
Kunstprojekt Lovepicking: Liebesschlösser werden gehackt
Projekt Lovepicking Liebesschlösser knacken für die Kunst
Kleine Liebesbeweise baumeln an den Brücken dieser Welt. Sie hängen in Rom, sie hängen in Köln, sie hängen in Moskau, Salzburg und Helsinki: Liebesschlösser . Manche Paare nämlich kaufen sich ein Vorhängeschloss, lassen ihre Namen eingravieren, vielleicht mit Datum, und hängen es an das Geländer einer Brücke. Den Schlüssel ziehen sie ab und werfen ihn gemeinsam in den Fluss, über den die Brücke führt. Dann hängt es da für immer - oder auch nicht.
Denn seit einigen Monaten können sich die Paare nicht mehr sicher sein, dass ihr kleines Symbol an der Stelle bleibt, an der sie es einst angebracht haben. Eine kleine Gruppe von Menschen hat den Brauch gehackt.
Die Berliner Künstlerin Mey Lean Kronemann hat ein Projekt ins Leben gerufen, das sich die Schlösser vornimmt. Sie gibt Workshops, bei denen die Teilnehmer gemeinsam die Schlösser knacken - ohne sie zu beschädigen. Danach arrangieren sie die Liebesschlösser neu - zum Beispiel in einer langen Kette. Rückgängig machen können das nur wenige Paare, denn der Schlüssel ist ja weg.
Die unerwünschte Intervention soll die Symbolik hinter den Schlössern in Frage stellen, das "Wegschließen" einer Beziehung, meist exklusiv zwischen zwei Menschen. Es ist eine Form des "Urban Hacking ". Dazu zählen Mini-Aktionen, die Menschen stutzen lassen sollen - meist nur durch einen ganz kleinen Eingriff in die Routine des Stadtlebens.
Urbane Hacker wollen "Herzen öffnen"
"Lovepicking" nennt sich die Kunstidee von Kronemann , ein Wortspiel, abgeleitet vom englischen "Lockpicking ", das Aufsperren von Schlössern ohne Schlüssel. Dabei wird mit dem entsprechenden Werkzeug - oft sekundenschnell - ein Schloss geöffnet, ohne dass es dabei kaputt geht. Der Schlüsseldienst kann das, manche Einbrecher machen das, aber einige Leute betreiben das auch schlicht als Hobby, als sportliche Tüftelei. Die Schlossknacker haben Vereine gegründet und bilden eine Art Subkultur der Hackerszene: Die ersten Deutschen Meisterschaften im Lockpicking fanden auf den Kongressen des Chaos Computer Clubs statt, und auch heute noch gibt es auf großen Hackerkonferenzen wie der Defcon in Las Vegas eigene Räume und Workshops für die Tüftler.
Allerdings gibt es auch hier eine Hackerethik, die Regeln sind streng: Ein Lockpicker darf nur Schlösser knacken, die ihm selbst gehören. Es geht um die Herausforderung, niemals aber darum, etwas Verbotenes zu tun.
Kronemann selbst gehört nicht zu den Hobbyknackern. Wie man ein verschlossenes Vorhängeschloss öffnet, wusste sie zunächst gar nicht. "Ich habe das tatsächlich speziell dafür gelernt", sagt sie. Sie meldete sich bei Lock-Sportvereinen, stieß dort mit ihrer Idee aber auf wenig Begeisterung. Weil es der Künstlerin nicht um ihre eigenen Schlösser ging, wollten ihr die meisten nicht helfen.
Schließlich fand sie doch noch jemanden, der sie in die Kunst des Schlossknackens einweihen konnte. Drei Wochen hat sie täglich geübt, dann konnte es losgehen.
Erst in Bamberg, später in Linz traf sich jeweils eine Gruppe für den Kunstworkshop und machte ein Schloss nach dem anderen auf. In Bamberg sagte niemand etwas, nur die Passanten sahen amüsiert zu. In Linz kam schon bald die Polizei und wollte wissen, was das soll. "Wir wollen zeigen, dass man Herzen auch öffnen kann, ohne sie zu brechen", will Kronemann darauf erwidert haben - und angeblich ließen sie die Beamten danach gewähren.
Im Netz hagelte es Protest
Tatsächlich wäre es so manchem vielleicht ganz lieb, wenn die Schlösser komplett verschwänden - ob nun mit Gewalt oder nicht. Sie gelten als umstritten, manche empfinden sie als Verschandelung, andere schlicht als Kitsch. Auch im Netz wird über die Schlösser diskutiert: In sozialen Netzwerken macht ein Foto die Runde , das ein pinkfarbenes Graffito auf der Kölner Hohenzollernbrücke zeigt, ein Schriftzug neben der Schlösserwand: "Was ist das für eine Gesellschaft, in der das Symbol für Liebe ein Vorhängeschloss ist?" Blogger "Sofakissen" schreibt dazu , die Liebesschlösser seien "kritisch zu sehen", denn "sie okkupieren den öffentlichen Raum, der für alle da ist, mit einem Symbol der ohnehin schon als Norm geltenden Beziehungsform".
Inmitten diese Diskussion reiht sich Mey Lean Kronemann mit einem Blogeintrag , der ihren urbanen Hack im Frühjahr dokumentiert. Ihr Kunstprojekt stößt bei manchen auf Begeisterung, andernorts hagelt es Protest. "Es gab da eine größere Kontroverse auf Twitter", sagt die Künstlerin, "einige Leute waren der Meinung, das habe mit Hackerethik nichts zu tun." Andere wiederum twitterten, das "Lovepicking" sei einfach "eine arschige Aktion".
Auch in Zukunft soll geknackt werden
Ob geliebt oder gehasst - Kronemann will weitermachen: Demnächst soll es zum Beispiel einen solchen Projekttag in Berlin geben und einige Schlösser ihren Standort wechseln. Schließlich machten sie und ihre Mitstreiter weder etwas kaputt noch werde etwas geklaut: "Es ist zerstörungsfrei, wir machen die Schlösser ja nicht mit dem Bolzenschneider auf", sagt die Künstlerin. Die Schlösser werden lediglich deplaziert, an andere angeschlossen, mit den Schlössern von anderen Liebenden, die das Paar höchstwahrscheinlich gar nicht kennt.
"Ich sehe das als Remix", sagt Kronemann, "wir knüpfen dadurch neue Verbindungen." In diesen unfreiwilligen Zusammenschluss spiele auch der Gedanke der Polyamorie herein, bei der Menschen Liebesbeziehungen zu mehreren Menschen gleichzeitig unterhielten - und dadurch unfreiwillig mit anderen Partnern in Verbindung kämen.
In Linz ist Kronemann noch einmal zur Brücke gegangen und habe nach dem Kunstwerk gesehen, erzählt sie. Und tatsächlich habe sich inzwischen wieder jemand daran zu schaffen gemacht: "Jemand hat also unseren Remix geremixed." Vielleicht wollte aber auch einfach jemand sein Schloss befreien - von dessen Befreiern.