, die selbstständig lernen, gibt es seit Längerem. Eins davon soll zum Beispiel demnächst Twitter automatisch von anstößigen Bildern freihalten. Und im Juni machte die Nachricht von einer KI die Runde, die nur durch das Anschauen alter "Super Mario"-Partien deren Regeln lernte und dem Spiel anschließend selbstständig neue Spiele-Level hinzufügte.

KI-Bastler Lai hat übrigens bereits die nächste Herausforderung ins Auge gefasst. Er möchte ein System entwickeln, das das chinesische Strategiespiel Go beherrscht . Bislang sind hier Menschen künstlichen Spielgegnern noch weit überlegen. Ein neuronales Netzwerk könnte das ändern.

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